Eigentlich sollte er von Staats wegen gar nicht gehört werden. Trotzdem verbreiteten sich seine Lieder... eben neben staatlichen Wegen. Wladimir Wyssozki war wohl der angeblich ungehörteste Musiker der Sowjetunio. Autor: Markus Mähner
Eigentlich hätte das, was sich am 28.Juli 1980 in Moskau ereignete, nicht stattfinden sollen. Niemand hätte kommen sollen. Die Zeitungen hatten absichtlich nichts über das Ereignis geschrieben. Im Stillen und ohne Aufsehen sollte die Beerdigung des Mannes vonstatten gehen. Nur wenige Tage vorher erst hatten die Olympischen Spiele begonnen und die Sowjetregierung wollte neben dieser Großveranstaltung keine anderen Menschenansammlungen zulassen.
Psssst!
Doch alles Geheimhalten hilf nichts: Die Menschen kamen und sie kamen in Massen. Die Beerdigung des Schauspielers und Liedermachers Wladimir Wyssozki geriet zur größten nicht staatliche verordneten Demonstration,
die Moskau bis dahin gesehen hatte: 40.000 Russen wollten von ihrem Helden Abschied nehmen.
Denn: Wyssozki ist das Zeichen, dass es auch anders ging in der Sowjetunio, dass es eine breite Kultur gab, die nicht unter dem Reglement des Regimes stand: Seine Konzerte und die meisten seiner Lieder waren zwar offiziell nie erlaubt; trotzdem fanden sich unter den Zuhörern öfters hochrangige Parteifunktionäre.
Der Exzentriker Wyssozki, der in Lederjacke nachts rauchend durch Moskau raste - alle Verkehrsregeln mit seinem Mercedes (dem einzigen Privatmercedes Moskaus) grob missachtend - während das Volk in seinen Ladas sich brav an die Vorschriften halten musste, wurde heiß geliebt von diesem Volk. Von einem Volk, dass ihn ja eigentlich gar nicht in diesem Ausmaße kennen sollte. Denn seine Lieder, die von Prostitution, Verbrechen und Antisemitismus handelten, existierten ja offiziell gar nicht. Nur die harmlosesten dieser mit schreiender-verrauchter Stimme vorgetragenen Hymnen wurden auf Schallplatte gepresst.
Nichts Offizielles weiß man nicht…
Doch obwohl nur wenige offizielle Aufnahmen seiner Lieder existieren, ziemlich jeder Russe konnte und kann auch noch heute mindestens eines seiner Chansons singen. Grund dafür: Die zahlreichen inoffiziellen Mitschnitte von seinen Konzerten, von Tonband zu Tonband oder von Kassette zu Kassette kopiert und verbotenerweise in Metrostationen oder Hinterhöfen unter dem Mantel von Hand zu Hand für einen Rubel weitergereicht.
Magnitisdat, so heißt dieser Vertiebsweg, der in der Sowjetunio bei manchen Künstlern für weit mehr Hörer sorgte als die offiziellen Veröffentlichungen.
Und: Diese Kultur nahm nicht nur unglaubliche Ausmaße an, auch der Erfindungsreichtum der “Untergrundlabel“ war einmalig. Berühmt sind noch heute die Schallplatten, die auf ausrangierte Röntgenbilder gepresst wurden. Unerschöpflicher Nachschub für diese heiß begehrten Tonträger, die Knochenbrüche und Schädelbilder zierten, waren die Keller der russischen Krankenhäuser, die ohnehin zu viel davon hatten und mit der Entsorgung gar nicht mehr nachkamen.
Dank dieser Untergrundkultur zählten die Lieder Wladimir Wyssozkis zu den meistgehörtesten der Sowjetunio. Und: Wenn man einem Russen nach den größten Helden des 20. Jahrhunderts fragt, so ist der Name Wyssozki immer mit dabei - der Name eines Schauspielers und Musikers, dessen Lieder die Russen eigentlich gar nicht kennen sollten.