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德语小说:简爱-Siebenzehntes Kapitel

时间:2013-10-15来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
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Eine Woche verging, und von Mr. Rochester kam keine Nachricht. Zehn Tage; und immer kam er noch nicht. Mrs. Fairfax sagte, daß sie durchaus nicht erstaunt sein würde, wenn er von Leas direkt nach London und von dort nach dem Kontinent gehen würde, ohne vor Ablauf eines ganzen Jahres den Fuß wieder nach Thornfield-Hall zu setzen. Schon oft habe er das alte Haus ebenso unerwartet und jäh verlassen. Als ich dies hörte, kam eine ohnmächtige Schwäche über mich, mein Herz stand fast still. Ich erlaubte mir in der That, ein betäubendes, niederschmetterndes Gefühl der Enttäuschung zu verspüren; aber all meinen Verstand zusammenraffend und mich meiner erst kürzlich gefaßten Grundsätze erinnernd, rief ich mit aller Gewalt meine Vernunft wieder zur Ordnung, und es war wunderbar, wie ich meine temporäre Tölpelei wieder gut machte; wie ich mir selbst erklärte, daß es ein grober Irrtum sei, wenn ich vermeinte, daß Mr. Rochesters Thun und Lassen ein bedeutendes Interesse für mich habe. Nicht daß ich mich mit einer sklavischen Idee von Niedrigkeit gedemütigt hatte – im Gegenteil, ich sagte nur:
»Du hast weiter nichts mit dem Besitzer von Thornfield zu thun, als das Gehalt von ihm anzunehmen, das er dir dafür zahlt, daß du seinen Schützling unterrichtest; weiter hast du ihm dankbar zu sein für die achtungsvolle und gütige Behandlung, die du von ihm zu erwarten hast, wenn du deine Pflicht gewissenhaft erfüllst. Sei fest überzeugt davon, das ist das einzige Band zwischen euch, das er in Wahrheit anerkennen wird. Mache ihn also nicht zum Gegenstande deiner zärtlichen Gefühle, deines Entzückens, deiner Qualen u. s. w. u. s. w. Er ist nicht von deiner Art, bleib bei deines Gleichen, und hege zu viel Achtung vor dir selbst, um die Liebe deines ganzen Herzens, deiner Seele und all deine Kräfte da zu verschwenden, wo eine solche Gabe nicht verlangt wird und nur verschmäht werden würde.«
Ruhig verrichtete ich die Geschäfte des Tages; aber dann und wann drängten sich meinem Hirn Gründe auf, die mir als Vorwand dienen könnten, um Thornfield-Hall zu verlassen; und unwillkürlich setzte ich Annoncen auf und stellte Betrachtungen über neue Stellungen an; diese Gedanken zu unterdrücken hielt ich nicht für nötig, Sie sollten nur keimen und Früchte tragen, wenn es möglich war.
Mr. Rochester war ungefähr vierzehn Tage abwesend gewesen, als die Post einen Brief für Mrs. Fairfax brachte.
»Er ist von unserem Herrn,« sagte sie, als sie die Adresse las. »Vermutlich werden wir jetzt erfahren, ob wir ihn bald zurückerwarten dürfen oder nicht.«
Und während sie das Siegel brach und den Inhalt langsam durchlas, fuhr ich fort, meinen Kaffee zu trinken, (wir saßen nämlich beim Frühstück), er war sehr heiß, und diesem Umstände schrieb ich es zu, daß eine feurige Glut plötzlich mein Gesicht überzog. Weshalb meine Hand zitterte, und ich unwillkürlich die Hälfte des Inhalts meiner Tasse in die Unterschale vergoß – darüber wollte ich nicht weiter nachdenken.
»Nun, manchmal ist mir's, als lebten wir hier zu einsam; aber jetzt werden wir für eine kurze Weile vielleicht genug zu thun bekommen,« sagte Mrs. Fairfax, während sie noch immer den Brief vor ihre Brillengläser hielt.
Bevor ich mir noch erlaubte, um eine Erklärung zu bitten, band ich Adelens Schürzenbänder, die lose herabhingen, zusammen. Nachdem ich ihr noch einen Kuchen gegeben und ihren Becher wiederum mit Milch gefüllt hatte, sagte ich ganz nachlässig: »Vermutlich kehrt Mr. Rochester noch fürs Erste nicht zurück?«
»In der That kehrt er zurück – in drei Tagen schon, wie er sagt. Das würde also am nächsten Donnerstag sein, und zwar kommt er nicht allein. Ich weiß nicht, wie viele von den feinen Leuten von Leas mit ihm kommen, er schickt mir nur die Weisung, daß all die besten Fremdenzimmer in Stand gesetzt werden, und die Bibliothek und die Salons sollen gereinigt werden; und aus dem Wirtshause zum ,heiligen Georg' in Millcote soll ich mir Hilfspersonal für die Küche holen lassen, oder wenn nicht von dort, so von irgend einem andern Orte. Die Damen werden ihre Kammerjungfern und die Herren ihre Kammerdiener mitbringen; wir werden also ein volles Haus haben,« Und Mrs. Fairfax verschlang schnell ihr Frühstück und eilte von dannen, um mit den Operationen zu beginnen.
Wie sie es vorausgesagt, brachten die drei Tage Beschäftigung genug. Ich hatte immer geglaubt, daß all die Zimmer in Thornfield-Hall aufs schönste gereinigt und arrangiert gewesen seien. Aber es scheint, daß ich mich geirrt hatte. Drei Frauen wurden geholt, um Hilfsdienste zu leisten, und niemals habe ich vorher und nachher ein solches Scheuern, solches Bürsten, solches Waschen von Wänden, solches Ausklopfen von Teppichen, solches Herabnehmen und Aufhängen von Bildern, solches Polieren von Spiegeln und Kronleuchtern, solch ein Anzünden von Kaminfeuern in Schlafzimmern, solch ein Lüften von Betttüchern und Federbetten auf Küchenherden u. s. w. u. s. w. gesehen. Adele rannte inmitten all dieser Vorgänge wie wild umher. Die Vorbereitungen für die Besucher und die Aussicht auf ihre Ankunft schienen sie förmlich in Extase zu versetzen. Sie wollte, daß Sophie all ihre »Toiletten«, wie sie ihre Kleider nannte, genau durchsehen solle; jene, welche »passées« seien, seien wieder aufzufrischen und die neuen zu nähen und aufzuputzen. Was sie selbst anbetraf, that sie nichts, als in den Vorderzimmern umherzulaufen, auf die Bettstellen hinauf und wieder herab zu springen und sich vor den enormen Feuern, welche in den Kaminen emporloderten, auf den aufgehäuften Matratzen und Kopfkissen und Federpolstern umherzuwälzen. Von allen Schulpflichten war sie dispensiert; Mrs. Fairfax hatte mich gezwungen, ihr Dienste zu leisten, und ich war während des ganzen Tages in den Vorratskammern, ihr und der Köchin helfend oder auch sie in ihrer Arbeit hindernd; ich lernte Käsekuchen und französische Confituren und Eierrahm machen, Dessertschüsseln garnieren und Wildbraten spicken.
Die Gesellschaft wurde am Donnerstag Nachmittag erwartet, früh genug, um das Diner um sechs Uhr einnehmen zu können. In der dazwischenliegenden Zeit hatte ich nicht Muße, meinen Chimären nachzuhängen, und ich glaube, daß ich ebenso fröhlich und thätig war wie alle anderen – mit Ausnahme Adelens. Aber dann und wann wurde meine Fröhlichkeit doch gedämpft, und gegen meinen Willen verfiel ich wieder in die Region der Zweifel und Möglichkeiten und dunklen Vermuthungen. Dies geschah immer nur, wenn mein Auge zufällig auf die Treppenthür des dritten Stockwerks fiel, und diese, die in der jüngsten Zeit immer verschlossen gewesen, sich langsam öffnete und Grace Pooles Gestalt mit sauberer Mütze, weißer Schürze und Halstuch heraustrat. Oft sah ich sie die Galerie hinuntergleiten, ihr leiser Tritt noch durch dicke Filzschuhe gedämpft; dann pflegte sie wohl in eins der Schlafzimmer zu treten, in denen alles drunter und drüber ging, und den Arbeitsfrauen Anweisungen zu geben, wie man ein Kamingitter am besten polieren oder ein Kaminsims reinigen oder Flecke von den Tapeten entfernen könne. Dann ging sie weiter. So stieg sie einmal am Tage in die Küche hinunter, aß ihr Mittagsmahl, rauchte eine kleine Pfeife in der Ofenecke und ging dann zurück, ihren Topf mit Porter zu ihrem Privat-Trost in ihren eigenen, düsteren, oberen Schlupfwinkel mit sich nehmend. Nur eine einzige Stunde von vierundzwanzig brachte sie mit den übrigen Dienstboten unten in der Küche zu, ihre übrige Zeit ging in einem niedrigen, mit Eichenholz verkleideten Gemache des zweiten Stockwerks hin. Dort saß sie und nähte – vielleicht lachte sie auch in ihrer unheimlichen Weise vor sich hin – so einsam, so verlassen, wie ein Verbrecher in seiner Gefängniszelle.
Das Sonderbarste bei all diesem war, daß außer mir keine Seele im ganzen Hause ihre Gewohnheiten zu bemerken oder sich über dieselben zu wundern schien. Niemand sprach über ihre Stellung oder ihre Beschäftigung; niemand bemitleidete sie wegen ihrer Vereinsamung. In der That hörte ich einmal einen Teil des Gesprächs zwischen Leah und einer der Arbeiterinnen, dessen Gegenstand Grace bildete. Leah hatte etwas gesagt, das ich nicht vernommen, und die Arbeitsfrau bemerkte:
»Vermutlich bekommt sie hohen Lohn?«
»Ja,« sagte Leah, »ich wollte der meine wäre so hoch; nicht, daß ich mich zu beklagen hätte – in Thornsteld-Hall giebt es keinen Geiz; aber er beträgt doch nicht ein Fünftel von der Summe, welche Mrs. Poole bekommt. Und sie legt viel auf die Seite. Zu jedem Quartal geht sie in die Bank von Millcote. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn sie schon genug hätte, um unabhängig leben zu können, wenn es ihr einmal einfallen sollte, aus dem Dienst zu gehen. Aber ich glaube, sie hat sich nun einmal schon an den Ort gewöhnt; und sie ist ja auch noch nicht vierzig Jahre alt, und stark und kräftig und zu aller Arbeit verwendbar. Es ist doch noch zu früh für sie, um sich zur Ruhe zu setzen.«
»Sie ist eine gute Arbeiterin, wie ich mir denken kann,« sagte die Scheuerfrau.
»Ah! sie versteht ihre Arbeit, sie weiß was sie zu thun hat – keiner versteht es besser,« fiel Leah mit einer eigentümlichen Betonung ein, »und nicht jedermann wäre imstande, ihren Platz auszufüllen; nicht einmal für all den Lohn, den sie bekommt.«
»Da haben Sie recht!« lautete die Antwort. »Ich möchte doch wissen, ob der Herr – –«
Die Tagelöhnerin wollte noch weiter sprechen, aber hier wandte Leah sich um und ward meiner ansichtig. Augenblicklich gab sie ihrer Gefährtin einen Rippenstoß.
»Weiß sie es nicht?« hörte ich die Frau flüstern.
Leah schüttelte den Kopf, und hier nahm die Unterhaltung ein Ende. Alles, was ich daraus entnommen, war folgendes: es mußte ein Geheimnis in Thornfield geben; und ich war mit Absicht von der Mitwissenschaft dieses Geheimnisses ausgeschlossen.
Der Donnerstag kam; am Abend zuvor waren wir mit aller Arbeit fertig geworden; die Teppiche waren ausgespannt, die Bettvorhänge aufgesteckt, glänzend weiße Bettdecken ausgebreitet, Toilette-Tische arrangiert, die Möbeln poliert, Blumen in Vasen gesteckt. Auch die große Halle war gereinigt, die Stufen und Geländer der Treppe so wie die alte geschnitzte Stehuhr waren so blank gerieben wie Glas; im Speisezimmer funkelte das Silberzeug auf der Kredenz; im Boudoir und Salon begegneten dem Auge überall Vasen mit exotischen Blumen.
Der Nachmittag kam. Mrs. Fairfax legte ihr bestes, schwarzes Atlaskleid, ihre Handschuhe, ihre goldene Uhr mit Kette an, denn es lag ihr ob, die Gesellschaft zu empfangen – die Damen in ihre Zimmer zu führen, u. s. w. – Auch Adele wollte angezogen sein, obgleich ich der Ansicht war, daß sie nur wenig Aussicht habe, an diesem Tage wenigstens noch in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Indessen, um ihr eine Freude zu machen, gestattete ich Sophie, ihr eins ihrer reichen, vollen, weißen Musselinkleider anzuziehen. Was mich anbetraf, so hatte ich nicht nötig, irgend eine Änderung an meiner Toilette vorzunehmen; von mir würde ja niemand verlangen, das Sanktuarium meines Schulzimmers zu verlassen – denn ein Sanktuarium war es jetzt für mich geworden – »eine herrliche Zufluchtsstätte in Zeiten der Not und des Kummers.«
Es war ein klarer, milder Frühlingstag gewesen, einer jener Tage, die sich gegen Ende März oder Anfang April strahlend über die Erde emporheben wie die Herolde des Sommers. Jetzt ging er zu Ende; aber auch der Abend war warm und ich saß mit meiner Arbeit an dem geöffneten Fenster des Schulzimmers.
»Es wird spät,« bemerkte Mrs. Fairfax, die in ihrem rauschenden Staat eintrat. »Ich bin nur froh, daß ich das Mittagessen eine Stunde später als zu der von Mr. Rochester angegebenen Zeit bestellt habe; es ist jetzt sechs Uhr vorüber. Ich habe John hinunter an die Parkpforten geschickt, um zu sehen, ob auf der Landstraße schon irgend etwas sichtbar ist. Von dort kann man in der Richtung nach Millcote sehr weit sehen,« Sie trat ans Fenster. Da kommt er schon. »Nun, John,« rief sie sich hinauslehnend, »was giebt es? Irgend etwas zu sehen?«
»Sie kommen, Madam,« lautete die Antwort. »In zehn Minuten werden sie hier sein.«
Adele flog ans Fenster. Ich folgte ihr, mich behutsam auf der Seite haltend, damit ich vom Vorhang geschützt sehen konnte, ohne gesehen zu werden.
Die zehn Minuten, welche John prophezeit, schienen sehr lang; aber endlich hörten wir das Rollen der Räder; vier Reiter sprengten den Weg hinauf und ihnen folgten zwei offene Wagen. Wehende Schleier und wogende Federn füllten die Equipagen; zwei der Kavaliere waren junge, elegante Herren; der dritte war Mr. Rochester auf seinem schwarzen Pferde Messour; Pilot sprang in großen Sätzen vor ihm her; ihm zur Seite ritt eine Dame, und sie und er waren die ersten der Gesellschaft, Ihr dunkelrotes Reitkleid berührte beinahe den Boden, ihr langer Schleier flatterte im Winde; reiche, rabenschwarze Locken schienen durch seine durchsichtigen Falten.
»Miß Ingram!« rief Mrs. Fairfax aus und in der größten Eile begab sie sich auf ihren Posten unten in der Halle.
Die Kavalkade folgte den Biegungen des Fahrweges, der um die Ecke des Hauses bog, und ich verlor sie aus den Augen. Jetzt bat Adele hinuntergehen zu dürfen, aber ich nahm sie auf meinen Schoß und machte ihr begreiflich, daß sie unter keiner Bedingung daran denken dürfe, sich vor das Angesicht der Damen zu wagen, weder heute noch zu irgend einer andern Zeit, wenn man sie nicht ausdrücklich dazu auffordern lasse, daß Mr. Rochester sehr ärgerlich sein würde, u. s. w. Als ich ihr dies sagte, vergoß sie einige natürliche Thränen; da ich aber eine sehr ernste Miene machte, willigte sie endlich ein, diese wieder zu trocknen.
Jetzt tönte ein fröhliches Lärmen aus der Halle herauf; die tiefen Stimmen der Herren und die silbernen Stimmen der Damen mischten sich harmonisch, und vor allen hörbar war die sonore Stimme des Gebieters von Thornfield-Hall, der seine schönen und liebenswürdigen Gäste unter seinem Dache willkommen hieß. Dann kamen leichte Tritte die Treppe herauf, und aus der Galerie vernahm man ein Trippeln und leises, fröhliches Lachen, ein Öffnen und Schließen von Thüren und dann war für eine Weile alles still.
»Elles changent de toilettes,« sagte Adele, welche aufmerksam horchte, jeder Bewegung folgend; sie seufzte tief auf.
»Chez maman,« sagte sie, »quand il y avait du monde, je le suivais partout, au salon et à leur chambres; souvent je regardais les femmes de chambre coiffer et habiller les dames, et c'était si amusant: comme cela on apprend,« [Fußnote]
»Bist du nicht hungrig, Adele?«
Mai oui, Mademoiselle: voilà cinq ou six heures que nous n'avons pas mangé.« [Fußnote]
»Gut dann; während die Damen in ihren Zimmern sind, will ich mich hinunterwagen und dir etwas zu essen holen.«
Und mit größter Vorsicht aus meinem Asyl hervortretend, suchte ich eine Hintertreppe, welche direkt in die Küche führte. In jener Region war alles Feuer und Hitze und Bewegung; die Suppe und der Fisch waren im letzten Stadium des Werdens, und die Köchin stand über ihren Schmelztiegeln in einem Zustande der Seele und des Körpers, welcher eine augenblickliche Verbrennung befürchten ließ. In der Halle der Dienstboten standen und saßen zwei Kutscher und mehrere Kammerdiener um das Feuer; die Abigails waren vermutlich oben bei ihren Gebieterinnen; die neuen Dienstboten, welche aus Millcote gemietet waren, liefen und arbeiteten überall umher. Mich durch dieses Chaos durchwindend, erreichte ich endlich die Speisekammer; dort nahm ich Besitz von einem kalten Huhn, einem Weißbrot, einigen kleinen Torten, zwei Tellern und einigen Messern und Gabeln, Mit dieser Beute trat ich eilig den Rückzug an. Ich hatte die Galerie schon wieder erreicht und schloß gerade die Hinterthür, als ein zunehmendes Stimmengemurmel mir verkündete, daß die Damen im Begriffe waren, ihre Zimmer zu verlassen. Ich konnte nicht in das Schulzimmer gelangen, ohne an einigen ihrer Thüren vorüberzugehen und somit entdeckt zu werden, wie ich mein Cargo von Lebensmitteln beiseite schaffte; so blieb ich denn an diesem Ende des Ganges stehen, der keine Fenster hatte und folglich dunkel war; um diese Zeit schon vollständig dunkel, denn die Sonne war bereits untergegangen und die Dämmerung sank herab.
In diesem Augenblick traten die schönen Bewohnerinnen eine nach der anderen aus ihren Zimmern; jede einzelne kam fröhlich und lustig heraus in einer Toilette, die hell durch die Dunkelheit leuchtete. Während eines Augenblicks standen sie in einer Gruppe zusammen am äußersten Ende der Galerie und sprachen in Tönen süßer und unterdrückter Lebhaftigkeit; dann schwebten sie geräuschlos die Treppe hinunter wie helle Nebel den Berg hinunterrollen, Ihre Gesamterscheinung hatte mir den Eindruck der vornehmsten Eleganz gemacht; einen Eindruck, den ich nie zuvor empfangen.
Ich fand Adele, wie sie durch die Thür des Schulzimmers, die sie halb geöffnet hielt, blickte. »Welche schönen Damen!« rief sie auf englisch. »Ach, ich wollte, ich könnte zu ihnen gehen! Glauben Sie, daß Mr. Rochester uns nach dem Mittagessen holen lassen wird?«
»Nein, das glaube ich in der That nicht. Mr. Rochester hat an andere Dinge zu denken. Kümmere dich heute Abend nicht mehr um die Damen; vielleicht wirst du sie morgen sehen; hier ist dein Mittagessen.«
Sie war wirklich hungrig, daher dienten das Hühnchen und die Torten dazu, ihre Aufmerksamkeit für eine Weile abzulenken. Es war ein Glück, daß ich diesen Vorrat in Sicherheit gebracht hatte; sonst hätten sie, ich und Sophie, welcher ich einen Teil unserer Mahlzeit gebracht hatte, aller Wahrscheinlichkeit nach gar kein Mittagessen bekommen. Unten waren alle zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um an uns denken zu können. Das Dessert wurde erst nach neun Uhr hineingetragen, und um zehn Uhr liefen die Diener noch hin und her mit Speisebrettern und Kaffeetassen. Ich erlaubte Adele viel länger als gewöhnlich aufzubleiben; denn sie erklärte, daß sie unmöglich einschlafen könne, wenn die Leute so hin- und herliefen, und die Thüren fortwährend geöffnet und geschlossen würden. Außerdem, fügte sie hinzu, könne Mr. Rochester sie möglicherweise doch noch holen lassen, und alors quel dommage! (wie schade alsdann) wenn sie schon ausgezogen wäre!
So lange sie mir zuhören wollte, erzählte ich ihr Geschichten, und dann führte ich sie der Abwechselung wegen in die Galerie hinaus. Jetzt war die Lampe in der Vorhalle angezündet, und es amüsierte sie, über die Balustrade hinab die Diener hin- und herlaufen zu sehen. Sehr spät am Abend ertönte Musik aus dem Salon, in welchen das Piano gestellt worden war. Adele und ich setzten uns auf die oberen Stufen der Treppe, um zu horchen. Plötzlich mischte sich der Klang einer vollen Stimme mit den Tönen des Klaviers; es war eine Dame, die sang und ihre Stimme war süß und weich. Als das Solo zu Ende war, folgte ein Duett, und dann ein Scherzgesang; ein fröhliches Summen der Unterhaltung füllte die Zwischenpausen aus. Lange horchte ich. Plötzlich entdeckte ich dann, daß mein Ohr sich anstrengte, um die verschiedenen Töne zu analysieren, aus dem Gewirr der Stimmen diejenige Mr. Rochesters herauszuhören; als ihm dies gar bald gelungen, machte es sich wieder an die Aufgabe, die Laute, welche durch die Entfernung undeutlich wurden, in Worte zu setzen.
Es schlug elf Uhr. Ich blickte auf Adele, die ihren Kopf an meine Schultern gelehnt hatte; ihre Augenlider wurden schwer, deshalb nahm ich sie in meine Arme und trug sie ins Bett. Es war fast ein Uhr, als die Herren und Damen sich in ihre Zimmer begaben.
Der folgende Tag war ebenso schön wie sein Vorgänger, Der größte Teil der Gesellschaft benutzte ihn dazu, um eine prächtige Aussicht in der Nachbarschaft aufzusuchen. Früh am Vormittag machten sie sich auf den Weg, einige zu Pferd, die meisten zu Wagen. Ich sah sowohl die Abfahrt wie die Wiederkehr. Wie Tags zuvor war Miß Ingram wieder die einzige Reiterin, und wie Tags zuvor ritt Mr. Rochester wieder an ihrer Seite, Beide hatten sich von den übrigen getrennt. Ich machte Mrs. Fairfax, welche ebenfalls am Fenster stand, auf diesen Umstand aufmerksam.
»Sie sagten, es sei nicht wahrscheinlich, daß diese beiden an eine Heirat denken würden,« sagte ich, »aber wie Sie sehen, zieht er sie augenscheinlich allen anderen Damen vor.«
»Das ist wohl möglich. Ohne Zweifel bewundert er sie.«
»Und sie ihn,« fügte ich hinzu; »sehen Sie nur, wie sie ihren Kopf zu ihm neigt, als wenn sie vertraulich mit ihm spräche. Ich möchte ihr Gesicht so gern sehen; bis jetzt ist es mir nicht gelungen, einen Schimmer von ihr zu erhaschen.«
»Sie werden sie heute Abend sehen,« antwortete Mrs. Fairfax. »Zufällig bemerkte ich Mr. Rochester gegenüber, wie sehr Adele wünscht, den Damen vorgestellt zu werden, und da sagte er: »O! lassen Sie sie nach dem Mittagessen in den Salon kommen, und bitten Sie Miß Eyre sie zu begleiten.«
»Ja – er sagte das nur so aus Höflichkeit: gewiß, ich brauche nicht zu gehen,« antwortete ich.
»Nun – ich bemerkte ihm, daß ich kaum glaube, es sei Ihnen angenehm, vor einer so lustigen Gesellschaft zu erscheinen – noch dazu lauter Fremde – weil Sie so wenig daran gewöhnt seien, unter Menschen zu gehen. Da antwortete er mir in seiner raschen Weise: »Unsinn! Wenn sie Einwendungen macht, so sagen Sie ihr, daß es mein ganz besonderer Wunsch ist; und wenn sie dann noch widerspricht, so sagen Sie nur, daß ich kommen werde, sie im Falle des Ausbleibens zu holen.«
»Die Mühe werde ich ihm nicht machen,« entgegnete ich. »Wenn es nicht anders geht, so werde ich erscheinen; aber es macht mir durchaus keine Freude. Werden Sie auch dort sein, Mrs. Fairfax?«
»Nein, ich entschuldigte mich, und er nahm meine Entschuldigung an. Ich werde Ihnen sagen, wie Sie es anzufangen haben, um ein förmliches Eintreten zu vermeiden, denn das ist das Unangenehmste bei der ganzen Sache. Sie müssen in den Salon gehen, während er leer ist und die Damen die Tafel noch nicht verlassen haben. Wählen Sie Ihren Platz in irgend einem stillen Winkel, der Ihnen gefällt, und wenn es Ihnen nicht angenehm ist, brauchen Sie ja nicht mehr lange zu bleiben, nachdem die Herren hineinkommen. Wenn Mr. Rochester nur gesehen hat, daß Sie da sind, können Sie ja gleich fortschleichen – niemand wird Sie bemerken.«
»Glauben Sie, daß diese Leute lange hier bleiben?«
»Vielleicht zwei oder drei Wochen; gewiß nicht länger. Nach den Osterferien muß Sir George Lynn, der vor kurzem als Parlamentsmitglied für Millcote gewählt worden ist, nach London gehen, um seinen Sitz einzunehmen. Es wundert mich, daß er seinen Aufenthalt in Thornfield-Hall schon so lang ausgedehnt hat. Vermutlich wird Mr. Rochester ihn hinaufbegleiten.«
Mit einigem Zittern und Zagen sah ich die Stunde sich nahen, in welcher ich mich mit meiner Pflegebefohlenen in den Salon hinunter begeben sollte. Adele war während des ganzen Tages in einem Zustande der größten Erregung gewesen, nachdem sie gehört hatte, daß sie am Abend den Damen vorgestellt werden sollte; und erst als Sophie mit der Operation des Anziehens anfing, begann sie, sich ein wenig zu beruhigen. Dann nahm die Wichtigkeit des Prozesses sie bald gänzlich in Anspruch, und als sie dann endlich ihr Haar in glänzenden, tief herabwallenden Locken geordnet sah, ihr rosa Atlaskleid angelegt hatte, ihre lange Schärpe geknüpft und die zarten Spitzenhandschuhe angezogen hatte, sah sie so ernst aus wie ein Richter. Es bedurfte nicht der Ermahnung, ihre Toilette nicht in Unordnung zu bringen; als sie angekleidet war, setzte sie sich ernst und behutsam auf ihren kleinen Stuhl, vorher nahm sie aber sorgfältig ihr Atlasröckchen auf aus Furcht, es zu zerdrücken, und dann versicherte sie mich, daß sie sich nicht rühren werde, bevor ich bereit sei. Das war ich allerdings schnell: mein bestes Kleid – das silbergraue, das ich für Miß Temples Hochzeit gekauft und seitdem niemals wieder getragen hatte – war bald angelegt; mein Haar zu ordnen nahm wenig Zeit in Anspruch, dann nahm ich noch den einzigen Schmuckgegenstand, welchen ich besaß, die Perlenbrosche. Und nun gingen wir hinunter.
Glücklicherweise gab es noch einen anderen Eingang in den Salon als jenen durch den Speisesaal, in welchem alle Gäste beim Diner saßen. Wir fanden das Gemach leer; in dem Marmorkamin brannte ein großes Feuer, zwischen den seltenen, duftenden Blumen, mit welchen die Tische geschmückt waren, leuchteten Wachskerzen in fröhlicher Einsamkeit. Der feuerrote Vorhang wallte vor dem hohen Thürbogen herab; wie leicht auch die Draperie sein mochte, die uns von der Gesellschaft im anstoßenden Saale trennte, so drang von ihrer Konversation doch nichts zu uns heraus als ein ruhiges, halblautes Murmeln.
Adele, die noch unter dem Einflusse eines feierlichen Eindrucks zu stehen schien, setzte sich ohne zu sprechen auf den Fußschemel, den ich ihr bezeichnete. Ich zog mich in eine Fenstervertiefung zurück, nahm ein Buch vom nächsten Tische und bemühte mich zu lesen. Adele brachte ihren Schemel und setzte sich mir zu Füßen; nach kurzer Weile berührte sie mein Knie,
»Was willst du, Adele?«
»Est-ce-que je ne puis pas prendre une seule de ces fleurs magnifiques, Mademoiselle? Seulement pour compléter ma toilette? [Fußnote]
»Du denkst viel zu viel an deine Toilette, Adele! aber ich will dir trotzdem eine Blume geben.« Und ich nahm eine Rose aus einer der Vasen und steckte sie in ihre Schärpe. Sie stieß einen Seufzer unendlicher Befriedigung aus, als wenn der Becher ihres Glückes jetzt voll wäre. Ich wandte das Gesicht ab, um ein Lächeln zu verbergen, das ich nicht unterdrücken konnte. Es lag etwas komisches und doch wiederum trauriges in dem Ernst und der wirklichen Hingebung, mit welcher die kleine Pariserin die Angelegenheit ihrer Toilette behandelte.
Jetzt vernahm man das Geräusch des Zurückschiebens der Stühle; der Vorhang vor dem Thürbogen wurde zurückgezogen; das Innere des Speisesaals wurde sichtbar; der Kronleuchter sandte sein Licht auf eine Tafel herab, auf welcher schweres, prächtiges Silber- und funkelndes Glasservice in malerischer Unordnung durcheinander standen; unter der Wölbung des Bogens stand eine Gesellschaft von Damen; sie traten ein, und der Vorhang fiel wieder hinter ihnen.
Es waren ihrer nur acht; als sie jedoch ins Zimmer rauschten, schien es, als wären sie in weit größerer Anzahl. Einige von ihnen waren sehr groß, viele von ihnen trugen weiße Toiletten, und alle waren von einem Faltenreichtum umgeben, der ihre Gestalten zu vergrößern schien, wie ein Nebelhof den Mond vergrößert. Ich erhob mich und verneigte mich vor ihnen; eine oder zwei nickten als Erwiderung mit dem Kopfe; die andern starrten mich nur an.
Sie zerstreuten sich im Zimmer; in der Leichtigkeit und Lebhaftigkeit ihrer Bewegungen erinnerten sie mich an einen großen Schwarm weißer Vögel. Einige warfen sich in halbliegender Stellung auf die Sofas und Ottomanen; einige beugten sich über die Tische und besahen die Blumen und Bücher; die übrigen sammelten sich in einer Gruppe um den Kamin, alle sprachen in leisem, klarem Ton, der ihnen eigen zu sein schien. Später erfuhr ich ihre Namen, die ich ebenso gut schon an dieser Stelle nennen kann.
Vor allen Dingen war also Mrs. Eshton mit ihren beiden Töchtern da. Augenscheinlich war sie einst eine sehr schöne Frau gewesen, die sich noch jetzt wohl konserviert hatte. Von ihren Töchtern war die älteste, Amy, ziemlich klein, naiv und kindlich in Gesicht und Manieren, pikant in den Formen; ihr weißes Muslinkleid und die blaue Schärpe kleideten sie sehr gut. Die zweite, Louisa, war größer und eleganter von Figur; mit einem sehr hübschen Gesicht von jenem Typus, den die Franzosen »minois chiffonné« nennen; beide Schwestern waren weiß wie die Lilien.
Lady Lynn war eine große und starke Person von ungefähr vierzig Jahren; sehr gerade, sehr hochmütig aussehend, prächtig gekleidet in eine Robe von changeant farbigem Atlas; ihr dunkles Haar glänzte unter den Schatten einer azurfarbenen Feder, ein Reif von Diamanten schlang sich durch die Flechten.
Frau Oberst Dent war weniger auffallend, aber sie schien mir mehr lady-like. Sie war von schlanker Gestalt, hatte ein bleiches, sanftes Gesicht und blondes Haar. Ihr schwarzes Atlaskleid, ihre Schärpe von ausländischen Spitzen und ihr Perlenschmuck gefielen mir besser als die regenbogenartige Pracht der titelreichen Dame.
Aber die drei distinguiertesten Damen – teilweise vielleicht auch, weil sie die größten Gestalten der Gesellschaft – waren die verwitwete Lady Ingram und ihre beiden Töchter Blanche und Mary. Es waren die drei größten Frauengestalten, die ich jemals gesehen. Die Mutter mochte zwischen vierzig und fünfzig sein; ihr Haar war – bei Kerzenlicht wenigstens – noch immer schwarz; auch ihre Zähne waren scheinbar ganz fehlerlos. Die meisten Leute würden sie noch immer eine schöne Frau für ihr Alter genannt haben, und das war sie auch ohne Zweifel, wenn man nur von ihrem Äußeren sprach; aber in ihrer Haltung und ihrem Gesichtsausdruck lag etwas unerträglich hochmütiges. Sie hatte römische Gesichtszüge und ein Doppelkinn, das in einem Halse verschwand, der stark war wie eine Säule; diese Züge schienen mir nicht nur verdunkelt und verflacht, sondern sogar durchfurcht von Stolz. Das Kinn stützte sich auf dasselbe Prinzip und zwar in einer Lage, die in ihrer Aufrechtstellung fast übernatürlich erschien. Sie hatte ebenfalls ein hartes und trotziges Auge; es erinnerte mich an dasjenige Mrs. Reeds; sie kaute ihre Worte beim Sprechen; ihre Stimme war tief, ihre Modulation sehr volltönend, sehr dogmatisch – kurzum, ganz unerträglich. Eine feuerrote Samtrobe und ein Turban, der aus einem golddurchwirkten indischen Shawl gewunden war, bekleidete sie – wie sie selbst vermutlich glaubte – mit einer wahrhaft königlichen Würde.
Blanche und Mary hatten dieselbe Figur – schlank und gerade wie Pappeln. Mary war zu mager für ihre Höhe; aber Blanche war gewachsen wie eine Diana. Ich betrachtete sie natürlich mit ganz besonderem Interesse, Erstens wünschte ich zu sehen, ob ihre Erscheinung mit Mrs. Fairfax Beschreibung übereinstimmte; zweitens, ob sie überhaupt dem Fantasie-Miniaturbildchen ähnlich sei, welches ich von ihr gemalt hatte; und drittens – es muß heraus! – ob sie so sei, wie ich glaubte, daß sie sein müsse, um Mr. Rochesters Geschmack zu entsprechen.
So weit es ihre äußere Erscheinung betraf, glich sie Punkt für Punkt sowohl meinem Bilde wie Mr. Fairfax' Beschreibung. Die edle Büste – die herrlichen Schultern – der graziöse Nacken, die dunklen Augen und die schwarzen Locken: alles war da – aber ihr Gesicht? – Ihr Gesicht war dem ihrer Mutter ähnlich, eine jugendliche Ähnlichkeit ohne Falten und Runzeln – dieselbe niedere Stirn, dieselben großen Züge, derselbe Stolz. Es war indessen nicht ein so strenger Stolz, sie lachte unaufhörlich; ihr Lachen war satyrisch, und das war auch der gewöhnliche Ausdruck ihrer geschwungenen, hochmütigen Oberlippe.
Man sagt, daß das Genie selbstbewußt sei: ich weiß nicht, ob Miß Ingram ein Genie war, aber sie war selbstbewußt – ungewöhnlich selbstbewußt in der That. Sie begann mit der sanften Mrs. Dent ein Gespräch über Botanik. Es scheint, daß Mrs. Dent diese Wissenschaft nicht studiert hatte, obgleich sie, wie sie sagte, die Blumen liebte, »besonders die Wald- und Feldblumen;« Miß Ingram war indessen in dies Studium eingedrungen und mit einer Kennermiene ging sie das ganze Inhaltsverzeichnis durch. Ich merkte sofort, daß sie (was man im vaterländischen Dialekt so nennt) ein Treibjagen mit Mrs. Dent anstellte, das heißt über ihre Unwissenheit spottete. Dieses Treibjagen mochte geistreich sein, aber entschieden war es nicht gutmütig. Sie spielte: ihre Technik war brillant; sie sang: ihre Stimme war prächtig; sie sprach beiseite französisch mit ihrer Mama, und sie sprach es gut, fließend und mit trefflichem Accent.
Mary hatte ein milderes und offenherzigeres Gesicht als Blanche; ihre Züge waren auch sanfter, ihre Haut um einige Nuancen heller, (Miß Ingram war dunkel wie eine Spanierin) – aber Mary mangelte der Ausdruck, ihr Gesicht hatte keine Lebendigkeit, ihr Auge keinen Glanz; sie wußte nichts zu sagen, und wenn sie einmal ihren Sitz eingenommen hatte, blieb sie ruhig wie eine Statue in ihrer Nische. Die Schwestern waren beide in fleckenloses Weiß gekleidet.
Und glaubte ich nun wirklich, daß Miß Ingram die Wahl sei, welche Mr. Rochester möglicherweise treffen würde? Ich wußte es selbst nicht – ich kannte ja seinen Geschmack in Bezug auf weibliche Schönheit nicht. Wenn er das Majestätische liebte, so war sie der Typus der Majestät; außerdem war sie hochgebildet, unterrichtet, lebhaft. Die Mehrzahl der Männer mußte sie bewundern, wie ich meinte, und daß er sie bewunderte, dafür glaubte ich bereits Beweise zu haben. Um den letzten Schatten eines Zweifels zu entfernen, blieb mir nur noch übrig, beide zusammen zu sehen.
Du darfst nicht glauben, lieber Leser, daß Adele während all dieser Zeit bewegungslos auf ihrem Schemel zu meinen Füßen ausgeharrt hat; nein, als die Damen eintraten, erhob sie sich, ging ihnen entgegen, machte eine stattliche Verbeugung und sagte mit dem größten Ernst:
»Bonjour, mesdames.«
Und Miß Ingram hatte mit spöttischer Miene auf sie niedergeblickt und ausgerufen: »O, welch eine kleine Drahtpuppe!«
Lady Lynn hatte bemerkt: »Vermutlich ist es Mr. Rochesters Mündel – das kleine französische Mädchen, von dem er uns gesprochen hat.«
Mrs. Dent hatte sie freundlich bei der Hand genommen und ihr einen Kuß gegeben. Amy und Louisa Eshton hatten gleichzeitig ausgerufen:
»Welch ein reizendes Kind!«
Und dann hatten sie sie auf ein Sofa genommen, wo sie jetzt saß, von beiden eingeschlossen, und abwechselnd Französisch und gebrochenes Englisch sprach. Sie nahm nicht allein die Aufmerksamkeit der jungen Damen, sondern auch jene von Mrs. Eshton und Lady Lynn in Anspruch und wurde nach Herzenslust verzogen.
Endlich wurde der Kaffee gebracht, und man rief die Herren. Ich sitze im Schatten, wenn es in einem strahlend erleuchteten Zimmer überhaupt einen Schatten giebt; der Fenstervorhang verbirgt mich zur Hälfte. Wiederum gähnt der weite Thürbogen: sie kommen. Der kollektive Eintritt der Herren ist sehr imposant, wie jener der Damen. Sie sind alle in schwarz gekleidet; die meisten von ihnen sind groß, einige jung. Henry und Frederick Lynn sind in der That sehr elegante Stutzer. Und Oberst Dent ist ein schöner, militärisch aussehender Mann. Mr. Eshton, der Magistratsbeamte des Distrikts, ist sehr gentleman-like; sein Haar ist ganz weiß, seine Augenbrauen und der Bart sind noch dunkel; das giebt ihm etwas von dem Aussehen eines père noble vom Theater. Lord Ingram ist groß wie seine Schwestern, wie sie ist er ebenfalls schön, aber er hat den apathischen, leblosen Blick Marys, er scheint längere Gliedmaßen als Lebendigkeit des Bluts oder Kraft des Gehirns zu haben.
Und wo ist Mr. Rochester?
Endlich tritt auch er ein. Ich blicke nicht nach dem Thürbogen hin, aber ich sehe ihn eintreten. Ich versuche, meine Aufmerksamkeit auf diese Stricknadeln, auf die Maschen der Börse, die ich stricke, zu lenken – ich will nur an die Arbeit denken, die ich in Händen habe, nur auf die Silberperlen und Seidenfäden sehen, die auf meinem Schoße liegen – aber ich sehe so deutlich seine Gestalt und unwillkürlich rufe ich den Augenblick in mein Gedächtnis zurück, wo ich ihn zuletzt sah: gleich nachdem ich ihm einen Dienst erwiesen hatte, den er bedeutsam zu nennen beliebt hatte – und er meine Hand haltend, auf mein Gesicht blickend, mich mit Augen musterte, die ein Herz verrieten, das zum Überfließen voll war – und an dieser Rührung hatte ich einen Anteil! Wie nahe war ich ihm in jenem Augenblick gewesen! Was war inzwischen geschehen, das unsere gegenseitige Stellung ändern konnte? Und jetzt, wie fremd, wie fern waren wir einander! So fremd, daß ich nicht einmal mehr erwartete, daß er zu mir kommen und mit mir sprechen würde. Ich wunderte mich also nicht, daß er, ohne mich anzusehen, am andern Ende des Zimmers einen Stuhl nahm und mit einigen Damen ein Gespräch begann.
Kaum hatte ich bemerkt, daß seine Aufmerksamkeit auf diese gelenkt war und ich ihn ansehen konnte, ohne daß es bemerkt wurde, heftete ich meine Augen auf sein Gesicht. Ich konnte ihre Lider nicht unter Kontrolle halten: sie wollten sich heben, und ihre Iris wollte auf ihm haften. Ich blickte ihn an und fand eine innige Freude am Anblick, eine köstliche, eine schmerzliche Freude; reines Gold mit einer tödlichen Spitze von Stahl; eine Freude, jener ähnlich die ein verdurstender Mensch empfindet, der da weiß, daß der Brunnen, zu welchem er gekrochen, vergiftet ist, und doch sich niederbeugt und den tödlichen Trunk trinkt.
Wie wahr ist es, daß »die Schönheit im Auge des Beschauers liegt.« Das farblose, olivenfarbene Gesicht meines Gebieters, seine eckige, massive Stirn, seine breiten, rabenschwarzen Augenbrauen, seine dunklen Augen, die starken Züge, sein fester, strenger Mund – alles Energie, Entschlossenheit und Willen – sie waren nicht schön nach allen Regeln der Schönheit; aber für mich waren sie mehr als schön; die Züge waren interessant, ein Einfluß, der mich gänzlich übermannt hatte, der meine Gefühle meiner eigenen Macht entwand und sie der seinen unterordnete. Ich hatte nicht die Absicht, ihn zu lieben; der Leser weiß, daß ich alles versucht hatte, die Keime dieser Liebe aus meiner Seele zu reißen, sobald ich sie entdeckt hatte; und jetzt, wo ich ihn zum erstenmale wiedersah, lebten sie sofort frisch und stark und neu wieder auf! Ohne daß er mich ansah, machte er, daß ich ihn lieben mußte.
Ich verglich ihn mit seinen Gästen. Was war die tapfere Grazie der Lynns, die schmachtende Eleganz Lord Ingrams – sogar die militärische Distinktion Oberst Dents, im Vergleich zu der inneren Kraft und angeborenen Macht, welche aus seinen Blicken sprach? Mit ihrem Ausdruck, ihrer Erscheinung hatte ich keine Sympathie – und doch konnte ich mir vorstellen, daß es Leute gäbe, welche sie anziehend, schön, imposant finden mußten, während sie Mr. Rochester sofort unschön und melancholisch aussehend erklären würden. Ich sah sie lächeln, lachen – es war nichts; das Licht der Kerzen hatte mehr Seele in sich, als ihr Lächeln; das Klingen der Schellen ebensoviel Bedeutung als ihr Lachen. Ich sah Mr. Rochester lächeln: – seine harten Züge wurden weich, sein Auge wurde glänzend und sanft, sein Strahl süß und bis ins Herz dringend. In diesem Augenblick sprach er mit Louise und Amy Eshton. Es setzte mich in Erstaunen zu sehen, mit welcher Ruhe sie den Blick auffingen, der mir so durchdringend erschien; ich erwartete, daß ihre Augen sich senken würden, daß ihre Farbe kommen und gehen würde – und doch war ich glücklich, als ich sah, daß sie in keiner Weise bewegt waren. »Er ist für sie nicht, was er für mich ist,« dachte ich, »er ist nicht ihres Gleichen. Ich glaube, er ist von meiner Art – ich bin dessen gewiß – ich fühle mich ihm verwandt – ich verstehe die Sprache seiner Bewegungen, seiner Gesichtszüge; wenn auch Rang und Reichtum eine weite Kluft zwischen uns bilden, so habe ich etwas in meinem Hirn und Herzen, in meinem Blut und meinen Nerven, das mich ihm geistig gleich stellt. Habe ich noch vor wenigen Tagen gesagt, daß ich nichts weiter mit ihm zu thun habe, als meinen Lohn aus seinen Händen zu empfangen? Habe ich mir untersagt, ihn in einem andern Lichte zu sehen, als in dem meines Zahlmeisters? Blasphemie gegen die Natur! Jedes gute, wahre, mächtige Gefühl, das mir innewohnt, sammelt sich um ihn. Ich weiß, daß ich meine Empfindungen verbergen muß, daß ich alle Hoffnung ertöten muß; ich darf nicht vergessen, daß er nur wenig Intresse für mich hegen kann. Denn wenn ich sage, daß ich von seiner Art bin, so meine ich nicht, daß ich seine Kraft des Einflusses besitze und seinen Zauber der Anziehungskraft. Ich will nur sagen, daß ich gewisse Ansichten und Gefühle mit ihm gemein habe. Und ich muß fortwährend wiederholen, daß wir für ewig getrennt sind: – und doch, so lange ich atme und denke, so lange muß ich ihn lieben.« Der Kaffee wird umhergereicht. Seitdem die Herren ins Zimmer getreten, sind die Damen lebhaft wie die Lerchen geworden, die Konversation wird lustig und angeregt. Oberst Dent und Mr. Eshton sprechen über Politik, ihre Frauen hören ihnen zu. Die beiden stolzen Witwen, Lady Lynn und Lady Ingram fabulieren miteinander. Sir George – den ich nebenbei zu beschreiben vergessen habe – ein sehr großer und blühend aussehender Landedelmann steht vor ihrem Sofa mit der Tasse in der Hand und läßt gelegentlich ein Wort in die Konversation einfließen. Mr. Frederick Lynn hat neben Mary Ingram Platz genommen und erklärt ihr die Kupferstiche eines prächtigen Werkes; sie horcht mit Aufmerksamkeit, lächelt dann und wann, spricht aber augenscheinlich sehr wenig. Der große und phlegmatische Lord Ingram lehnt mit verschränkten Armen auf der Rücklehne des Stuhls, auf welchem die kleine, lebhafte Amy Eshton Platz genommen hat; sie blickt zu ihm auf und plaudert wie ein Zaunkönig; sie mag ihn lieber als Mr. Rochester. Henry Lynn hat zu Louisas Füßen auf einer Ottomane Platz genommen; Adele teilt sie mit ihm; er versucht, mit ihr französisch zu sprechen, und Louisa lacht über seine Ungeschicktheit und Tölpeleien. Zu wem wird Blanche Ingram sich gesellen? Sie steht allein am Tische und beugt sich voll Grazie über ein Album. Es scheint, daß sie darauf wartet, gesucht zu werden; aber zu lange wird sie nicht warten; sie selbst wählt einen Gefährten.
Mr. Rochester steht, nachdem er die Eshtons verlassen, ebenso einsam am Kamin, wie sie am Tische; sie stellt sich ihm gegenüber, indem sie den Platz an der andern Seite des Kaminsimses einnimmt.
»Mr. Rochester, ich glaubte, daß Sie kein Freund von Kindern seien!«
»Das bin ich auch nicht.«
»Wie ist es denn gekommen, daß Sie sich solch einer kleinen Puppe, wie jene dort, annehmen konnten?« Damit zeigte sie auf Adele. »Wo haben Sie sie gefunden?«
»Ich habe sie nicht gefunden. Sie wurde mir hinterlassen.«
»Sie hätten sie in die Schule schicken sollen.«
»Das konnte ich nicht erschwingen. Schulen sind so teuer.«
»Nun, ich vermute, daß Sie eine Gouvernante für sie genommen haben. Soeben habe ich eine Person mit ihr gesehen – ist sie nicht mehr da? O, nein, da sitzt sie ja hinter dem Fenstervorhang. Sie müssen ihr doch wahrscheinlich auch Lohn zahlen, und ich glaube, das ist ebenso teuer und noch teurer. Sie müssen da ja beiden zu essen und zu trinken geben.«
Ich fürchtete, – oder soll ich sagen, ich hoffte, daß die Erwähnung meiner Person Mr. Rochesters Blicke nach jener Richtung lenken würden, wo ich saß, und unwillkürlich zog ich mich tiefer in den Schatten zurück, – aber er wandte sich nicht um.
»Ich habe die Sache nicht überlegt,« sagte er gleichgiltig und blickte gerade vor sich hin.
»Nein, ihr Männer überlegt niemals, was ökonomisch und was vernünftig ist. Sie sollten Mama über das Kapitel der Gouvernanten hören. Ich glaube, Mary und ich haben zu unserer Zeit mindestens ein Dutzend gehabt; die Hälfte von ihnen waren abscheulich, die übrigen nur lächerlich, und alle miteinander unerträglich – nicht wahr, Mama?«
»Sprachst du zu mir, mein einziges Kind?«
Die junge Dame, welche auf diese Weise als das ganz besondere Besitztum der Witwe-Mutter bezeichnet wurde, wiederholte ihre Frage mit einer Erklärung.
»Mein teures Kind, sprich nur nicht von Gouvernanten; das Wort allein macht mich schon nervös. Ihre Unwissenheit und Launen legten mir ein Märtyrertum auf. Ich danke Gott täglich, daß ich endlich mit ihnen fertig bin!«
Hier neigte Mrs. Dent sich zu der frommen Dame hinüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Aus der Antwort, welche erfolgte, schloß ich, daß sie sie an die Anwesenheit einer aus der geächteten Race erinnerte.
»Tant pis!« sagte die Lady, »ich hoffe, daß es ihr nützlich sein wird!« Dann fügte sie leise hinzu, aber immer noch laut genug, um von mir gehört zu werden, »ich habe sie sehr wohl bemerkt; ich bin eine Beurteilerin von Physiognomien und in der ihren sehe ich alle Fehler ihrer Klasse.«
»Und welches sind diese, Madame?« fragte Mr. Rochester laut.
»Das werde ich Ihnen leise ins Ohr sagen,« entgegnete sie und wackelte dreimal mit ihrem Turban bedeutsam und vielsagend hin und her.
»Meine Neugierde möchte aber gern gleich befriedigt sein; sie ist ganz ausgehungert.«
»Fragen Sie, Blanche; sie ist Ihnen näher als ich.«
»O Mama, weise ihn nicht an mich! Ich habe nur ein einziges Wort für den ganzen Stamm! Sie sind einfach eine Plage! Ein notwendiges Übel! Nicht, daß ich selbst jemals viel von ihnen gelitten hätte! Nein, ich trug stets Sorge, den Spieß zu wenden. Welche Streiche Theodor und ich unseren Miß Wilsons, und Mrs. Greys, und Madame Jouberts zu spielen pflegten! Mary war stets zu schläfrig, um mit ganzer Seele an unseren Verschwörungen teilzunehmen. Den besten Spaß hatten wir mit Madame Joubert. Miß Wilson war ein armes, kränkliches, trauriges, weinerliches Ding, kurz und gut, es verlohnte gar nicht der Mühe, bei ihr zu siegen; und Mrs. Gray war roh und unempfindlich, sie spürte keinen Schlag. Aber die arme Madame Joubert! Ich sehe sie noch in ihrer tobenden Leidenschaft, wenn wir sie zum äußersten getrieben hatten – sie vergoß unseren Thee, zerbröckelte unsere Butterbrote, warf unsere Bücher bis zur Decke empor und machte ein buntes Durcheinander mit dem Lineal und dem Schreibpult, dem Kamingitter und der Feuerzange. Theodor, denkst du noch an jene fröhlichen Tage?«
»Ja, gewiß thue ich das,« schnarrte Lord Ingram, »und der arme alte Krüppel pflegte auszurufen: »O, Ihre schlechte, böse Kindern!« – und dann predigten wir ihr wieder, wie vermessen sie sei, solche klugen Wesen, wie wir waren, belehren zu wollen, wenn sie selbst doch so unwissend sei.«
»Ja, das thaten wir! und Theodor, weißt du noch, wie ich dir immer half, deinen Hofmeister, den blassen, grauen Mr. Vining zu peinigen und zu verfolgen? Den kranken Zukunftspastor, wie wir ihn nannten? Er und Miß Wilson nahmen sich die Freiheit, sich ineinander zu verlieben – wenigstens bildeten Theodor und ich uns das ein; wir fingen verschiedene zärtliche Blicke und Seufzer auf, die wir als Anzeichen der ›belle passion‹ deuteten. Und ich kann Sie versichern, das Publikum profitierte gar bald von unserer Entdeckung; wir brauchten sie wie eine Art Krahn, um unseren Ballast aus dem Hause herauszuhissen. Meine gute Mama dort, sobald sie einen Wink von der Geschichte bekommen hatte, fand bald heraus, daß die Sache eine unmoralische Tendenz hatte. Nicht wahr, meine süße Lady-Mutter?«
»Gewiß, meine Beste. Und ich hatte auch recht. Verlassen Sie sich darauf. Es giebt tausend Gründe, weshalb eine Liaison zwischen der Gouvernante und dem Hofmeister in einem wohlgeregelten Haushalte nicht geduldet werden sollte; erstens also –«
»Um der Barmherzigkeit willen, Mama! Verschone uns mit dem Herzählen der Gründe! Du reste, wir kennen sie ja alle: die Gefahr des schlechten Beispiels für die Unschuld der Jugend; Zerstreuung und darauf folgende Vernachlässigung der Pflichten seitens der Verliebten – gegenseitiges Bündnis und Unterstützung; daraus entspringende Sicherheit – in Begleitung von Frechheit – Empörung, Meuterei und allgemeiner Krach! Habe ich nicht recht, Baronin Ingram von Ingram-Park?«
»Meine reine Lilie, du hast auch jetzt recht, wie immer.«
»Verlieren wir also kein Wort mehr darüber. Sprechen wir von etwas anderem.«
Amy Eshton, die dieses Diktum nicht gehört oder nicht beachtet hatte, fiel in ihrem sanften, kindlichen Tone ein: »Louisa und ich pflegten unsere Gouvernante auch zu quälen, aber sie war ein so liebes, gutes Wesen, sie ertrug alles, nichts konnte ihre gute Laune stören. Sie war niemals böse mit uns, nicht wahr, Louisa? Niemals.«
»Nein, niemals; wir konnten thun, was wir wollten; ihren Nähtisch und ihr Schreibpult durchstöbern und ihre Schiebladen umkramen und das unterste nach oben kehren; und sie war immer gutmütig, sie gab uns alles, was wir verlangten.«
»Ich vermute,« sagte Miß Ingram, indem sie die Lippen sarkastisch verzog, »daß wir jetzt einen Auszug aus den Memoiren aller lebenden und gewesenen Gouvernanten zu hören bekommen. Um einer solchen Heimsuchung zu entgehen, bringe ich noch einmal wieder die Besprechung eines neuen Themas in Anregung. Mr. Rochester, stimmen Sie meinem Vorschlage bei?«
»Madam, ich unterstütze Sie in dieser Hinsicht wie in jeder anderen.«
»Dann möge mir also gestattet sein, damit zu beginnen. Signor Eduardo, sind Sie heute Abend bei Stimme?«
»Donna Bianca, wenn Sie befehlen, werde ich es sein.«
»Dann Signor, hört also meinen königlichen Befehl, Eure Lungen und anderen vokalen Organe herauszuputzen, da sie in meinem königlichen Dienste gebraucht werden.«
»Wer möchte nicht der Rizzio einer solchen göttlichen Maria sein?«
»Was soll mir Rizzio!« rief sie, den Kopf in den Nacken werfend, so daß alle Locken flatterten, als sie ans Klavier ging. »Meine Meinung ist, daß der Fiedler David ein alberner Geselle gewesen sein muß. Mir gefällt Bothwell besser. Ich liebe keinen Mann, der nicht ein wenig vom Teufel in sich hat; und die Geschichte mag von James Hepburn sagen, was sie will – ich bilde mir ein, daß er gerade der wilde, trotzige Banditenheld war, den ich zu heiraten eingewilligt haben würde.«
»Meine Herren, Sie hören! Wer von Ihnen hat am meisten Ähnlichkeit mit Bothwell?« rief Mr. Rochester.
»Ich möchte fast glauben, daß Sie diesen Vorzug genießen,« antwortete Oberst Dent.
»Bei meiner Ehre, ich bin Ihnen sehr verbunden,« lautete die Antwort.
Miß Ingram, die jetzt mit stolzer Grazie am Klavier Platz genommen hatte und ihre schneeweiße Robe in königlichem Faltenwurf um sich ordnete, begann nun ein brillantes Präludium, indem sie weitersprach. Sie saß an diesem Abend augenscheinlich auf dem hohen Pferde; sowohl ihre Worte wie ihre Miene schienen nicht allein die Bewunderung sondern auch das Erstaunen ihrer Zuhörer herausfordern zu sollen. Augenscheinlich wollte sie einen blendenden, verblüffenden Eindruck auf sie machen.
»Ach, ich bin der jungen Männer von heute so müde!« rief sie aus, indem sie weiter über die Tasten rasselte. »Arme, kranke, verzärtelte Dinger, die nicht imstande sind, einen Schritt über die Pforten von Papas Park hinauszuthun; die ohne Mamas Erlaubnis und Schutz nicht einmal so weit zu gehen wagen! Kreaturen, die durch die Sorge um ihre hübschen Gesichter und ihre weißen Hände und ihre kleinen Füße vollständig in Anspruch genommen werden! Als wenn die Männer überhaupt etwas mit Schönheit zu thun hätten! Als wenn die Lieblichkeit nicht die besondere Prärogative der Frauen wäre – ihre rechtmäßige Apanage und ihr Erbteil! Ich gebe zu, daß ein häßliches Weib ein Flecken auf dem schönen Gesicht der Schöpfung ist. Ein Mann aber soll nur sorgen, daß er Tapferkeit und Mut und Kraft besitzt! Laß ihr Motto sein: Jagd, Kampf, Schlacht!« Das übrige ist nicht der Rede wert. Das wäre meine Devise, wenn ich ein Mann wäre!«
»Wenn ich mich jemals verheirate,« fuhr sie fort nach einer Pause, die niemand unterbrach, »so bin ich entschlossen, daß mein Gemahl nicht mein Rival, sondern meine Folie sein soll. Ich werde keinen Mitbewerber um die Herrschaft dulden; ich werde ungeteilte Huldigung verlangen. Seine Anbetung darf nicht zwischen mir und der Gestalt, welche er im Spiegel sieht, geteilt werden. Mr. Rochester, singen Sie jetzt, und ich werde Sie begleiten.«
»Ich bin ganz Gehorsam,« lautete die Antwort.
»Hier ist also ein Korsarenlied. Sie müssen wissen, daß ich die Korsaren vergöttere, und deshalb müssen Sie das Lied ›con spirito‹ singen.«
»Ein Befehl von Miß Ingram würde selbst einem Glase Milch und Wasser Begeisterung einflößen.«
»Nehmen Sie sich also in Acht. Wenn Sie nicht nach meinem Geschmack singen, so werde ich Sie beschämen, indem ich Ihnen zeige, wie solche Dinge gesungen werden müssen.«
»Das hieße ja, dem Nichtkönnen eine Prämie aussetzen! Jetzt werde ich mich bemühen, es schlecht zu machen.«
»Gardez-vous-en bien! Wenn Sie absichtlich Fehler machen, so werde ich Ihnen eine passende Strafe diktieren.«
»Miß Ingram sollte barmherzig sein, denn es liegt in ihrer Macht, eine Strafe zu verhängen, welche über menschliche Kraft hinausgeht.«
»Ha! erklären Sie sich,« rief die Dame aus.
»Verzeihen Sie mir! Eine Erklärung ist hier nicht nötig; Ihr eigenes feines Gefühl muß Ihnen sagen, daß ein Stirnrunzeln von Ihnen ein vollständiger Ersatz für die Todesstrafe wäre.«
»Singen Sie!« sagte sie und begann eine lebhafte Begleitung auf dem Klavier zu spielen.
»Jetzt ist meine Zeit gekommen, mich fortzuschleichen,« dachte ich, aber die Töne, welche in diesem Augenblick an mein Ohr schlugen, hielten mich zurück. Mrs. Fairfax hatte gesagt, daß Mr. Rochester eine schöne Stimme besitze. Das war der Fall – ein weicher, kräftiger Baß, in dem seine ganze Kraft, all sein Gefühl lag, der einen Weg durch das Ohr zum Herzen fand und dort ein wunderbar seliges Empfinden weckte. Ich wartete, bis der letzte tiefe, volle Ton ausvibriert – bis die Flut des Gesprächs, die für einen Augenblick zu rauschen aufgehört, in den alten Strom eingelenkt hatte; dann verließ ich meinen verborgenen Winkel und ging durch eine Seitenthür hinaus, die mir glücklicherweise sehr nahe war. Von dieser führte ein schmaler Korridor in die Halle; als ich durch dieselbe schritt, bemerkte ich, daß meine Sandale sich gelöst hatte; ich beugte mich, um sie wieder fest zu binden und stellte meinen Fuß zu diesem Zweck auf den Teppich der Treppe. Da vernahm ich, wie die Thür des Speisezimmers geschlossen wurde; ein Herr trat heraus; hastig richtete ich mich auf und stand ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Es war Mr. Rochester.
»Wie geht es Ihnen?« fragte er.
»Es geht mir sehr gut, Sir.«
»Weshalb kamen Sie im Zimmer nicht, um mit mir zu sprechen?«
Ich dachte, daß ich dieselbe Frage an den hatte richten können, der sie that, aber ich erlaubte mir diese Freiheit nicht. Ich antwortete: »Ich wollte Sie nicht stören, da Sie vollauf beschäftigt schienen, Sir.«
»Was haben Sie während meiner Abwesenheit gemacht?«
»Nichts besonderes; ich habe Adele unterrichtet wie gewöhnlich.«
»Und sind sehr viel blasser geworden, als Sie waren; das sah ich auf den ersten Blick. Was ist geschehen?«
»Gar nichts, Sir.«
»Haben Sie sich an jenem Abend, als Sie mich beinahe ertränkten, erkältet?«
»Durchaus nicht.«
»Gehen Sie in den Salon zurück; Sie entfernen sich zu früh.«
»Ich bin müde, Sir.«
Er sah mich einen Augenblick an,
»Und ein wenig traurig,« sagte er. »Was fehlt Ihnen? Sagen Sie es mir.«
»Nichts – nichts, Sir. Ich bin nicht traurig.«
»Aber ich versichere Sie, daß Sie es sind, – so traurig, daß Ihnen die Thränen in die Augen treten würden, wenn ich noch einige Worte spräche – in der That, ich sehe sie dort schon schimmern und glänzen, und jetzt ist eine Perle von dem Augenlid auf die Wange herabgerollt. Wenn ich Zeit hätte und nicht in tödlichster Angst wäre, daß irgend eine Klatschbase von einem Dienstboten hier vorüber kommen könnte, so würde ich bald herausfinden, was dies alles bedeutet. Nun, für heute Abend will ich Sie entschuldigen; aber verstehen Sie wohl, daß ich erwarte, Sie jeden Abend im Salon zu sehen, so lange meine Gäste hier sind. Es ist mein Wunsch; vergessen und vernachlässigen Sie ihn nicht. Jetzt gehen Sie. Schicken Sie Sophie, daß sie Adele holt. Gute Nacht, mein –«

Hier hielt er inne, biß sich auf die Lippen und verließ mich plötzlich. 

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