Das Speisezimmer zeigt sich in seinem wahren Glanze in dem Augenblick, wenn gegen 7 Uhr morgens die Katze der Madame Vauquer, noch vor ihrer Herrin, erscheint, auf die Büfetts springt, an der Milch in den mit Tellern zugedeckten Töpfen schnüffelt und ihr Morgenschnurren hören läßt. Bald taucht auch die Witwe Vauquer selbst auf, eine Tüllhaube auf dem Kopf, aus der einige Strähnen schlecht geordneter falscher Haare hervorhängen. Beim Gehen schleppt sie ihre ausgetretenen und sozusagen grimassenschneidenden Pantoffel nach. Ihr verblühtes, fleischiges Gesicht, dessen Mitte eine Nase wie ein Papageienschnabel ziert, ihre kleinen dicken Hände, ihre gedrungene Figur, die sie einer Kirchenratte ähnlich macht, ihre schlotternde Morgenjacke, alles das steht ganz im Einklang mit dem Speisesaal, aus dessen Ecken das Elend grinst, in dem sich der Geiz verkrochen hat, dessen stinkende schale Luft Madame Vauquer aber ohne Beklemmung einatmet. Ihr Gesicht, auf dem etwas von der Frische des Herbstreifes liegt, die in Runzeln gebetteten Augen, deren Ausdruck zwischen einem Balletteusenlächeln und dem sauertöpfischen Blinzeln des Gerichtsvollziehers schwankt, ihre ganze Person überhaupt macht die Atmosphäre ihrer Pension deutlich, ebenso wie die Pension ihre Inhaberin kennzeichnet. Bagno und Kerkermeister, eines läßt sich nicht vom andern trennen. Die Aufgeschwemmtheit dieser kleinen Frau ist das Ergebnis ihrer Lebensweise, so wie der Typhus die Folge der Ausdünstungen des Hospitals ist. Ihr Überwurf aus gestrickter Wolle, unter dem der aus einer alten Robe hergestellte Rock durchscheint – seine Watte quillt aus dem zerschlissenen Stoff sichtbar hervor –, sie sind Symbol und Inbegriff des Salons, des Speisesaales und des Gärtchens, sie lassen auf die Küche schließen und die Pensionäre vorausahnen.
Wenn Madame Vauquer anwesend ist, ist das Schauspiel vollständig. Sie ist etwa 50 Jahre alt und ähnelt all den Frauen, »die Unglück gehabt haben«. Sie hat den glasigen Blick und die unschuldsvolle Miene einer Kupplerin, die sich gleich ereifern wird, um einen höheren Preis herauszuschlagen, und die zu allem bereit ist, wenn etwas für sie selbst dabei herausspringt, die Georges oder Pichegru ausliefern würde, wenn sie es noch könnte. Trotzdem ist sie im Grunde eine »gute Frau«, wie die Pensionäre sagen, die sie für arm halten, weil sie ebenso hustet und stöhnt wie sie selber. Was war wohl ihr Mann gewesen? Sie selbst äußert sich niemals über den verstorbenen Vauquer. Wie hatte er sein Vermögen verloren? »Er hat Unglück gehabt«, erwidert Madame Vauquer stets, wenn man sie danach fragt. Er hatte sie schlecht behandelt, ihr nur die Augen zum Weinen hinterlassen, ihr Haus, um zu leben, und das Recht, mit keinem Unglücklichen Mitleid zu haben, weil sie, wie sie es ausdrückte, alles erduldet hatte, was man nur erdulden kann. Sobald Sylvia, die dicke Köchin, das Geschlurfe ihrer Herrin hörte, beeilte sie sich, den im Haus wohnenden Pensionären das Frühstück zu servieren.