"Vom Ernst des Lebens kann man nicht leben", wusste Showdirektor Barnum und veranstaltete Zeit seines Lebens einen Riesen-Zirkus. Wenn man mit so etwas das große Geld machen will, darf man es aber mit der Moral nicht so genau nehmen. Autor: Christian Feldmann
Im Mittelalter hätte sich Johannes Heesters wohl den Beinamen “stupor mundi“ verdient, “Staunen der Welt“, weil er mit 104 und 105 Jahren immer noch auf der Bühne stand und Konzerte gab. Konrad Adenauer war 85 Jahre alt, körperlich erstaunlich rüstig und geistig völlig frisch, als er 1961 noch einmal zum Kanzler gewählt wurde. Drüben in England schickt sich die 89-jährige Queen Elizabeth an, ihrer Ururgroßmutter Königin Viktoria den Anspruch auf die längste Amtszeit in der britischen Monarchie, 63 Jahre, streitig zu machen - im September wäre es so weit.
Eine amerikanische Karriere
“Peanuts!“ hätte die einst nicht minder prominente Afroamerikanerin Joyce Heth zu solchen Sensatiönchen gesagt. 1835 trat sie in New York als Amme des längst verstorbenen George Washington auf, im Alter von angeblich 161 Jahren. Blind und gebrechlich, faszinierte sie ihr Publikum mit ehrwürdigen Gospels und Anekdoten aus der Kindheit des “kleinen lieben George“, wie sie ihn nannte. Bald darauf starb Joyce an Altersschwäche. Bei der Obduktion stellte sich heraus, dass sie wohl noch keine achtzig war. Aber der Zirkusdirektor und Showmanager Phineas Taylor Barnum, der die quirlige Dame für exakt tausend Dollar einem Plantagenbesitzer abgekauft hatte, war wieder um ein schönes Stück Geld reicher geworden.
Die Geschichte dieses Tausendsassa Barnum ist die einer typisch amerikanischen Karriere. 1810 als Sohn eines kleinen Farmers, Spediteurs und Krämers im Bundesstaat Connecticut geboren, tat er sich schon als kleiner Junge mit raffinierten Tauschgeschäften hervor, handelte mit Modeschmuck, Spielsachen, Austern, eröffnete eine Lotterie-Agentur, gab eine reißerisch aufgemachte Zeitung heraus und wanderte wegen Verleumdung ins Gefängnis, was die Auflage erheblich steigerte, weil er sich erfolgreich zum Märtyrer der Pressefreiheit stilisierte - und entdeckte schließlich seinen Traumberuf: Schausteller, Kuriositätensammler, “Raritätenmann“.
König Humbug
“Vom Ernst des Lebens allein kann man nicht leben“, hieß sein Credo, “Männer, Frauen und Kinder wollen etwas sehen und hören. Und es gibt keinen zweiten Ort in Amerika, wo man für 25 Cents so viel zu sehen bekommt wie bei Barnum.“
In seinem “American Museum“ in New York traten Akrobaten, Seiltänzer, Bauchredner auf; wild dreinblickende Indianer, Albinos, Zwerge, dressierte Flöhe und ein Hund, der munter eine Strickmaschine bediente. Man konnte monströse Schlangen, Giraffen, Orang Utans und ein Rhinozeros bestaunen, ausgestopfte exotische Vögel, Mumien, Skelette, Miniaturmodelle von Paris und Jerusalem und eine ohrenbetäubend laut rauschende Nachbildung der Niagarafälle, was Barnum eine saftige Rechnung der New Yorker Wasserwerke einbrachte. Ständig war er in allen Kontinenten unterwegs, um die absonderlichsten Launen der Natur aufzuspüren, und er kannte dabei wenig moralische Skrupel. Seine “Aztekenkinder“ aus dem mexikanischen Urwald entpuppten sich als Insassen eines Heims für geistig Behinderte; als das Interesse der Schaulustigen nachließ, schaffte Barnum sie dorthin zurück.
Aber “König Humbug“, wie ihn das skeptische und dennoch magisch angezogene Publikum nannte, war auch als Wohltäter und Moralapostel bekannt; seine Besucher traktierte er mit sittenstrengen Dramen à la “Der Trunkenbold“;
wo er hinkam, erhielt die Geistlichkeit Freikarten. Mit seinen Bluffs und Attraktionen scheffelte er Millionen Dollar - und verlor sie wieder, wenn er bei gewagten Unternehmungen pleite ging oder seine Ausstellungshallen abbrannten, was mehrfach geschah. Am 7. April 1891 starb Phineas Taylor Barnum in New York.