Der Celllist Gregor Piatigorsky war obdachlos und hungrig, bevor er die Gelegenheit bekam bei den Berliner Philharmonikern vorzuspielen. Piatigorsky ergriff sie beim Schopfe. Am 19. Januar 1925 war der Durchbruch geschafft.
Es war alles so schief gegangen wie es nur schief gehen konnte. Ein paar Monate zuvor, in Warschau, hatte ihm ein reicher Amerikaner versprochen, ihm eine Ausbildung in Berlin zu bezahlen. Dort seien die allerbesten Professoren. Aber in Berlin merkt er schnell, dass der Unterricht hier auch nicht viel anders ist als anderswo. Und dann taucht eines Tages ganz verärgert sein Mäzen auf und will wissen, wohin eigentlich das viele Geld verschwindet, das er ihm regelmäßig über einen Treuhänder zukommen lässt. Es stellt sich raus, dass der Treuhänder monatlich größere Summen für sich selbst abzweigt. Da beschließt Gregor Piatigorsky, nie wieder von einem Wohltäter Geld anzunehmen.
Betrogen, gekündigt, verjagt
Konzertveranstalter sind auch nicht besser. Eine Tournee durch Lettland ist ein großer Erfolg. An dem Morgen, an dem ihn der Manager auszahlen soll, liegt im Hotel für ihn ein Umschlag. Darin: eine Fahrkarte dritter Klasse, von Riga nach Berlin. Sonst nichts. Vor allem aber: kein Geld. Als Gregor Piatigorsky im abfahrenden Zug aus dem Fenster schaut, steht draußen am Bahnsteig der Manager und winkt ihm zu.
In Berlin geht es so weiter. Die Konzertsäle sind ausgebucht, niemand wartet auf einen unbekannten, jungen Cellisten aus Russland. Piatigorsky verkauft seine Bücher und die Uhr, der Vermieter dreht ihm die Heizung ab, er schläft in seinen Kleidern, und, als er schließlich gekündigt wird, im Tiergarten auf einer Bank. Wo ihn aber immer wieder die Nutten wegscheuchen. Ihre Freier, sagen sie, hätten Angst vor seinem großen Cellokasten. Ab und an lässt er sich auch mal über Nacht in der Philharmonie einsperren. Da hat er's warm und kann der Musik nahe sein.
Ein paar Musiker des Orchesters versuchen zu helfen. Einmal bucht ihn ein Flötist für die Aufführung eines neuen Werks von Arnold Schönberg. In einer Probenpause, während die anderen über Musik und Politik disputieren, entdeckt er, dass nebenan belegte Brote liegen.
"Das war", schreibt er später in seiner Autobiografie, "wie wenn man einen Wolf in einen Stall voller kleiner Lämmchen lässt. Ich hab eins nach dem anderen verputzt. Und ich war schnell. Als kein Brot mehr übrig war, machte ich mich an den Kuchen. Als nichts Essbares mehr auf dem Tisch war, ging ich wieder zurück zur Gruppe. Man hatte gar nicht bemerkt, dass ich weg gewesen war.
"So, meine Herren", sagte der Pianist. "Nebenan wartet der Tee auf uns." Als wir alle im Zimmer waren, rief der Pianist das Mädchen.
"Wo sind denn die ganzen Brote?"
Und ich sah, wie ihre Augen vor Schreck ganz groß wurden."
Umarmt, engagiert, gefeiert
Irgendwann aber hat auch die ärgste Misere ein Ende. Die Philharmoniker suchen einen neuen Cellisten. Piatigorskys Freund, der Flötist, spricht mit dem Chefdirigenten. Er würde da jemanden kennen, ob der nicht mal vorspielen dürfe. Wilhelm Furtwängler meint, er dürfe. Piatigorsky ist nervös, aber das Vorspiel läuft ausgezeichnet, zu seiner Überraschung umarmt ihn Furtwängler auf offener Bühne und engagiert ihn auf der Stelle.