Nicht immer ist auf das Wort des Künstlers Verlass. Gerade beim Mythendichter Jospeh Beuys. Doch zum Jahreswechsel 42/43 gelang ihm ein wahres Bekenntnis: er fühlte sich von den Damen vernachlässigt, weil er nicht tanzen konnte. Autorin: Astrid Mayerle
Wäre Jonathan Meese ein Fußballer, würde er in jedem Spiel ein Dutzend Janusköpfer liefern. Als enfant terrible der Gegenwartskunst ist bei ihm im Zweifelsfall auch das Gegenteil wahr. Oder eben beides oder auch keins von beidem. Meese etwa behauptet, man müsse und könne klar trennen zwischen der Bühnenperson und dem Privatmenschen. Meese führt wie kaum ein anderer Künstler sein Publikum aus den angeblich scharf und klar umrissenen Denkterritorien in unscharfe Randzonen, Sumpfgebiete, Nebelwälder. Wie viel Vertrauen in das künstlerische Wort kann, darf, soll daher noch der gemeine Zuschauer aufbringen? An seinen Ohrmuscheln brechen sich die Wortkaskaden der Kunstdarsteller in alle Richtungen - auch in jene, wo das Wort gerne wörtlich genommen werden mag, so wie damals bei Joseph Beuys.
Von fremden Tataren und Kernseife
Im Laufe seines Lebens hatte er immer wieder behauptet, das Erweckungserlebnis für seine künstlerische Arbeit hätte sich im zweiten Weltkrieg ereignet: ein Flugzeugabsturz mit einer Stuka auf der Krim. Tataren hätten ihn im meterhohen Schnee gefunden, mit Fett und Filz gepflegt, ja vor dem Tod gerettet. Allerdings: Am Absturztag lag kein Schnee und wenig später wurde der Bordfunker Beuys von den Lazarettärzten in ein Krankenhaus eingeliefert. Auch stellte sich Beuys später gerne mit Pilotenkappe als Flieger dar, doch durfte er immer nur als Funker an Bord. Längst ist Beuys´ Tatarengeschichte als Mythos entlarvt, dennoch läuft sie bei allem, was man von ihm sieht, als Hintergrundrauschen mit: Ein Bild, das hartnäckiger ist als jedes Dementi.
Die Tatarengeschichte eignet sich hervorragend als Gründungslegende für eine Künstlerexistenz, jedoch hatte Beuys seine Zukunftspläne bereits anderthalb Jahre vor seinem Absturz auf der Krim in einem Brief an seine Eltern angekündigt. Nachdem er sich für Ihre Pakte mit Kernseife, Sacharin, blaue Briefumschläge und 7 Reichsmark bedankt hat, schreibt er, dass er nach dem Krieg Bildhauer werden wolle. - Unter Vorbehalt allerdings: es sei sein vorläufiger Entschluss, den er von einem baldigen Kriegsende abhängig mache.
Warten auf die Damenwahl
Beuys, das erzählen seine Briefe, konnte hervorragend zwischen pragmatischem Privatissimo und elegischer Erhabenheitspoesie hin- und herwechseln. Kein Eintrag belegt dies treffender als jener vom 30. Dezember 1942 : Hier schwärmt er, vom "wunderschönen Riesengebirge in seinem winterlichen Kleid" - und schreibt an seine Eltern, dass die Truppe immer im Freien ist und er meist müde von den Wanderungen zu den Mahlzeiten zurückkehrt. Er ist sich sicher, gut ins neue Jahr zu kommen und wünscht dasselbe den Eltern.
Was das Sylvestermahl betrifft, hält sich der Sohn in dem drei Tage später verfassten Brief zurück, er erzählt nur, dass es ein "rauschendes Fest" gab. Doch klagt Single Beuys auch darüber, dass ihm die anwesenden Damen zu wenig Beachtung schenkten. Der Grund dafür: er konnte nicht tanzen.