"Bildhübsches Appenzeller Mischlingsmädchen, 8 Monate alt, sucht liebevolles Zuhause." - Eine kleine Notiz unter der Rubrik "Tiernothilfe" in der Lokalzeitung.
Sie sprang mir ins Auge, als wäre sie von geheimnisvoller Hand mit einem Leuchtstift markiert worden.
Am nächsten Tag fuhr ich los, mit einer Adresse und ein paar Informationen im Sack, sowie erwartungsvollem Herzklopfen. Nach sechs langen, hundelosen Monaten war es höchste Zeit für einen neuen, vierbeinigen Gefährten.
Bildhübsch, ja das war sie wirklich. Kurzes, glänzendes Fell über einem schlanken, kraftvollen Körper. Dazu die bekannte, schwarzbraunweisse Sennenhundzeichnung.
Was mich jedoch auf der Stelle schmelzen liess, waren ihre bernsteinfarbenen Augen.
Es war Liebe auf den ersten Blick.
Nun ja, vorerst eine höchst einseitige Liebe.
Ich kann nicht sagen, dass ich nicht genau wusste, worauf ich mich da einliess. Zum einen hatte die nette Dame von der Tierhilfe es bereits angedeutet.
Vor allem jedoch liess das "bildhübsche Appenzeller Mischlingsmädchen" selbst keine Zweifel darüber, was es von Fremden hielt. Nämlich, dass jeder von ihnen zu der Kategorie "Gefahr" zählte, vor der man sich klugerweise so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen hatte.
Das galt übrigens für alles, was neu und unbekannt war, seien das nun Menschen, Strassen, oder sonst was, und es war auch der Grund dafür, dass sie als Einziges von ihren acht Geschwistern noch keinen Platz gefunden hatte. Wer wählt schon einen Welpen, der vor jedem Fremden Reissaus nimmt!
Aber vielleicht waren wir zwei, aus was für Gründen auch immer, einfach füreinander bestimmt, wer weiss das schon.
Auf jeden Fall brauchte ich kaum mehr als drei tiefe Atemzüge, um mich zu entscheiden.
Zwei Wochen später verbanden sich der Lebensweg des bildhübschen Mischlingsmädchens und mein eigener zu einer untrennbaren Schicksalsgemeinschaft.
Die beiden jungen Leute, bei denen meine neue Gefährtin auf die Welt gekommen war, hatten kein Auto. Sie fuhren also mit der Hundemama und deren Tochter in das nahe gelegene Städtchen, wo ich die kleine Gesellschaft am Bahnhof erwartete.
Für den weiteren Transport zu mir nach Hause hatte ich eine Freundin engagiert.
Ich kann nur ahnen, wie das Folgende für das noch junge und gänzlich lebensunerfahrene Tier gewesen sein muss: Die an sich schon ungewohnte Fahrt mit der Eisenbahn - aber da waren wenigstens Mama und die beiden vertrauten Menschen noch in der Nähe.
Und dann - dann nimmt plötzlich ein völlig fremdes Wesen die Leine - und zieht - zieht einen hinein in ein völlig fremdes enges Gehäuse, das sich gleich darauf lärmend in Bewegung setzt - fort von den vertrauten Menschen - fort von Mama ...
Sie war zu schockiert, um sich zur Wehr zu setzen.
Nach wenigen Minuten war die Fahrt auch schon zu Ende. Für die junge Hündin begann nun der zweite Teil des Horrors. Wir mussten sie aus dem Auto zerren, ins Haus hinein, dann Stufe um Stufe die Treppe hinauf.
Immerhin hatte sie sich inzwischen wieder soweit gesammelt, dass sie sich mit aller Kraft gegen diesen Weg sträuben konnte und sich beim Versuch, aus dem Halsband zu schlüpfen, beinahe ein Ohr abriss.
Gerade noch rechtzeitig hatte ich sie in der Wohnung.
Dort verkroch sie sich augenblicklich unter der Blumenbank vor dem Wohnzimmerfenster. An die Wand des hintersten Winkels gedrückt, starrte sie mir mit aus dem Halbdunkel hervorblinkenden Augen entgegen. Als ich mich zu ihr hinunterbeugte und meine Hand ausstreckte, um ihr die Leine abzunehmen, fletschte sie die Zähne.
Mir blieb nichts anderes übrig, als ziemlich dumm auszusehen und wieder aufzustehen.
Ich ging in die Küche, füllte einen Napf mit Wasser und einen mit Futter.
Dann trug ich beides vor die Blumenbank und stellte es auf den Boden.
Das dunkle Fellbündel an der Wand rührte sich nicht.
Ich schaute auf die Uhr - zehn Uhr dreissig - das würde ein langer Tag werden - und wahrscheinlich eine noch längere Nacht - Zum wiederholten Mal erinnerte ich mich an die Worte eines Freundes, der sich mit Hunden gut auskannte, und den ich vor ein paar Tagen um Rat gefragt
hatte:
"Hoffentlich weißt du wirklich, worauf du dich da einlässt. Deine neue Hündin wird sicher völlig verängstigt sein. Das kann Tage dauern, bis sie dir vertraut und dich als ihren neuen Menschen anerkennt ..." In diesem Augenblick fragte ich mich zaghaft, ob ich es wirklich wusste.
Eine bisher nicht bedachte Frage tauchte plötzlich auf.
Wie um alles in der Welt würde ich es unter diesen Umständen fertig bringen, mit ihr Gassi zu gehen? Selbst wenn ich die Hündin mit Ziehen und Zerren wieder unter den Tisch hervor und auf die Strasse bekam - würde sie nicht spätestens dann das Weite suchen, auch auf die Gefahr hin, ihr Ohr doch noch zu verlieren?
Mir fiel keine Lösung für dieses Problem ein. Also setzte ich mich demonstrativ gleichgültig im Schlafzimmer in den Fernsehsessel und drehte den Flimmerkasten an.
Ob sie das aufgeregte Pochen meines Herzens hörte, weiss ich nicht. Ich jedenfalls lauerte auf den kleinsten Muckser aus dem Wohnzimmer, starrte auf den Bildschirm und bekam von der über den Bildschirm flimmernden Talkshow nicht das Geringste mit.
Irgendwann später fiel mir ein, dass ich noch einkaufen musste. Hundefutter war zwar jede Menge im Haus - Trockenfutter, Büchsenfutter, vier verschiedene Leckerlisorten - aber mein Kühlschrank war für das bevorstehende Wochenende sehr schlecht ausgerüstet.
Na ja, vielleicht war es gar keine schlechte Idee, die neue Wohngenossin für einige Zeit sich selbst zu überlassen.
Also machte ich mich auf den Weg. Unterwegs fielen mir Berichte ein, in denen allein gelassene Hunde ganze Wohnungseinrichtungen verwüstet hatten.
Dann erinnerte ich mich an einen Film, in dem es einem eingesperrten Hund gelungen war, im Kampf um die Freiheit ein geschlossenes Fenster zu zertrümmern ... ich erreichte den Laden im Laufschritt.
Nein, das Fenster war unversehrt, das sah ich schon von weitem. Auch die Wohnungseinrichtung hatte keinerlei Schaden erlitten. Es schien, als hätte sich überhaupt nichts bewegt während meiner Abwesenheit.
Doch dann sah ich, dass die beiden Näpfe leer waren.
Gut, das bedeutete immerhin, dass das dunkle Schattenwesen unter der Blumenbank nicht vorhatte, zu verdursten oder zu verhungern.
Auf meine strategisch klug vorbereitete Einladung hin kam gegen Abend meine Freundin vorbei. Wie gewohnt raste als erstes ein grauweisses, staubwedelgrosses Temperamentbündel mit dem treffenden Namen Strizzi an ihr vorbei durch den Flur und schnurstracks ins Wohnzimmer.
Der kleine Wirbelwind bot seinen ganzen, nicht unbeträchtlichen Charme auf, um die neue Spielgefährtin unter dem Tisch hervorzulocken. Allerdings ohne den erhofften Erfolg. Die einzige Antwort, die er auf seine Avancen erhielt, war ein unmissverständliches Knurren. Sein Blick in unsere Richtung drückte auch ohne Worte aus, was er dachte:
- Also, sagt mal, was ist denn DAS für ein merkwürdiges Ding an der Wand da hinten?
Schliesslich zog er sich schmollend in eine Ecke zurück.
Zwei Stunden später sass ich wieder in meinem Sessel vor dem Fernseher.
Irgendwann muss ich wohl eingedöst sein. Kein Wunder, hatte ich doch in der vergangenen Nacht nicht allzu viel geschlafen.
Plötzlich fuhr ich hoch.
Im ersten Bruchteil einer noch nicht ganz wachen Sekunde glaubte ich, das Tappen auf dem Holzboden stamme von Dinah, meiner ersten Hündin. Aber die war doch im Hundehimmel ... was war denn ...
Den ersten Impuls, aufzuspringen unterdrückte ich gerade noch rechtzeitig.
Stattdessen blieb ich wie angeleimt in meinem Sessel kleben.
Meine Ohren hatten mich nicht getäuscht. Aus dem Dunkel des Wohnzimmers tappte es näher in meine Richtung, langsam, zögernd und dennoch mit einer rührenden Entschlossenheit, die mir die Tränen in die Augen trieb.
Mit hinter sich herschleifender Leine kam sie über die Schwelle. Von da an schluckte der Teppichboden meines Schlafzimmers das Geräusch ihrer Schritte.
Ich wagte nicht einmal den Kopf in ihre Richtung zu drehen.
Dann spürte ich ihren schmalen Kopf auf meinen Knien - ihren warmen Atem an meiner Hand - und schliesslich etwas Feuchtes und Weiches, das hastig und scheu über meinen Handrücken fuhr ...
Ihre Bernsteinaugen waren auf mein Gesicht gerichtet, als ich behutsam ihre weichen Ohren zu kraulen begann.
"Na, du - Mädchen, bist du aber ein ganz feines Mädchen," murmelte ich selig und nicht besonders geistreich.
Da Hunde jedoch weniger auf Worte als auf Töne hören, wird sie wohl verstanden haben, was ich sagen wollte.
Ich wusste schon vorher, dass ich ihren Namen ändern musste. Die jungen Leute ihrer Herkunft sprachen einen anderen Dialekt als ich. In ihrem eleganten ostschweizer Tonfall ausgesprochen entsprach ihr bisheriger Name durchaus ihrer feinen Erscheinung. Aus meinem Mund hätte er eher zu einer Kuh oder allenfalls zu einem Bernhardiner gepasst.
Aber das hatte noch Zeit.
Als ich mich nach unserem ersten und erfolgreich absolvierten Gutenachtpipispaziergang zum Schlafen fertig machte, quetschte sich das "bildhübsche Appenzeller Mischlingsmädchen" unter mein Bett.
Mein Freund, der Hundekenner hatte sich getäuscht. Es hatte nicht Tage gedauert, bis die junge Hündin mich als ihren neuen Menschen anerkannte, sondern nur gerade mal zwölf endlose Stunden.
Am nächsten Morgen rannte uns Paco, der grosse Sennenhund vom benachbarten Bauernhof entgegen und begrüsste uns stürmisch. Vor einem halbe Jahr hatte er mit mir um meine Dinah getrauert. Nun freute er sich über die neue Spielkameradin. Wie grosser Bruder und kleine Schwester sahen sie aus, das Riesentier des Bauern und meine zierliche Hündin. Sie hatte wohl gerade mal die Hälfte seines Gewichtes, jedoch genau dieselbe Zeichnung.
Die beiden beschnupperten gerade mit höchster Konzentration und einträchtig wedelnden Ruten ein paar Pferdeäpfel, als ich es zum ersten Mal sah - auf dem hübschen, braunen Hinterteil von Pacos "kleiner Schwester" war es
gezeichnet: ein exaktes, schwarzes Herz. In unschuldiger Koketterie bog es sich in Rhythmus ihres Laufens mal nach rechts, mal nach links.
Da wusste ich, wie ich sie nennen wollte.
"Cora", rief ich, "Cora!"
Und gleich noch einmal: "Cora!"
Sie hielt inne, blickte aufmerksam zurück und stellte ihre lustig wippenden Knickohren auf. Dann machte sie kehrt und rannte mir entgegen.
Der Name schien ihr zu gefallen.
Hier könnte ich diese kleine Geschichte mit einem Happyend ausgehen lassen.
Es ist nicht etwa ein unbezwingbarer Drang zur Ehrlichkeit, der mich dazu bewegt, die Story von Cora und mir bis zu ihrem wirklichen Ende zu erzählen.
Es geht auch nicht um eine literarische oder stilistische Frage. Ich habe einfach das (vielleicht nicht ganz nachvollziehbare) Gefühl, dass ich er ihr schuldig bin.
Und mir vielleicht auch.
Wir waren drei Jahre zusammen. Drei anstrengende, nervtötende, wunderschöne Jahre.
Im Grunde ihres Wesens war Cora ein verspieltes, neugieriges und sehr temperamentvolles Tier. Diese Wesenszüge kamen jedoch nur zum Vorschein, wenn sie in vertrauter Umgebung mit Kindern oder anderen Hunden zusammen war.
So kam auch der grauweisse Wirbelwind meiner Freundin doch noch auf seine Kosten. Strizzis Lieblingsspiel war es, mit rasender Geschwindigkeit einen atemberaubenden Slalom zwischen den ebenso schnellen Beinen seiner Freundin zu absolvieren.
Die übrige Zeit klebte mein Hund auf Schritt und Tritt an meinen Fersen.
Spaziergänge in unbekannten Gegenden waren für uns beide eine ziemlich stressige Angelegenheit. Jeder noch so harmlos aussehende Passant trieb meine Angsthäsin in die Flucht. Die wenigen, unvermeidlichen Gänge in die Stadt waren der blanke Horror.
Fast ein Jahr lang übte ich, verschiedenen Ratgebern folgend, alles Mögliche mit ihr. Es war eine Gratwanderung zwischen verhängnisvoller Überforderung und notwendigem an die Grenze gehen. Ich wusste nie mit Sicherheit, auf welcher Seite ich gerade war.
Mein Freund, der Hundekenner machte ein ernstes Gesicht.
"Einem Hund etwas abzugewöhnen ist eine Sache und mit genügend Geduld auch fast immer möglich. Ihm etwas beizubringen, was in seiner frühesten Kindheit hätte geschehen müssen, ist viel schwieriger. Die ersten Prägungen sind nur sehr schwer nachzuholen. Du musst aufpassen, dass sie nicht zur Angstbeisserin wird!" Angstbeisserin! Was für ein fürchterliches Wort! Ich verstaute es so schnell wie möglich in der untersten Schublade meines Bewusstseins.
Doch der Leiter des Hundeferienheimes, wo ich Cora von Zeit zu Zeit abgeben konnte, um uns beiden eine Verschnaufpause voneinander zu verschaffen, bestätigte die Meinung meines Freundes. Und weil dieser Mann wirklich viel Erfahrung mit allen möglichen Problemhunden hatte, musste ich ihm wohl oder übel glauben.
Also beendete ich meine Nacherziehungsversuche und stellte mich also auf mindestens zwölf, wenn nicht mehr Jahre Aufpassen und Rücksichtnehmen ein.
Eigentlich empfand ich es gar nicht als Einschränkung, mein Leben Coras Besonderheiten und Bedürfnissen anzupassen, denn sie beschenkte mich mit der bedingungslosen Hingabe, die allen Hundehaltern zuteil wird.
Aber es wurden nicht zwölf Jahre. Nur drei.
Es kam wie der sprichwörtliche Blitz aus heiterem Himmel.
Von einer Sekunde auf die andere hatte ich das Gefühl, in einem Horrorfilm gelandet zu sein.
Ein heisser Sommertag. Ein kühler Sitzplatz. Zwei Hunde (Wirbelwind und Angsthäsin, beide ziemlich schlapp) dösend unter dem Tisch. Ich und meine Freundin vor einem Stück Eistorte, in irgendein Weibergespräch vertieft.
Ihre kleine Tochter, unermüdlich wie Kinder in diesem Alter, über den Rasen rennend und mit einem Frisbee spielend.
Sie kannten und liebten einander, meine Cora und die kleine Maxie.
Ich habe bis heute keine Erklärung dafür. Vielleicht sah der Hund in dem glellfarbigen, herumwirbelnden Frisbee eine Bedrohung - aber das würde immer noch nicht erklären, warum er dann nicht das Spielzeug, sondern das Kind angriff.
In Coras Hirn musste eine Sicherung durchgebrannt sein.
Glücklicherweise erwischte sie "nur" Maxies Po.
Meine Freundin rannte mit ihrer schreienden Tochter ins Haus. Ich packte meinen Hund und verliess panikgeschüttelt den Garten.
In meiner Wohnung angekommen, verkroch sich Cora sofort unter meinem Bett.
Wahrscheinlich verstand sie ebenso wenig wie alle anderen, was da gerade passiert war.
Erst gegen Abend wagte ich anzurufen und mich nach Maxie zu erkundigen.
Meine Freundin war ganz Ruhe und Verständnis.
"Maxie geht es gut. Wir waren beim Arzt. Du kannst gerne vorbeikommen. Aber lass Cora zu Hause."
Maxie zeigte mir stolz das knallrote Bimbopflaster, das ihr der Doktor auf die Bissstelle geklebt hatte. Der kurzbeinige, blöde grinsende Elefant namens Bimbo gab sich alle Mühe, das darunter verborgene Entsetzen vergessen zu lassen.
Das kleine Mädchen legte die Arme um meinen Hals.
"Cora hat es bestimmt nicht böse gemeint." Kinderherzen sind um so vieles grösser, als wir ahnen.
Meine Augen begannen zu brennen.
Nein, ich wollte wirklich nicht vor diesem tapferen, kleinen Mädchen in Tränen ausbrechen. Trotzdem begann ich zu heulen, als wäre nicht sie, sondern ich fünf Jahre alt.
Ich brauchte sechs Tage, um schliesslich das zu tun, was ich bereits an jenem entsetzlichen Nachmittag als einzig mögliche Konsequenz erkannt hatte.
Sechs Tage und sechs Nächte war ich damit beschäftigt, mich zu drehen und zu winden, nach Auswegen zu suchen. Doch jede Möglichkeit erwies sich spätestens beim drittten Nachdenken als Sackgasse. Trotz aller mentalen Kopfstände und Purzelbäume landete ich immer wieder an genau derselben, unerbittlichen Stelle.
Irgendwann in dieser Zeit erkannte ich auch, dass es durchaus Voranzeichen für dieses Unglück gegeben hatte. Ich habe sie nur nicht wahrhaben wollen.
Der Blitz aus heiterem Himmel hatte sich in Wahrheit bereits über längere Zeit vorangekündigt.
Ob diese Geschichte einen anderen Verlauf genommen hätte, wenn ich ...
... hatte und hätte ... hatte und hätte ... es machte mich fast wahnsinnig, dieses Karussell von hatte und hätte.
Und Cora?
In dieser ganzen irren Story verstand ich dies am allerwenigsten:
Während ich zeitweise nahe daran war, meinen Verstand zu verlieren, zeigte meine Hündin auf einmal eine Ruhe und Ausgeglichenheit, wie ich sie in den ganzen drei Jahren unseres Zusammenseins nie erlebt hatte.
Sie klebte tagsüber nicht mehr ständig an meinen Fersen, sondern lag meistens unter meinem Schreibtisch auf ihrer Decke und schlief. Sie schlief praktisch ununterbrochen in diesen zehn Tagen, tagsüber wie gesagt auf ihrer Decke, nachts unter meinem Bett.
Ich hatte keine plausible Erklärung für dieses Verhalten. Doch es bestätigte irgendwie die Richtigkeit meiner Entscheidung.
Ich bin bis heute überzeugt davon, dass sie Bescheid wusste. Von Anfang an.
Noch bevor ich selbst mich zu dem unausweichlichen Schluss durchgerungen hatte.
An unseren letzten gemeinsamen erinnere ich mich wie an einen nebelhaften Traum.
Um Cora den Horror der Stadt zu ersparen, nahm ich für die Fahrt zum Tierarzt ein Taxi. Zum Glück war es ein Chauffeur, der uns nicht kannte. Er mag sich vielleicht über mein versteinertes Gesicht gewundert haben, in dem mir jeder einzelne Muskel wehtat.
Ich weiss nicht mehr, wie ich aus der Praxis wieder herausgekommen bin.
Der Weg zurück zum Bahnhof führte über eine grosse, dicht befahrene Kreuzung.
Ich blickte starr geradeaus.
Aus dem rechten Augenwinkel sah ich plötzlich mitten auf der blumengeschmückten Verkehrsinsel einen Hund sitzen.
Er glich Cora aufs Haar.
Als ich den Kopf drehte und genauer hinsah, war die Insel leer.
Das ist nun bald drei Jahre her. Ich habe keinen nächsten Hund zu mir geholt. Ich weiss auch nicht, ob ich es jemals wieder tun werde.
Irgendwann, vielleicht.