Die kleine Truppe wandte sich gegen Südosten. Simpson lenkte den Schlitten, Duk unterstützte ihn eifrig und schien über die Thätigkeit seiner eingespannten Kameraden gar nicht besonders erstaunt. Hatteras und der Doctor machten den Schluß, indeß Bell, der vorausging, Bahn machte und mit der Eisenspitze seines Stockes den gefrorenen Boden untersuchte.
Der hohe Stand des Thermometers verkündete einen nahen Schneefall, der denn auch nicht lange auf sich warten ließ. Die dichten Flockenwirbel erhöhten die Schwierigkeiten der Reise; man wich von der geraden Linie ab und kam nicht schnell vorwärts, doch legte man im Mittel noch drei Meilen per Stunde zurück.
Das Eisfeld zeigte in Folge verschiedenen Frosteinflusses eine ungleiche, höckerige Oberfläche; oft stieß der Schlitten heftig auf und neigte sich, je nach dem Wege, wohl bis zu bedrohlichem Winkel; doch ging noch Alles ohne Unfall ab.
Hatteras und seine Genossen waren dicht verhüllt in ihre nach Grönländer-Muster gefertigte Bekleidung, die sich durch ihre Form keineswegs vortheilhaft auszeichnete; dagegen war sie dem Klima angepaßt. Das Gesicht der Reisenden war von einer für Wind und Schnee undurchdringlichen Caputze umrahmt; nur Mund, Nase und Augen kamen in Berührung mit der Luft, und es wäre auch nicht gut gethan gewesen, diese Theile davor zu schützen. Es giebt nichts Unbequemeres, als hohe Kragen und Cache-Nez, welche in solcher Kälte sogleich steif gefrieren; im Gegentheil muß man für den Athem einen freien Ausweg lassen, der sonst, wenn er auf ein Hinderniß trifft, sogleich gefriert.
Die unermeßliche Ebene zeigte eine ermüdende Eintönigkeit; aufgethürmte Eisschollen, die immer den gleichen Anblick boten, Spitzhügel, deren Unregelmäßigkeit sich regelmäßig wiederholte, und Eisberge, zwischen denen sich gewundene Thäler hinschlängelten. Den Compaß in der Hand ging es vorwärts; die Reisenden sprachen wenig. In dieser kalten Luft war schon das Oeffnen des Mundes nicht ohne Beschwerden; spitze Eiskrystalle schossen sogleich zwischen den Lippen an, welche die Wärme des Athems kaum wieder zu schmelzen vermochte. Schweigend ging es weiter, und Jeder untersuchte erst mit dem Stocke den unbekannten Boden. Bell´s Schritte drückten sich in der weichen Schneelage ein; man folgte ihnen aufmerksam, und da, wo er geschritten war, konnten es auch die Nachfolgenden ohne Sorge wagen.
Nach allen Richtungen hin zeigten sich zahlreiche Spuren von Bären und Füchsen, doch sah man den ganzen Tag über kein solches Thier; auch wäre eine etwaige Jagd sowohl gefährlich, als auch deshalb Unnütz gewesen, weil man den ohnehin schweren Schlitten nicht wohl noch mehr belasten konnte.
Bei Expeditionen dieser Art pflegen die Reisenden gewöhnlich kleinere Lebensmitteldepots auf dem Wege anzulegen, die sie zum Schutz gegen wilde Thiere in Schneehöhlen verstecken. Auf diese Weise verringern sie um ebensoviel die mitzuführende Last, und nehmen erst auf dem Rückwege jene Provisionen wieder auf, deren Hin- und Hertransport sie sich erspart haben.
Leider konnte sich Hatteras auf einem vielleicht noch beweglichen Eisfelde dieses Mittels nicht bedienen; auf dem festen Lande erwiesen sich derartige Depots sehr vortheilhaft, aber nicht für eine Reise quer über Eisfelder weg, bei welcher es sehr zweifelhaft blieb, ob der Rückweg über dieselben Punkte führen werde.
Zu Mittag hielt die kleine Gesellschaft unter dem Schutze einer Eismauer und es ward ein Imbiß aus Pemmican und heißem Thee eingenommen; die belebenden Eigenschaften dieses Getränkes erzeugten den Reisenden ein behagliches Gefühl von Wohlsein, dem sie sich auch nach Möglichkeit hingaben.
Nach einstündiger Ruhe brach man wieder auf; den ganzen Tag über wurden zwanzig Meilen zurückgelegt, aber obgleich am Abend Menschen und Thiere gleichmäßig erschöpft waren, mußte man doch noch ein Schneehaus errichten, da das mitgenommene Zelt offenbar nicht genug Schutz bot. Nach anderthalb Stunden war das Werk vollbracht. Bell zeigte sich hierbei so nützlich wie geschickt; schnell stiegen die wie mit dem Messer geschnittenen Eisblöcke über einander und bildeten ein Gewölbe, dem ein genau passender Block als Schlußstein eingefügt wurde; der weiche Schnee diente als Mörtel; er füllte die Fugen und da er bald erhärtete, erschien das ganze wie ein hohler Block aus einem einzigen Eisstücke. – Nur eine enge, niedrige Oeffnung, durch welche man kriechend gelangte, bildete den Zugang zu dieser improvisirten Grotte. Nicht ohne Mühe kroch der Doctor hinein, und die Uebrigen folgten ihm. Schnell wurde nun auf der Küche mittelst Spiritus die Nachtmahlzeit hergerichtet. Die innere Temperatur dieses Schneehauses wurde dabei ganz erträglich; draußen pfiff der Wind, aber nirgends fand er einen Eingang zum Innern desselben.
»Zu Tische!« rief bald der Doctor mit freudiger Stimme.
Gemeinschaftlich wurde die Mahlzeit, die zwar immer fast dieselbe blieb, aber doch kräftigend war, eingenommen. Nach ihrer Beendigung dachte Jeder nur noch an den Schlaf. Gegen jede Feuchtigkeit schützten die über den Schnee gebreiteten Makintosh-Decken. Strümpfe und Schuhwerk wurden inzwischen an der Heerdflamme getrocknet; dann streckten sich je drei der Reisenden eingewickelt in dicke wollene Decken nieder und schliefen, indeß der Vierte wachte, der für die Sicherheit Aller zu sorgen hatte und auch den Zugang zum Hause offen erhielt, ohne welche Vorsicht man leicht andern Tages lebendig begraben gewesen wäre.
Duk theilte den allgemeinen Schlafraum; die andern Hunde blieben draußen und verkrochen sich, nachdem sie genügend gefüttert waren, unter dem Schnee, der sie bald undurchdringlich einhüllte.
Tief ruhten die müden Schläfer nach den Strapazen des Tages. Um drei Uhr früh trat der Doctor seinen Theil der Nachtwache an; draußen in der finstern Nacht tobte sich der Orkan aus. – Welch seltsame Lage, diese wenigen Leute, wie verloren im Schnee, verborgen in einem Eisgrabe, dessen Wände jeder Windstoß verdickte!