»Aber Sie haben sie ja verflucht!«
»Wer hat das gesagt?« antwortete der Greis entsetzt. »Sie wissen doch, daß ich sie liebe, sie anbete! Ich werde gesund, wenn ich sie sehe . . . Also, mein guter Nachbar, mein liebes Kind, gehen Sie zu ihnen. Sie sind gut, Sie! Ich möchte Ihnen danken, aber ich kann Ihnen nur die Segnungen eines Sterbenden geben. Oh, wenn wenigstens Delphine käme, ich würde ihr sagen, daß sie meine Schuld bei Ihnen abtragen soll. Wenn die andere nicht kommen kann, so bringen Sie wenigstens sie her. Sagen Sie ihr, Sie würden sie nicht mehr lieben, wenn sie nicht kommt. Sie liebt Sie so sehr, daß sie kommen wird. Geben Sie mir etwas zu trinken! Die Eingeweide brennen mir! Legen Sie mir einen Umschlag auf den Kopf! Die Hand meiner Töchter, die könnte mich retten, ich fühle es . . . Gott, mein Gott, wer wird sich um ihr Vermögen kümmern, wenn ich nicht mehr da bin? Ich will nach Odessa gehen für sie, nach Odessa, und Nudeln fabrizieren.«
»Trinken Sie«, sagte Eugen, der den Sterbenden aufrichtete und ihn mit dem linken Arm stützte, während er ihm mit der rechten Hand eine Tasse reichte.
»Sie werden gewiß Ihren Vater und Ihre Mutter recht lieben«, sagte der Greis, der mit seinen kraftlosen Händen die Rechte Eugens umschloß. »Können Sie erfassen, daß ich sterben werde, ohne meine Töchter gesehen zu haben? Immer dürsten und niemals trinken – so habe ich seit zehn Jahren gelebt . . . Meine beiden Schwiegersöhne haben mir meine Töchter getötet. Ja, ich habe keine Töchter mehr gehabt, seitdem sie verheiratet waren. Väter, verlangt vom Parlament, daß es ein Gesetz über die Ehe macht! Laßt eure Töchter nicht heiraten, wenn ihr sie liebt! Der Schwiegersohn ist ein Verbrecher, der alles an euren Töchtern verdirbt, alles besudelt. Keine Ehe mehr! Die Töchter werden uns durch die Ehe geraubt, wir haben sie nicht mehr bei uns, wenn wir sterben. Macht ein Gesetz über den Tod der Väter! Das ist entsetzlich, dieses letzte! Rache! Meine Schwiegersöhne hindern sie zu kommen . . . Tötet sie! Aufs Schafott mit dem Restaud, aufs Schafott mit dem Elsässer, es sind meine Mörder! Den Tod oder meine Töchter! . . . Ah, es ist zu Ende, ich sterbe ohne sie! . . . sie! . . . Nasie, Fifine, so kommt doch, euer Papa geht davon . . .«
»Lieber Vater Goriot, beruhigen Sie sich doch! Sie müssen still liegen, dürfen sich nicht so erregen! Nicht denken!«
»Sie nicht sehen, das ist der Tod!«
»Sie werden sie sehen!«
»Wirklich?« rief der Greis ganz außer sich. »Oh, sie sehen! Ich werde sie sehen, ihre Stimme hören. Ich sterbe glücklich. Ich will gar nicht mehr leben, ich hänge nicht mehr daran, meine Schmerzen werden zu groß. Aber sie sehen, nur ihre Kleider fühlen, ah, nichts als ihre Kleider, so wenig es auch ist, aber doch wenigstens etwas von ihnen fühlen! Laßt mich ihre Haare streicheln.«