Offiziell verboten zu werden kann einem als Kritiker unter gewissen Regimen passieren. Dass einem gleich die Existenz abgesprochen wird, komplett und fristlos - das ist dann doch noch eine Nummer anders. Autor: Xaver Frühbeis
Sie waren zu sechst und nannten sich "Renft". Sie trugen lange Haare und lange Bärte, und "Renft" war der Name ihres Chefs. Eigentlich hieß er: Klaus Jentzsch. Renft war der Mädchenname seiner Mutter. Die Gruppe "Renft" spielte Rockmusik. Und einer von ihnen war ein Mitarbeiter der Staatssicherheit. Das wussten sie damals noch nicht, und es wäre vermutlich auch nicht besonders überraschend gewesen. Es lag nahe, dass das Ministerium für Staatssicherheit der DDR auch in den berühmten Rockbands des Landes seine Spitzel hatte.
Klare Töne aufgespielt
"Renft" war eine aufmüpfige Band. Mehrmals waren sie verboten worden, mehrmals hatten sie sich Kompromissen gefügt, mittlerweile hatten sie einen Vertrag mit der Künstler- und Gastspieldirektion der DDR, und es ging ihnen gut. Sie bekamen Spitzengagen, es gab zwei Langspielplatten, sie konnten reisen und auf Tournee gehen. Immer natürlich unter der Obhut der Direktion. Freies Tun und Walten war nicht erlaubt. Die Direktion sorgte für einen wie ein Großer Bruder. Sie handelte die Verträge aus, setzte die Gagen fest, organisierte Plattenproduktionen und Tourneen. Natürlich ist man so einem freundlichen Großen Bruder dann auch Rechenschaft schuldig. Man muss regelmäßig vorspielen. Neue Liedtexte müssen genehmigt werden. Auf Konzerten muss man sich von Mitarbeitern beobachten lassen. Die DDR-Führung versuchte nicht, die Rockmusikszene im Land zu unterdrücken. Das wäre ein Fiasko geworden. Statt dessen ließ man die jungen Leute lieber gewähren und hatte aber ein strenges Auge drauf, dass sie nichts Falsches sangen. Und sollte jemand damit nicht einverstanden sein, zu dem war der Große Bruder dann mit einem Mal gar nicht mehr so freundlich.
Ausgespielt!
Am 22. September 1975 ist Vorspiel für "Renft". Im Leipziger Kulturhaus steht schon die Verstärkeranlage.
Die Leute von "Renft" sind da, außerdem einige Herrschaften der "Bezirkskommission für Unterhaltungskunst", an ihrer Spitze die Vorsitzende, Ruth Oelschlegel.
Dass bei diesem Treffen etwas anders laufen wird als sonst, ahnen die "Renft"-Musiker schon. Für ihre neue Langspielplatte haben sie ungewohnt kritische Texte eingereicht. Man hat sie deswegen zur Brust genommen, hat ihnen nahegelegt, zwei Musiker rauszuwerfen, aber: umsonst. "Renft" ist es Leid, immer neue Kompromisse einzugehen. Und da sitzen sie nun, und in der Hemdtasche ihres Chefs steckt ein kleines Aufnahmegerät, das aufzeichnet, wie ihnen Ruth Oelschlegel - bevor überhaupt ein Ton gespielt worden ist - eröffnet, dass die Texte der neuen "Renft"-Lieder mit der sozialistischen Wirklichkeit nicht das Geringste zu tun hätten, dass in ihnen die Arbeiterklasse verletzt sowie Staats- und Schutzorgane diffamiert würden, und dass aus diesem Grund die Gruppe "Renft" ab sofort nicht mehr existieren würde. "Dann sind wir also verboten?" fragt einer. "Nein", sagt Frau Oelschlegel. "Ich habe Ihnen nicht gesagt, dass Sie verboten sind. Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie nicht mehr existieren."