Als sie wie alle andern ihrem Bedauern, daß er fort müsse, Ausdruck gab, hatte er sie einen Moment flüchtig angeschaut und dann lächelnd versichert, solches Interesse sei zu viel Ehre für ihn. Während des ganzen Abends fand sie bei ihm die kühle Höflichkeit und Gleichgültigkeit wieder, die er ihr auf Floras und Gustavs Hochzeitsfest erwiesen hatte, und nichts von der großen Liebe, den ehrerbietigen und doch so auffallenden Huldigungen der letzten Tage. Zuerst war Irma sehr erstaunt — Hans zeigte sich so heiter, so gut aufgelegt, so ruhig und absolut nicht reizbar oder erregt, daß sie diese plötzliche Umwandlung nicht begriff — dann wurde sie wütend. Was bildete er sich denn ein? Wagte auch er es, mit ihr zu spielen? Sie wollte ihn haben, um sich an Hochstein zu rächen; vereitelte er diesen Plan, so sollte er dafür büßen. Sie hätte vor Zorn weinen mögen und durfte sich doch nichts merken lassen, sondern mußte tun, als unterhielte sie sich herrlich. Sie hatte über den einfältigen Hans die Achseln gezuckt, der sich so rasch wieder einfangen ließ, der aufs neue ihr gehorsamer Sklave war, als sie ihn durch ihr gefallsüchtiges Betragen anlockte. Jetzt hätte sie ihn so gern ausgelacht, sich über ihn lustig gemacht, ihn zur Zielscheibe ihres Spottes gewählt, aber sie konnte nicht; es lag etwas in seiner Haltung, seinem Benehmen, was sie hinderte. Suchte sie ihn dennoch aufzuziehen, so ging niemand darauf ein — sie machte sich nur selbst lächerlich und hatte die größte Mühe, ihren Ärger zu unterdrücken.
Kein Wunder, daß sie nun auf onkel Heinz' Frage auch heftig und böse antwortete:
„Ich habe nichts zu beichten. Ob Hans fortgeht oder bleibt, ist mir vollständig einerlei.“
„Ich glaubte doch ....“ nahm der Professor wieder das Wort, Irma aber, gereizt durch alle Vorfälle der letzten Zeit, fiel ihm mit der ganzen Frechheit eines verzogenen Kindes in die Rede:
„Du brauchst nichts zu glauben, onkel Heinz. Zwischen dem Bauern und mir gibt's nichts. Ich will gar nichts mit ihm zu schaffen haben.“
onkel Heinz wurde nicht böse.
„Dann ist's ja gut,“ sagte er ruhig, „denk' nur an das Märchen vom Schweinehirten, Kind.“
Tränen der Entrüstung und Wut in den Augen, wandte Irma sich ab. —
Das Fest war zu Ende, und die Wagen fuhren vor. Beim Abschiednehmen kam Flora von Holten auf den Einfall, daß es himmlisch sein müsse, nach Hause zu gehen. Es war Vollmond und die Luft so lind, daß es als wahre Erquickung erschien, nach der Hitze und dem Trubel des Festmahls eine Viertelstunde in der erfrischenden Nachtluft zu verbringen. Der Vorschlag der jungen Frau fand allgemeinen Beifall bei der Jugend. Der Weg führte durch den Park, der die Stadt mit dem Villenviertel, wo onkel Heinz wohnte, verband, und bot daher für die Goldleder- und Lackschuhe der jungen Damen keine Schwierigkeit. Ilse und die älteren Herrschaften schüttelten über diesen tollen Einfall die Köpfe, aber unter lautem Jubel wurden sie in die Wagen befördert, und das junge Volk machte sich zu Fuß auf den Weg.
Ein schmucker Leutnant, ein Freund Ludwigs, wollte Irma gerade den Arm bieten, als Hans ihm zuvorkam mit den Worten:
„Ich darf Sie wohl nach Hause bringen, Irma.“