Mr. und Mrs. Shelby hatten sich zur Nacht in ihr Zimmer zurückgezogen. Er ruhte in einem geräumigen Lehnstuhl und überflog Briefe, die mit der Nachmittagspost abgekommen waren. Sie bürstete sich vor ihrem Spiegel die Haare aus, die von Elisa in so kunstvolle Locken und Flechten gelegt worden waren. Sie hatte Elisa ins Bett geschickt, da sie fand, dass das Mädchen müde und bleich aussah. Während sie sich die Haare bürstete, fiel ihr die Unterhaltung vom Morgen wieder ein und sie fragte ihren Mann: "Wer war eigentlich dieser schreckliche Mann, den du heute mit zum Essen brachtest?" "Sein Name ist Haley.", sagte Herr Shelby ohne aufzublicken. "Was macht er? Woher kennst du ihn? Was wollte er von dir?" "Ich hatte geschäftlich mit ihm zu tun, als ich neulich in Natchez war. Ich hatte noch finanzielle Dinge mit ihm zu regeln." Frau Shelby sah ihren Mann prüfend an. "Ist er wirklich ein Sklavenhändler?" Mr. Shelby fuhr auf. "Wie kommst du darauf?", fragte er. Mrs. Shelby zuckte mit den Schultern. "Elisa sagte mir, sie hätte dich heute mit einem Händler reden hören, der ein Angebot für ihren Kleinen gemacht hätte." Frau Shelby lachte amüsiert. "Das hat sie gehört?"
Herr Shelby vertiefte sich wieder in seine Briefe und merkte dabei nicht, dass er sie verkehrt herum hielt. "Es muss heraus! Emily, ich muss mich dazu entschließen, einige von unseren Leuten zu verkaufen." Mrs. Shelby schaute ihren Mann erstaunt an. "Du willst an dieses Scheusal verkaufen? Das kann nicht dein Ernst sein." Herr Shelby schüttelte traurig den Kopf. "Ich muss Tom verkaufen!" Frau Shelby fuhr herum. "Was? Du willst unseren Tom verkaufen?" Frau Shelby starrte ihren Mann fassungslos an. "Tom ist ein guter treuer Mensch, der dir schon seit seiner Kindheit dient. Du hast ihm die Freiheit versprochen! Hundertmal schon hast du ihm die Freiheit versprochen. Weißt du was? Fast glaube ich, du könntest auch den kleinen Harry verkaufen, so wie Elisa es befürchtete." Sie schaute ihren Mann empört an. Herr Shelby nickte betrübt mit dem Kopf. "Du hast Recht Ich muss Tom und auch Harry verkaufen. Die beiden bringen die höchsten Preise. Und nun schau mich nicht an, als wäre ich ein Ungeheuer. Ich tue nichts anderes, als was die anderen jeden Tag tun. Und falls du es genau wissen willst, Haley hat mir auch ein sehr hohes Angebot auf Elisa gemacht."
Frau Shelby zuckte zurück, dann straffte sie ihre Schultern. "Verzeih mir. Ich wollte dich nicht verurteilen. Aber Tom und Harry.... Können wir uns denn nicht anderweitig finanziell einschränken? Ich bin zu jedem Opfer bereit. Ich wollte doch immer nur eine gute Herrin sein. Wie soll ich jemals wieder in den Spiegel schauen können, wenn wir einen so treuen und guten Menschen wie Tom verkaufen, weil er einen hohen Gewinn einbringt? Alles was wir ihnen beigebracht haben, würden wir dabei mit Füßen treten. Familienbande sind nichts wert, sobald Geld ins Spiel kommt - das werden sie lernen. Was soll ich Elisa sagen, die ihren kleinen, heiß geliebten Harry hergeben soll?" Herr Shelby sah seine Frau mitleidig an. "Es tut mir so leid, Emily. Glaub mir, es tut mir leid. Aber ich hatte keine andere Wahl. Haley ist im Besitz einer Hypothek. Ich musste ihn abfinden, sonst hätte er alles mit Beschlag belegt. Ich muss entweder Tom und Harry verkaufen oder alles auflösen. Verstehst du? Es geht um unsere Existenz. Ich habe mir überall Geld geborgt und zusammen mit dem Erlös von Tom und Harry wird es reichen. Haley ist völlig vernarrt in den Jungen und wollte den Handel nur mit ihm machen." Frau Shelby drehte sich zu ihrem Toilettentisch herum. Ihre Augen glühten. "So schlimm steht es? Oh, mein Gott. Auf der Sklaverei liegt ein Fluch. Es ist Sünde, Sklaven zu halten. Ich habe versucht, mit Milde und Güte und Belehrungen davon abzulenken. Aber es ist Sünde. Wir können ihnen nicht die Freiheit ersetzen." "Was redest du, Liebes. Ergreifst du etwa Partei für unsere Sklaven?" "Wenn ich nur den Mut dazu hätte." Frau Shelby spielte gedankenverloren mit ihrer goldenen Uhr. "Mein Schmuck ist nicht besonders wertvoll. Aber was wäre, wenn ich diese Uhr verkaufte? Sie war ein teures Stück. Ich würde alles tun, wenn ich nur Harry retten könnte." "Quäl' dich nicht.", sagte Herr Shelby. "Es ist schon alles unter Dach und Fach. Der Kaufvertrag ist unterschrieben. Du kannst nichts mehr tun, außer mir zu verzeihen und anzuerkennen, dass ich alles Menschenmögliche getan habe. Dieser Haley hätte uns ins Unglück stürzen können, denn er lebt nur für sein Geschäft und für seinen Gewinn. Er würde sogar seine eigene Mutter verkaufen, wenn der Preis stimmt." Frau Shelby lief ein Schauer den Rücken hinunter. "Und dieser Mann soll von nun an Tom und Harry besitzen?" Herr Shelby nickte. "Es tut mir leid. Ich werde morgen früh davon reiten, damit ich nicht mit ansehen muss, wie Haley Tom und Harry abholt. Und du solltest eine Spazierfahrt machen und Elisa mitnehmen. So kann alles geschehen, ohne dass ihr es mit ansehen müsst." Frau Shelby schüttelte energisch den Kopf. "Das kann ich nicht. Ich muss ihnen beistehen. Ich möchte nicht die Hand in diesem furchtbaren Spiel haben. Wie konnten wir nur in diese furchtbare Situation geraten?"
Das Ehepaar Shelby dachte mit keinem Gedanken daran, dass es bei diesem traurigen Gespräch belauscht worden war, aber so war es. Elisa hatte, statt ins Bett zu gehen, Zuflucht in einem kleinen Raum neben dem Schlafzimmer gesucht. Als die Herrschaften nun begannen, sich zu unterhalten, hatte sie das Ohr an die Tür gepresst und jedes Wort belauscht. Bleich und zitternd eilte sie nun fort, nicht mehr länger das süße, anmutige und junge Geschöpf von heute morgen. Sie eilte in ihr Zimmer, das ihr immer ein Zuhause gewesen war. Hier hatte sie ihre liebsten Sachen, ihre Garderobe, ihre wenigen Bücher und Harry. Schlafend lag das Kind im Bett, die Locken achtlos auf dem Kissen ausgebreitet, der rosige Mund leicht geöffnet. Rasch schnürte Elisa ein Bündel für das Kind, das sie mit einem Taschentuch an ihren Gürtel knüpfte. Sie packte nicht nur Kleidung, sondern auch ein oder zwei Spielsachen mit ein. Dann schrieb sie einen Brief an die Herrin:
"Liebe, liebe Herrin! Ich bin nicht undankbar und ich bitte euch, nicht schlecht von mir zu denken. Ich habe euer Gespräch heute Abend belauscht. Ich muss versuchen, mein Kind zu retten. Ihr werdet mich verstehen. Gott segne euch und vergelte euch eure Güte." Hastig adressierte sie den Brief und ging dann daran, Harry zu wecken. "Psst!", flüsterte sie. "Harry, wach auf und sei leise. Wir müssen fort. Ein böser Mann will kommen und dich holen. Aber Mutter passt auf dich auf." Rasch zog sie Harry an, setzte sich selbst eine Haube auf und wickelte einen Schal um sich. "Sei leise.", warnte sie das Kind noch einmal und schlüpfte mit Harry auf dem Arm hinaus in die Nacht. Bruno, der alte Neufundländer, der am anderen Ende der Veranda geschlafen hatte, fuhr auf und knurrte. Als er Elisa erkannte, wedelte er mit dem Schwanz und trottete hinter ihr her. Dabei schien er sich zu wundern, was dieser nächtliche Spaziergang zu bedeuten hatte. Elisa aber lief zu Onkel Toms Hütte. Dort waren der alte Tom und seine Ehefrau noch nicht zu Bett gegangen, denn die Andacht hatte lange gedauert und Tom war sich danach noch im Singen von einigen Sologesängen ergangen. Als Elisa an die Tür klopfte, wurde ihr sofort geöffnet. Das Licht der Kerze fiel auf ihr hohläugiges Gesicht und die wilden dunklen Augen. Tante Chloe trat erschrocken zurück. "Lizzy? Was willst du hier? Bist du krank? Ist etwas geschehen?" Elisa konnte kaum atmen, aber sie presste heraus: "Ich bin auf der Flucht. Der gnädige Herr hat mein Kind verkauft." Onkel Tom und Tante Chloe starrten Elisa ungläubig an. "Es verkauft?" Elisa nickte. "Ich habe alles mit angehört. Ich habe mich in dem kleinen Zimmer neben dem Schlafzimmer versteckt und da habe ich sie reden hören. Sie haben nicht nur Harry verkauft, sondern auch dich, Tom. Morgen in aller Frühe will der Herr weg reiten, um nicht zu sehen, wie der Händler euch beide in Empfang nimmt."
Tom sank auf einen Stuhl und Tante Chloe rief: "Was hat Tom getan, dass der Herr ihn verkauft?" Elisa schüttelte den Kopf. "Tom hat nichts getan. Der Herr hat Schulden. So große Schulden, dass er entweder die beiden oder alles verkaufen muss. Ich habe gehört, wie sie darüber sprachen. Die Herrin hat für uns gebeten. Sie flehte ihn an, Schmuck oder etwas anderes zu verkaufen. Sie ist so gut! Und ich tue ihr nun Unrecht, in dem ich davon laufe. Aber ich kann nicht anders. Ihr versteht das, oder? Sie ist eine wirkliche Christin. Sie möchte auch nicht, dass jemand verkauft wird. Aber es bleibt ihnen keine andere Wahl. Das hat der Herr gesagt." Tante Chloe sah Onkel Tom an. Tränen liefen über ihr Gesicht. "Geh mit ihr. Geh mit Lizzy. Du hast einen Ausweis. Du weißt doch, wie es anderswo ist. Sklaven wie wir schuften sich zu Tode. Noch ist Zeit. Pack deine Sachen und geh mit Lizzy."
Onkel Tom atmete schwer und auch über sein Gesicht strömten die Tränen. Aber er schüttelte den Kopf. "Nein. Lizzy soll gehen. Das ist ihr gutes Recht. Sie schützt ihr Kind. Aber ich bleibe hier. Sonst muss der Herr die ganze Farm verkaufen. Das geht nicht. Ich habe meinen Ausweis niemals missbraucht. Und ich werde es auch jetzt nicht tun. Ich kann sein Vertrauen nicht enttäuschen. Chloe, den Herrn trifft keine Schuld. Er wird sich um dich und Kleinen kümmern." Sein Blick glitt zur Bettstatt der Kinder hinüber, die friedlich schliefen. Beim Anblick ihrer schlafenden Gesichter war es um seine Beherrschung geschehen und ein heiseres Schluchzen schüttelte ihn.
"Hört mir zu.", flehte Elisa. "Ich sah heute meinen Mann. Er erzählte mir, dass sie ihm das Leben zur Hölle machen. Ich wusste ja nicht, wie schnell sich auch mein Leben ändern würde... Falls ihr ihn seht, sagt ihm, ich wolle versuchen, Kanada zu erreichen. Erzählt ihm, was geschehen ist. Bitte. Grüßt ihn tausendmal von mir. Und... falls wir uns nicht wieder sehen, sagt ihm, er soll sich tapfer halten, damit wir uns im Himmel wieder finden." Tante Chloe und Onkel Tom nickten unter Tränen. "Bitte behaltet Bruno hier.", bat Elisa noch. Sie verabschiedete sich tränenreich von den beiden und erhielt deren Segen. Dann nahm sie Harry in den Arm und verschwand in der Dunkelheit.