Moritz ist mein Hund, ein 9 Jahre alter Westhighländer.
Ein gemütlicher Rentner, der das Leben schon fast hinter sich hat. Zumindest, glaubt man dies, wenn man ihn tagsüber in aller Gemächlichkeit vor sich hin schleichen sieht. Er steht immer in der "2. Reihe", wenn es ans Essen geht.
Mit der 2. Reihe muss er sich zufrieden geben, denn er hat ein kleines Weibchen, Lilly, die sich immer vordrängelt. Sie ist eine ganz Dominante, die ihm ständig erklären will, wo's lang geht. Und wenn er nicht so pariert, wie sie es will, wird er gezüchtigt, schon mal ganz leicht ins Ohr gebissen oder durch den Garten gejagt. Zumindest kläfft sie ihn tüchtig an und ihr Blick spricht Bände.
Moritz kann aber auch, wenn Lilly ihn anstachelt, mal was zu tun - ganz schön schnell sein. Er erhöht seine Geschwindigkeit von einer Sekunde zur anderen, er kann am Zaun unseres Grundstückes jedem Weltrekordläufer Paroli bieten. Vor allem, wenn Fahrradfahrer, an unserem Gartenzaun entlangfahren.
Aber sehr oft weiß er eigentlich gar nicht, warum er mitgelaufen ist.
Ist ja auch egal, Lilly wird schon wissen - warum.
Moritz liegt nachts neben mir in meinem Bett.
Herrchen liegt hinter Moritz, an der äußeren Bettkante des gemeinsamen Ehebettes. Moritz hat seinen Stammplatz zwischen uns. Und er ist froh, "privilegiert" zu sein. Privilegiert gegenüber seiner Lilly, zwei Jahre jünger, die aber nachts in einem fremden Bett schlafen "muss". Bei einem unserer Söhne. Und Moritz ist mächtig stolz darauf, bei mir, seinem Frauchen, schlafen zu dürfen.
Moritz war schon einmal fast tot.
Eigentlich sah er tatsächlich so aus - wie tot.
Er bewegte sich nicht mehr und lag wohl schon 10 Minuten regungslos im Schnee. Der Wind hatte schon eine neue Schicht Schnee auf sein Fell geweht, nicht mehr lange, und er wäre nicht mehr zu sehen gewesen.
Er blutete still vor sich hin, weil ihn zuvor ein Dobermann in den Hals gebissen hatte, so tief, dass furchtbar tiefe Wunden entstanden, sein ganzer Brustkorb war zerrissen.
Schon von weitem sah ich ihn dort hinten, am Rande eines tief verschneiten Feldweges liegen. Ich sank in die Knie und schrie. Die Sinnlosigkeit meiner Traurigkeit ließ mich fast verzweifeln. Ich konnte nichts mehr tun. Es war vorbei. Mein Moritz war tot. Und so stand ich wieder auf, meine Augen auf den daliegenden toten Körper meines Hundes gerichtet, und schluchzte in mich hinein: "Mein lieber Schatz, mein lieber Schatz, werde doch wieder wach. Mein lieber Schatz".
Plötzlich bemerkte ich ein ganz schwaches Zucken seines Ohres.
Es bewegte sich wie ein Blatt im Wind. Ganz wenig nur.
Ich bemerkte dieses kaum wahrnehmbare Lebenszeichen und lief, so schnell es der tiefe Schnee zuließ, auf Moritz zu.
"Moritz, ich bin's, mein lieber Schatz, du darfst nicht sterben!"
"Er lebt", schrie ich meinem Mann zu, "er lebt".
Wir rasten, wie die Irren in die Tierklinik. Auf der Fahrt, die unendlich schien, streichelte und küsste ich den tot geglaubten Hund wohl wieder gesund.
Er hatte es geschafft!
Moritz musste noch 2 Tage dort bleiben, bis wir ihn wieder nach Hause mitnehmen durften. Völlig zerrissen war seine Hals- und Brustpartie, aber Gott sei Dank waren keine inneren Organe verletzt. Ich saß tagelang an seinem Krankenbett.
Und seit dieser Zeit liegen wir beide nachts, Nase an Nase, nebeneinander.
Ich spüre sein tiefes Atmen, welches klingt, als würden schreckliche Erlebnisse des Tages sein Inneres quälen. Er schnauft, und seine Stimme erzittert, als wolle er mich dazu verleiten, ihn wieder zu retten.
Sein Atem ist mir ungeheuerlich sympathisch. Niemals würde ich den Mundgeruch eines Menschen so einfach ertragen, ohne zu rebellieren.
Aber bei Moritz ist das was ganz anderes. Auch wenn er mal - ganz ungeniert - einen "gehen" lässt - ist mir - auch egal.
Ich liebe ihn einfach!!
Und er weiß ganz genau, dass ICH ihn gerettet habe.
Und wenn er meine Worte hört: "Mein lieber Schatz, du darfst nicht sterben", dann atmet er ganz tief durch und schaut mich mit einem ganz langen Blick dankbar an. Und er hört diese Worte so gerne …