Die Sorge um die Frauen trieb die Männer dazu ein Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen einzuführen. Sorge um die Gesundheit – oder Sorge vor zu viel Selbstbewusstsein? Es bestand 100 Jahre, bis zum 28. Januar 1992.
Der preußische Regierungsrat Theodor Lohmann war ein Mann mit Weitblick. Schon 1872 setzte sich Bismarcks Experte für Sozialpolitik dafür ein, Nachtschichten für Fabrikarbeiterinnen zu verbieten - damals kam die Industrialisierung in Deutschland erst so richtig in Schwung und im ganzen Reich plagten sich nur ein paar tausend Frauen des Nachts in Werkshallen. Aber zweifellos würde sich dieses Unwesen allgemein verbreiten, schöbe man nicht beizeiten einen Riegel vor!
Sorge um Sittlichkeit
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts fanden sich ansonsten erbitterte politische Gegner in Eintracht zusammen, wenn es um die Nachtarbeit von Frauen ging. Warum sie fürdas weibliche Geschlecht schädlicher sei als für das männliche, konnten auch die Mediziner nicht erklären, fanden eine nähere Begründung aber auch gar nicht nötig. Es verstehe sich ja von selbst, dass Frauen von Natur aus schwach seien und sich überdies die meiste Zeit - nämlich vor, während und nach der Menstruation - in einem pathologischen Zustand befänden.
Aber die Gesundheit war für die meisten Befürworter des Nachtarbeitsverbots auch gar nicht das größte Problem. Viel ärger erschienen die Gefahren für Sittlichkeit und Familienleben. Es war ja schon bedenklich genug, wenn junge Frauen tagsüber, so Regierungsrat Lohmann, "der Ausbildung für den Hausfrauenberuf entzogen" wurden und ganz ohne elterliche Aufsicht neben Männern arbeiteten. Und dann auch noch nächtens, in überhitzten Hallen mit schummrig beleuchteten Winkeln! Und welche Folgen waren zu befürchten, wenn Ehefrauen und Mütter nachts außer Haus wären? Verrohung, Verwahrlosung und am Ende womöglich Revolution!
Um die Millionen Dienstmädchen, Heimarbeiterinnen und Bauernmägde, die praktisch rund um die Uhr schufteten, sorgte sich niemand. Aber darin war sich das konservative Lager einig: "Ist die Frauenarbeit in den Fabriken überhaupt ein großes soziales Übel, so muss man die Frauenarbeit zur Nachtzeit als der Übel größtes bezeichnen".
So dachten auch viele Sozialdemokraten, aber solange die Partei unter dem Sozialistengesetz verboten war, hatte das keine große Bedeutung. Entscheidend war, dass Lohmanns Chef, Reichskanzler Bismarck, ein Nachtarbeitsverbot für Frauen strikt ablehnte. Das nähme ihnen nur Verdienstmöglichkeiten und schaffe dadurch Nöte, für welche die Regierung nicht aufzukommen gedenke. Doch nach Bismarcks Rücktritt ging es dann ganz schnell: die Frauennachtarbeit in Fabriken wurde verboten. Auch die nun wieder zugelassenen Sozialdemokraten stimmten zu.
Gegen die Verfassung
1892 trat das Gesetz in Kraft - Symbolpolitik, wie sie auch andere Länder betrieben. Während der Weltkriege wurde das Verbot in Deutschland vorübergehend aufgehoben - und gleich danach wieder in Kraft gesetzt; nach 1945 aber nur im Westen, nicht in der DDR. Erst 1991 entschied der Europäische Gerichtshof, dass es dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen widerspreche. Gleich danach beschäftigte sich auch das Bundesverfassungsgericht damit.
Das Urteil fiel am 28. Januar 1992: Das Nachtarbeitsverbot für Frauen sei doppelt verfassungswidrig. Erstens benachteilige es Frauen gegenüber Männern, weil ihnen bestimmte Berufe und Arbeitsstellen dadurch verschlossen seien. Zweitens galt es nach wie vor nur für Arbeiterinnen, es benachteilige diese also gegenüber Angestellten und Beamtinnen.