»Verkehrt?« fragte der Alte. »Niemals war die Welt so in Ordnung wie jetzt. Ich sehe nur vergnügte Menschen auf der Straße, Leute, die sich die Hände drücken und sich umarmen. Alle sind glücklich, als ob sie zum Essen zu ihrer Tochter gingen, um an einem so hübschen kleinen Diner zu schleckern, wie sie es in meiner Gegenwart beim Chef des Café Anglais bestellt hat. Aber – was? Wenn sie um einen ist, schmeckt einem die bitterste Galle süß wie Honig.«
»Mir ist, als ob ich wieder auflebte«, sagte Eugen.
»Aber, Kutscher, fahren Sie doch zu!« rief Vater Goriot, der das Vorderfenster des Wagens öffnete. »Fahren Sie schneller, Sie bekommen fünf Francs, wenn Sie uns in zehn Minuten an Ort und Stelle bringen.«
Auf dieses Versprechen hin ging die Fahrt durch Paris wie ein Blitz.
»Er fährt zu langsam, dieser Kutscher«, sagte Goriot.
»Wohin fahren wir denn?« fragte Rastignac.
»In Ihre Wohnung«, erwiderte der Alte.
Der Wagen hielt in der Rue d'Artois. Der Alte stieg zuerst aus und warf dem Kutscher mit der Großzügigkeit eines lustigen Witwers, der auf dem Gipfel des Vergnügens steht, zehn Francs zu.
»Gehen wir nach oben«, sagte er zu Rastignac. Sie durchquerten einen Hof und gelangten zur dritten Etage im Hinterhaus eines neuen Gebäudes, das einen guten Eindruck machte.
Vater Goriot brauchte nicht zu schellen. Therese, die Kammerzofe der Madame de Nücingen, öffnete ihnen die Tür. Eugen sah sich in einer reizenden Junggesellenwohnung, bestehend aus einem Vorzimmer, einem kleinen Salon, einem Schlafzimmer und einem kleinen Studierzimmer mit Aussicht auf einen Garten. In dem Salon, dessen Möbel und Ausstattung den Vergleich mit dem schönsten und graziösesten Pariser Salon aufnehmen konnten, entdeckte er im Kerzenschein Delphine, die sich aus einer Causeuse am Kamin erhob, ihren Fächer auf den Kamin legte und ihm mit sanfter Stimme entgegenrief:
»Man muß Sie also erst holen lassen, Herr Kannitverstan!«
Therese verschwand. Der Student schloß Delphine in seine Arme und preßte sie an sich. Er weinte vor Freude. Der Kontrast zwischen diesem Bild und dem, was er erlebt hatte – an einem Tage, an dem so viele Erregungen durch sein Herz und seinen Kopf gestürmt waren –, führte bei Rastignac zu einem Anfall nervöser Überreizung.