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狄更斯小说:小杜丽二-Zwanzigstes Kapitel. Einleitung zum nächsten

时间:2017-11-22来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: 狄更斯
Die Passagiere stiegen vom Paketboot an dem Hafendamm von Calais aus. Calais war ein niedrigliegender und niederdrückender Ort in diesem Augenblick, wo die Ebbe aus ihrem niedrigsten Punkte stand. Es war auf der Barre nur noch so viel Wasser, um das Paketboot hereinzulassen; und nun sah die Barre selbst, während eine seichte Brandung sich darüber hinwälzte, wie ein träges, eben an die Oberfläche gekommenes Seeungeheuer aus, dessen Gestalt nur undeutlich zu unterscheiden war, während es so schlafend dalag. Der hagere, ganz weiße Leuchtturm, der wie ein Gespenst am Meeresufer umging, als wäre er der Geist eines Gebäudes, das einst Farbe und Rundung gehabt, weinte melancholische Tränen, wenn die See gegen ihn angestürmt. Die langen Reihen nackter, schwarzer Pfähle, schleimig und naß und wasserzerfressen, mit Leichenkränzen von Seetang, die die letzte Flut ihnen umgewunden, hätten einen unheimlich aussehenden Meereskirchhof vorstellen können. Jeder wellenumbrauste, windumsauste Gegenstand erschien unter dem weiten, grauen Himmel, in dem Lärm von Wind und Meer und vor den krausen Gestalten der Brandung, die sich wild an ihnen brach, so niedrig und klein, daß man sich wundern mußte, daß es überhaupt noch ein Calais gab und daß seine niedrigen Tore und niedrigen Mauern und niedrigen Dächer und niedrigen Gräben und niedrigen Dünen und niedrigen Festungsgräben und flachen Straßen nicht längst der unterwühlenden und belagernden See zur Beute geworden wie die Festungen, die die Kinder am Meeresufer bauen.
Nach vielfachem Ausgleiten zwischen schleimigen Pfählen und Planken, vielfachem Stolpern auf nassen Treppen und mancher Überwindung der Schwierigkeiten, die das Salzwasser bot, traten die Passagiere ihre trostlose Wanderung über den Hafendamm an, wo alle französischen Vagabunden und englischen Flüchtlinge der Stadt (die Hälfte der Bevölkerung) sie erwarteten, um sie von ihrer Verwirrung sich nicht erholen zu lassen. Nachdem alle Engländer sie aufmerksam besichtigt und alle Franzosen als Beute in Anspruch genommen und sich streitig gemacht und endlich Beschlag auf sie gelegt hatten, durften sie, nachdem sie ein meilenlanges Handgemenge durchgemacht hatten, endlich die Straßen betreten und hitzig verfolgt ihre verschiedenen Richtungen einschlagen.
Clennam, den mehr als eine Sorge in Anspruch nahm, war unter diesen Opfern. Nachdem er die Wehrlosesten unter seinen Landsleuten aus dieser äußerst peinlichen Lage befreit hatte, ging er allein seines Weges oder eigentlich so allein, wie es möglich war, verfolgt von einem eingeborenen Herrn in einem schmierigen Anzug und einer Mütze von derselben Beschaffenheit, der ihm in einer Entfernung von fünfzig Schritt nacheilte und ihm beständig in geradebrechtem Englisch nachrief: »Sir! Sir! halten Sie! Ich führe Sie nach dem schönsten Hotel!«
Aber selbst dieser gastfreundliche Mann mußte zuletzt zurückbleiben, und Clennam setzte seinen Weg unbelästigt fort. Die Stadt hatte ein ruhiges, stilles Aussehen nach dem Lärm des Kanals und des Strandes, und die Öde hatte im Vergleich damit sogar etwas Angenehmes. Er begegnete neuen Gruppen seiner Landsleute, die alle ein wucherpflanzenartiges Aussehen hatten, als wenn sie einmal zu stark geblüht hätten, wie gewisse ungesunde Arten von Blumen, und wären nun reines Unkraut; sie hatten den Anstrich, als wenn sie Tag für Tag in einem beschränkten Raum die Runde machten, was ihn stark an das Marschallgefängnis erinnerte. Aber ohne weiter Notiz von ihnen zu nehmen, als genügte, um diesen Gedanken in ihm wachzurufen, suchte er eine gewisse Straße und Hausnummer auf, die er im Kopfe hatte.
»Pancks nannte mir dies«, murmelte er vor sich hin, als er vor einem düstern Hause stillhielt, das mit seiner Adresse korrespondierte. »Ich denke, seine Weisung wird richtig sein und seine Entdeckung unter Mr. Casbys zerstreuten Papieren unbestreitbar, sonst würde ich dies schwerlich für das richtige Haus gehalten haben.«
Ein totes Haus mit einer kahlen Mauer gegenüber und einem öden Torweg an der Seite, wo ein hängender Glockengriff ein totes Geklingel und ein Klopfer ein totes, mattes Geklopf hervorbrachte, das nicht kräftig genug zu sein schien, um selbst durch die geborstene Tür durchzudringen. Die Tür ging jedoch langsam durch eine tote Springfeder auf, und er schloß sie hinter sich, als er in einen stillen Hof trat, den bald eine andere kahle Wand abschloß, an der man den Versuch gemacht, einige Schlinggewächse emporzuziehen, die jedoch abgestorben waren; auch hatte man einen kleinen Springbrunnen in einer Grotte angelegt, er war jedoch vertrocknet; die kleine Statuette, die man darauf angebracht, war zerbrochen.
Der Eingang in dies Haus war zur linken und war wie der äußere Torweg mit zwei gedruckten Anschlägen in französischer und englischer Sprache geschmückt, die meldeten, daß hier augenblicklich möblierte Zimmer zu vermieten seien. Eine kräftige, muntere Bauerfrau, ganz Strumpf, Unterrock, weiße Mütze und Ohrring, stand hier in einem dunklen Torweg und sagte, indem sie ihre hübschen, weißen Zähne zeigte, in gebrochenem Englisch: »Was gibt es, Sir? Wen rufen Sie?«
Elennam antwortete auf französisch: Die englische Dame, er wünsche die englische Dame zu sprechen.
»So treten Sie ein und kommen Sie herauf, wenn's gefällig«, versetzte die Bäuerin jetzt gleichfalls französisch. Er tat beides und folgte ihr eine dunkle kahle Treppe hinauf nach einem hinteren Zimmer des ersten Stocks. Hier hatte man eine düstere Aussicht auf den stillen Hof und die abgestorbenen Schlinggewächse und den vertrockneten Springbrunnen und das Piedestal der zerbrochenen Statuette.
»Monsieur Blandois«, sagte Elennam.
»Mit Vergnügen, Monsieur.«
Darauf entfernte sich die Frau und ließ ihm Zeit, sich in dem Zimmer umzusehen. Es war das Muster eines Zimmers, wie sie in solchen Häusern immer zu finden sind. Kühl, düster und dunkel. Ein gebohnerter, sehr glatter Boden. Ein Zimmer, nicht groß genug, um darin Schlittschuh zu laufen; und ungeeignet zum bequemen Betrieb einer andern Beschäftigung. Rot und weiß verhangene Fenster, eine kleine Strohmatte, ein kleiner runder Tisch mit einer wirren Masse von Beinen, plumpe Strohstühle, zwei große, rotsamtne Armstühle, in denen Platz genug war, um sich unbehaglich zu fühlen, ein Schreibtisch, ein Kaminspiegel aus mehreren Stücken zusammengesetzt, der sich aber das Ansehen gab, als wäre er aus einem Stück, ein paar übertrieben glänzende Vasen mit äußerst künstlichen Blumen: zwischen ihnen ein griechischer Krieger mit abgenommenem Helm, der dem Genius Frankreichs eine Uhr opfert.
Nach einer kurzen Pause ging eine Nebentür auf und eine Dame trat ein. Sie legte großes Erstaunen an den Tag, als sie Clennam sah, und ihr Blick lief im Zimmer umher, als ob sie noch jemand suche.
»Verzeihen Sie, Miß Wade. Ich bin allein.«
»Man hat mir doch nicht Ihren Namen gemeldet?«
»Nein; ich weiß das. Entschuldigen Sie mich. Ich habe bereits die Erfahrung gehabt, daß mein Name Sie nicht gerade sehr zu einer Unterredung mit mir geneigt macht; und ich wagte, den Namen eines Mannes nennen zu lassen, den ich suche.«
»Bitte«, versetzte sie, indem sie ihm so kalt einen Stuhl anbot, daß er stehenblieb, »unter welchem Namen ließen Sie sich melden?«
»Unter dem Namen Blandois.«
»Blandois?«
»Ein Name, den Sie kennen.«
»Es ist seltsam«, sagte sie, indem sie ihre Stirn runzelte, »daß Sie beständig ein Interesse an mir und meinen Bekanntschaften, an mir und meinen Angelegenheiten nehmen, das man gar nicht von Ihnen heischt, Mr. Clennam. Ich weiß nicht, was Sie wollen.«
»Verzeihen Sie. Sie kennen jenen Namen?«
»Was können Sie mit dem Namen zu schaffen haben? Was kann ich mit dem Namen zu schaffen haben? Was geht es Sie an, ob ich irgendeinen Namen kenne oder nicht? Ich kenne viele Namen und habe noch mehr vergessen. Dieser kann zu der einen oder zu der andern Klasse gehören, oder ich habe ihn vielleicht auch nie vernommen. Ich kenne keinen Grund, warum ich mich darüber besinnen oder mich nach ihm fragen lassen sollte.«
»Wenn Sie mir erlauben wollen«, sagte Clennam, »so werde ich Ihnen den Grund sagen, weshalb ich mich mit so großem Eifer danach erkundige. Ich gebe zu, daß ich zudringlich bin, und ich muß Sie sehr ernstlich um Verzeihung bitten, daß ich es bin. Der Grund rührt ganz von mir her. Ich will durchaus nicht andeuten, daß es irgendwie Ihretwegen geschähe.«
»Gut, Sir«, versetzte sie, indem sie etwas weniger stolz als zuvor ihre frühere Aufforderung, sich zu setzen, wiederholte; – er gehorchte ihr diesmal, da sie das gleiche tat. »Ich freue mich wenigstens zu erfahren, daß es sich nicht abermals um eine Sklavin eines Ihrer Freunde handelt, die nicht frei wählen darf und die ich weggelockt habe. Ich will Ihren Grund hören, wenn's gefällig ist.«
»Um bei der Person zu bleiben, von der wir sprechen«, sagte Clennam, »lassen Sie mich bemerken, daß es dieselbe Person ist, die Sie vor einiger Zeit in London trafen. Sie werden sich erinnern, es war unweit des Flusses – in Adelphi.«
»Sie mischen sich auf ganz unerklärliche Weise in meine Geschäfte«, antwortete sie und sah ihn mit strenger Unzufriedenheit an. »Wie wissen Sie das?«
»Ich bitte Sie, es nicht übelzunehmen. Durch reinen Zufall.«
»Wie durch Zufall?«
»Durch den einfachen Zufall, daß ich in der Straße hinter Ihnen drein ging und Zeuge der Zusammenkunft war.«
»Sprechen Sie von sich selbst oder von sonst jemand?«
»Von mir selbst. Ich sah es.«
»Allerdings war es auf offener Straße«, bemerkte sie, nachdem sie einige Augenblicke nachgedacht und ihr Ärger nachgelassen hatte, »fünfzig Leute hätten es sehen können. Es würde nichts ausgemacht haben.«
»Ich lege auch keine Bedeutung darauf, es gesehen zu haben; ebensowenig bringe ich meinen Besuch (außer als eine Erklärung, daß ich überhaupt hierherkomme) oder die Gunst, die ich mir von Ihnen zu erbitten habe, in irgendwelche Verbindung damit.«
»Oh! Sie haben von mir eine Gunst zu erbitten! Es dünkt mich«, und das schöne Gesicht sah ihn bitter an, »als wenn Sie milder geworden wären, Mr. Clennam.«
Er begnügte sich, mit einer leichten Handbewegung dagegen zu protestieren, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Dann erwähnte er Blandois' Verschwinden, von dem sie wahrscheinlich gehört hätte? Nein. So unwahrscheinlich es ihn auch dünken möge, habe sie doch nichts davon gehört. Er möge sich umsehen (sagte sie) und selbst urteilen, wie eine allgemeine Kunde zu dem Ohr einer Frau dringen könne, die hier, ganz ihrem Schmerze lebend, wohne. Als sie diese Verneinung ausgesprochen, an deren Wahrheit er glaubte, fragte sie ihn, was es mit dem Verschwinden für eine Bewandtnis habe? Dies veranlaßte ihn, die Umstände ausführlich zu erzählen, und seinen lebhaften Wunsch zu erkennen zu geben, zu erfahren, was wirklich aus dem Mann geworden, um den schwarzen Verdacht zu verscheuchen, der auf seiner Mutter Haus lastete. Sie hörte ihn mit sichtlichem Staunen an und verriet mehr heimliche Teilnahme, als er bisher an ihr bemerkt hatte; aber dennoch änderte sich dadurch nichts Wesentliches in ihrem fernhaltenden, stolzen und verschlossenen Wesen. Als er zu Ende war, sagte sie nichts als die Worte:
»Sie haben mir noch nicht gesagt, was die Sache mich angeht und welche Gunst Sie von mir fordern. Wollen Sie die Güte haben, jetzt darauf zu kommen?«
»Ich setze voraus«, sagte Arthur, noch immer bemüht, ihr verächtliches stolzes Benehmen zu besänftigen, »daß, da Sie im Verkehr – darf ich sagen, im vertrauten Verkehr? – mit dieser Person stehen –«
»Sie können natürlich sagen, was Ihnen beliebt«, bemerkte sie, »aber ich unterschreibe Ihre Voraussetzungen nicht, Mr. Clennam, so wenig wie die jedes andern.«
»– daß, da Sie wenigstens im persönlichen Verkehr mit ihm stehen«, sagte Clennam, seine Worte anders stellend, um einem neuen Widerspruch zu begegnen, »Sie mir etwas von seinem früheren Tun und Treiben, seinen Erlebnissen, seinem gewöhnlichen Wohnorte werden sagen können, daß Sie mir eine Andeutung an die Hand geben können, um ihn am ehesten aufzufinden und ihn entweder herbeizuschaffen oder nachzuweisen, was aus ihm geworden ist. Das ist die Gefälligkeit, die ich mir von Ihnen erbitte, und ich erbitte sie in einer Seelenpein, auf die Sie einige Rücksicht nehmen werden. Wenn Sie irgendeinen Grund haben, mir Bedingungen aufzuerlegen, so werde ich ihn achten, ohne weiter danach zu fragen.«
»Sie haben mich zufällig mit dem Manne auf der Straße gesehen«, bemerkte sie, nachdem sie sehr zu seinem Verdruß sich offenbar mehr mit ihren eigenen Gedanken über diese Sache als mit seiner Bitte beschäftigt hatte. »Sie kannten also den Mann früher?«
»Nicht früher: ich lernte ihn erst später kennen. Ich habe ihn nie zuvor gesehen, aber ich sah ihn wieder in jener Nacht, als er verschwunden ist. Wirklich in meiner Mutter Hause. Dort verließ ich ihn. Sie werden in diesem Blatt alles finden, was von ihm bekannt ist.«
Er übergab ihr einen der gedruckten Zettel, den sie mit ruhigem und aufmerksamem Gesicht las.
»Das ist mehr, als ich von ihm wußte«, sagte sie und gab das Blatt zurück.
Clennams Blick gab seine schmerzliche Enttäuschung zu erkennen, vielleicht sogar seinen Unglauben; denn sie fügte in dem gleichen teilnahmslosen Tone hinzu: »Sie glauben es nicht. Und doch ist dem so. Was den persönlichen Verkehr betrifft, so scheint es mir, daß er im persönlichen Verkehr mit Ihrer Mutter stand: Und dennoch sagen Sie, Sie glaubten ihrer Erklärung, daß sie nicht mehr von ihm wisse.«
Es lag ein so deutlicher Verdacht in diesen Worten und dem Lächeln, das sie begleitete, daß Clennam das Blut in die Wangen schoß.
»Nun, Sir«, sagte sie mit einem grausamen Vergnügen den Stich wiederholend, »ich will offen gegen Sie sein, wie Sie nur immer wünschen mögen. Ich will gestehen, daß, wenn mir etwas an meinem Ruf läge (was nicht der Fall ist) oder ich mir einen guten Namen zu erhalten hätte (was wieder nicht der Fall ist, denn es ist außerordentlich gleichgültig, ob er für gut oder schlecht gilt), so würde ich mich für schwer kompromittiert halten, daß ich irgend etwas mit diesem Menschen zu tun gehabt habe. Aber er schritt nie über meine Schwelle – noch hat er je mit mir bis Mitternacht zusammengesessen.«
Sie rächte ihren alten Groll, indem sie so die Sache gegen ihn kehrte. Es lag nicht in ihrer Natur, zu schonen, und sie hatte kein Mitleid. »Daß er ein gemeiner, für Geld zu habender Mann ist: daß ich ihn zuerst in Italien fand, wo er sich herumtrieb (und wo ich vor nicht langer Zeit war), und daß ich ihn dort als das geeignetste Werkzeug für einen Zweck, den ich gerade verfolgte, in Sold nahm, will ich Ihnen offen gestehen. Kurz, ich hielt es für der Mühe wert, zu meinem Vergnügen – zur Befriedigung eines sehr lebhaften Gefühls – einen Spion zu bezahlen, der mir für Geld zutrug, was ich wissen wollte. Ich bezahlte diese Kreatur. Und ich darf wohl sagen, wenn ich ihn zu einem solchen Geschäft gebraucht und wenn ich ihm genug hätte bezahlen können und wenn er es im Dunkeln tun gekonnt, ohne etwas zu riskieren, er würde jemand mit ebensowenig Bedenken das Leben genommen haben, wie er mein Geld nahm. Das ist wenigstens meine Meinung von ihm; und ich sehe, sie ist nicht sehr von der Ihrigen verschieden. Die Ansicht Ihrer Mutter von ihm, darf ich wohl annehmen (indem ich Ihrem Beispiele folge, dies und jenes anzunehmen), war eine ganz andere.«
»Meine Mutter, lassen Sie mich Ihnen sagen«, versetzte Clennam, »kam erst im unglücklichen Verlauf des Geschäftes mit ihm in Verkehr.«
»Es scheint mir ein unglückliches Geschäft gewesen zu sein, das ihn mit ihr in Verkehr brachte«, versetzte Miß Wade; »und die Geschäftsstunden waren bei dieser Gelegenheit sehr spät.«
»Sie wollen zu verstehen geben«, sagte Arthur, unter diesen kaltblütigen Stichen zuckend, deren Kraft er bereits tief gefühlt hatte, »daß noch etwas –«
»Mr. Clennam«, unterbrach sie ihn ruhig, »erinnern Sie sich, daß ich durchaus nicht andeutungsweise von diesem Manne spreche. Er ist, ich sage es noch einmal ohne allen Hehl, eine niedrige Söldnernatur. Ich glaube, ein solches Geschöpf geht überall hin, wo es für sich etwas zu tun findet. Wenn ich nichts für ihn zu tun gehabt hätte, so würden Sie ihn und mich nicht beisammen gesehen haben.«
Gequält von der Beharrlichkeit, mit der sie diese dunkle Seite der Sache, die ihm selbst wie ein flüchtiger Schatten durch die Seele zog, ihm vor Augen hielt, schwieg Clennam.
»Ich sprach von ihm, als ob er noch lebte«, fügte sie hinzu, »aber er kann ebensogut aus irgendeinem Grunde aus dem Wege geschafft worden sein. Mir ist es völlig gleichgültig. Ich habe nichts weiter mit ihm zu schaffen.«
Mit einem schweren Seufzer und verzweifelnder Miene stand Arthur Clennam langsam auf. Sie stand nicht auch auf, sondern sagte, nachdem sie ihn eine Zeitlang mit einem festen Blick voll Argwohn und die Lippen fest zusammengepreßt betrachtet hatte:
»Er war der Lieblingsumgang Ihres werten Freundes Mr. Gowan, nicht wahr? Warum holen Sie sich nicht Rat bei Ihrem werten Freunde?«
Die Antwort, daß er nicht sein werter Freund sei, stand bereits auf Arthurs Lippen; aber er hielt sie zurück, indem er sich an seine alten Kämpfe und Entschlüsse erinnerte, und sagte:
»Anderes, als daß er Blandois nicht gesehen, seitdem dieser von England abgereist ist, weiß Mr. Gowan nichts von ihm. Es war eine zufällige Reisebekanntschaft.«
»Eine zufällige Reisebekanntschaft!« wiederholte sie. »Ja. Ihr werter Freund hat wohl das Bedürfnis, sich mit allen Bekanntschaften, die er machen kann, zu amüsieren, wenn man bedenkt, was für eine Frau er hat. Ich hasse seine Frau, Sir.«
Die Aufgeregtheit und die Leidenschaft, mit der sie dies sagte und die um so auffälliger war, als sie sich sonst so sehr in ihrer Gewalt hatte, fesselte Clennams Aufmerksamkeit und bewog ihn, noch länger zu bleiben. Es blitzte aus ihren dunklen Augen, als sie ihn ansah, zuckte in ihren Nasenflügeln und durchglühte sogar den Atem, den sie ausströmte; auf ihrem Gesicht lag im übrigen eine geringschätzige Ruhe verbreitet, und ihre Haltung war so sicher und stolz, als ob sie völlig gleichgültig gegen alles wäre, was um sie her vorging.
»Alles, was ich sagen will, Miß Wade«, bemerkte er, »ist, daß man Ihnen keinen Anlaß zu einem Gefühl gegeben haben kann, das, wie ich glaube, niemand mit Ihnen teilt.«
»Sie mögen Ihren werten Freund fragen, wenn Sie wollen, was er über diese Sache denkt«, versetzte sie.
»Ich stehe kaum auf so vertrautem Fuße mit meinem werten Freunde«, sagte Arthur, trotz seiner Entschlüsse, »um eine solche Berührung der Sache sehr wahrscheinlich zu machen, Miß Wade.«
»Ich hasse ihn«, versetzte sie. »Mehr als seine Frau noch, weil ich einst töricht genug und treulos genug gegen mich selbst war, ihn fast zu lieben. Sie haben mich nur bei gewöhnlichen Gelegenheiten gesehen, Sir, wo Sie mich vermutlich auch nur für ein gewöhnliches Weib gehalten, höchstens etwas eigenwilliger als die meisten andern sind. Sie wissen nicht, was ich unter Hassen verstehe; Sie können es nicht wissen, ohne zu wissen, mit welcher Sorgfalt ich mich und die Menschen um mich her studiert habe. Aus diesem Grunde hatte ich seit einiger Zeit Lust, Ihnen meine Lebensgeschichte zu erzählen – nicht um Ihre gute Meinung mir zu gewinnen, denn ich lege keinen Wert darauf, sondern damit Sie begreifen, wenn Sie an Ihren werten Freund und an Ihre werte Freundin denken, was ich unter Haß verstehe. Soll ich Ihnen etwas geben, was ich geschrieben und für Sie zurückgelegt habe, oder soll ich es behalten?«
Arthur bat sie, es ihm zu geben. Sie ging nach dem Schreibtisch, schloß ihn auf und holte aus einer verborgenen Schublade einige zusammengelegte Bogen Papier hervor. Ohne ihn im mindesten zu gewinnen zu suchen, ja, kaum die Worte an ihn richtend, sondern eher sprechend, als rechtfertigte sie sich gegen ihren Spiegel wegen ihres Trotzes, sagte sie, indem sie ihm die Papiere gab: »Jetzt werden Sie erfahren, was ich unter Haß verstehe! Genug jedoch davon. Sir, Sie mögen mich nun vorübergehend in einer billigen leeren Londoner Wohnung finden oder in einem Hause von Calais, Sie werden stets Harriet bei mir treffen. Sie möchten sie vielleicht gern sehen, ehe Sie gehen. Harriet, kommen Sie!« Sie rief Harriet noch einmal. Auf das zweite Rufen kam Harriet, einst Tattycoram.
»Hier ist Mr. Clennam«, sagte Miß Wade, »er kommt nicht Ihretwegen; er hat Sie aufgegeben. Ich vermute es wenigstens.«
»Da ich weder Autorität noch Einfluß habe – ja«, stimmte Clennam bei.
»Sie sehen, er sucht Sie nicht, aber er sucht dennoch jemand. Er möchte wissen, wo jener Blandois ist.«
»Mit dem ich Sie am Strand zu London sah«, fügte Arthur als nähere Bezeichnung hinzu.
»Wenn Sie etwas von ihm wissen, Harriet, außer daß er von Venedig kam – was wir alle bereits wissen – so sagen Sie es Mr. Clennam offen.«
»Ich weiß nichts weiter von ihm«, sagte das Mädchen.
»Sind Sie zufrieden?« fragte Miß Wade Arthur.
Er hatte keinen Grund, ihnen nicht zu glauben; das Benehmen des Mädchens war so natürlich, daß es beinahe hätte überzeugend wirken müssen, wenn er früher gezweifelt hätte. Er antwortete: »Ich muß anderswo etwas zu erfahren suchen.«
Er ging nicht im selben Augenblick; aber er war bereits aufgestanden, ehe das Mädchen eintrat, und sie glaubte offenbar, er sei im Begriff zu gehen. Sie sah ihn lebhaft an und sagte:
»Geht es ihnen gut, Sir?«
»Wem?«
Sie unterbrach sich selbst, indem sie im Begriff war zu sagen: »ihnen allen«; sie sah Miß Wade an und sagte: »Mr. und Mrs. Meagles.«
»Jawohl, als ich zuletzt von ihnen hörte, – sie sind nicht in England. Erlauben Sie mir beiläufig eine Frage. Ist es wahr, daß man Sie dort gesehen hat?«
»Wo? Wo will man mich gesehen haben?« versetzte das Mädchen und schlug verdrießlich die Augen nieder.
»Als Sie an der Gartentür des Landhauses standen.«
»Nein«, sagte Miß Wade. »Sie war nie dort.«
»Sie irren sich«, sagte das Mädchen. »Ich ging, als wir das letztemal in London waren, hin. Ich tat es eines Nachmittags, als Sie mich allein ließen. Und ich warf einen Blick hinein.«
»Du armseliges Geschöpf«, versetzte Miß Wade mit unendlicher Verachtung; »hat all unser Zusammensein, haben alle unsere Gespräche und alle Ihre früheren Klagen so wenig bewirken können?«
»Es war ja ganz unschuldig, einen Augenblick hineinzublicken, als ich an der Gartentür stand«, sagte das Mädchen. »Ich bemerkte an den Fenstern, daß die Familie nicht da war.« »Warum gingen Sie in die Nähe jenes Ortes?«
»Weil ich ihn sehen wollte, weil ich fühlte, daß ich gern wieder einmal einen Blick darauf ruhen lassen würde.«
Wie so die beiden hübschen Gesichter sich gegenseitig ansahen, hatte Clennam ein Gefühl, als ob diese beiden Naturen sich beide beständig zerfleischen müßten.
»Oh!« sagte Miß Wade, kalt ihrem Blick gebietend und ihn abwendend, »wenn Sie irgend den Wunsch hatten, den Ort wiederzusehen, wo Sie jenes Leben führten, von dem ich Sie befreite, weil Sie zur Erkenntnis gekommen waren, was das für ein Leben sei, so ist das etwas anderes. Aber ist das Ihre Wahrheit gegen mich? Ist das Ihre Treue gegen mich? Heißt das gemeinschaftliche Sache mit mir machen? Sie sind des Vertrauens nicht würdig, das ich Ihnen geschenkt habe. Sie sind nicht besser als ein Schoßhündchen und täten besser, Sie gingen zu den Leuten zurück, die Ihnen noch mehr als die Peitsche zu kosten geben.«
»Wenn Sie im Beisein eines Dritten so von ihnen sprechen, so werden Sie mich reizen, ihre Partei zu ergreifen«, sagte das Mädchen.
»Kehren Sie zu ihnen zurück«, entgegnete Miß Wade. »Gehen Sie nur zu ihnen zurück.«
»Sie wissen Wohl«, versetzte nun Harriet, »daß ich nie zu ihnen zurückkehren werde. Sie wissen ganz wohl, daß ich mich von ihnen losgesagt habe und nie mehr zu ihnen zurückkehren kann, will und werde. Also sprechen Sie nicht mehr von ihnen, Miß Wade.«
»Sie ziehen ihren Überfluß Ihrer weniger üppigen Kost hier vor«, versetzte sie. »Sie setzen sie hinauf und mich herunter. Was hätte ich sonst von Ihnen erwarten können. Ich hätte es wissen sollen.«
»Dem ist nicht so«, sagte das Mädchen, hochrot werdend, »und Sie sagen nicht, was Sie meinen. Ich weiß, was Sie meinen. Sie machen mir unter der Hand den Vorwurf, daß ich niemand habe als Sie. Und weil ich niemand habe als Sie, glauben Sie, ich solle alles tun und lassen, was Sie wünschen, und solle mir jede Beleidigung von Ihnen gefallen lassen. Sie sind in jeder Hinsicht so schlimm wie jene. Aber ich will mich nicht ganz zahm und unterwürfig machen lassen. Ich sage es noch einmal, daß ich hinging, um mir das Haus anzusehen, weil ich oft gedacht, daß ich es gern noch einmal sehen würde. Ich will mich noch einmal erkundigen, wie sie sich befinden, weil ich sie einst lieb gehabt und bisweilen gedacht habe, sie seien freundlich gegen mich.«
Darauf sagte Clennam, er sei überzeugt, sie würden sie freundlich aufnehmen, wenn sie jemals zurückzukehren wünschen sollte.
»Nie!« sagte das Mädchen leidenschaftlich. »Das werde ich nie tun. Niemand weiß dies besser als Miß Wade, obgleich sie mich schmäht, weil sie mich von sich abhängig gemacht hat. Und ich weiß, daß ich es bin; und ich weiß, daß es ihr außerordentliche Freude macht, wenn sie es mir vorwerfen kann.« »Ein guter Vorwand!« sagte Miß Wade mit nicht weniger Entrüstung, Stolz und Bitterkeit; »aber zu abgenützt, um zu bedecken, was ich klar dahinter sehe. Meine Armut hält den Wettstreit mit deren Geld nicht aus. Es ist besser, auf der Stelle zurückzukehren, besser, auf der Stelle zurückzukehren und damit die Sache abzumachen!«
Arthur Clennam betrachtete sie, wie sie in dem dunklen beschränkten Zimmer unfern voneinander standen, jedes nur seinem Zorn sich stolz hingebend, jedes mit dem festen Entschluß, sein eigenes Herz und das des andern zu peinigen. Er sprach etwas vom Abschiednehmen; aber Miß Wade neigte einfach den Kopf, und Harriet tat mit der geheuchelten Demut einer abhängigen Sklavin (aber dennoch nicht, ohne Trotz), als ob sie zu niedrig stände, um zu beachten oder beachtet zu werden.
Er ging die dunkle Wendeltreppe hinab in den Hof mit einem lebhafteren Gefühl des düstern Eindrucks, den die leere Mauer und die abgestorbenen Gewächse und die vertrocknete Fontäne und die geborstene Statue auf ihn machte. Ganz beschäftigt mit dem Gedanken an das, was er in diesem Hause gesehen und gehört, und an das Fehlschlagen aller seiner Bemühungen, die Spur des verdächtigen Charakters, der verschwunden war, aufzufinden, kehrte er mit demselben Paketboot nach London zurück, das ihn herübergebracht hatte. Auf dem Wege nahm er die Papiere auseinander und las in ihnen, was das nächste Kapitel wiedergibt. 
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