Das geschriebene Wort ist für jede Nation und Zivilisation ein wichtiges Identifikationsmerkmal. Auch in Tibet dient die Schrift nicht nur als Instrument des Informationsaustauschs im Inneren sowie mit der Außenwelt, sondern auch als Träger der tibetischen Geschichte und Kultur. Die tibetische Schrift geht auf das siebte Jahrhundert unserer Zeitrechnung zurück und ist damit seit mehr als 1.300 Jahren in Benutzung. Dabei durchlief sie eine lange Entwicklung, die zu ihrer ständigen Vervollkommnung beitrug. Heute ist sie die bisher einzige Schrift einer ethnischen Minderheit in China, die nach internationalen Normen in der globalen Informations- und Kommunikationstechnik verwendet wird. Hierzu erklärt Pasang Wangdu von der tibetischen Akademie der Sozialwissenschaften:
„Von den geschichtlichen Aufzeichnungen der tibetischen Nationalität aus betrachtet ist der Ursprung der tibetischen Sprache noch immer umstritten. Die meisten Aufzeichnungen berichten von Thonmi Sambhota, einem Minister Songtsen Gampos, der sich auf eine Pilgerreise nach Indien begab, um buddhistische Sutren zu sammeln. Während seiner Reise erlernte er die indische Schrift. Nach seiner Rückkehr nach Tibet entwickelte er auf dieser Grundlage ein tibetisches Schreibsystem."
Mit dem Beginn des Informationszeitalters eröffneten sich dem Tibetischen völlig neue Möglichkeiten. Ngodrup ist Direktor des Instituts für Ingenieurswissenschaften an der Universität Tibet und zugleich Direktor des Forschungszentrums für tibetischsprachige Informationstechnik. Seit seinem Abschluss an der Universität Tibet im Jahre 1986 hat er sich kontinuierlich mit der tibetischen Schrift innerhalb der Informationstechnik beschäftigt. Er teilt uns mit:
„Die Erforschung der tibetischsprachigen Informationstechnik in unserem Land begann in den 1980er Jahren. Inzwischen, nach 20 Jahren der Bemühungen, liegt das technische Niveau Chinas in diesem Bereich bereits über dem anderer Länder. Damit ist China hinsichtlich der tibetischen IT-Forschung weltweit führend. Wir verfügen über die Bedingungen für eine gleichmäßige Entwicklung der Informationsverarbeitung im Chinesischen und Tibetischen."
Die Ausarbeitung einer sowohl auf staatlicher als auch internationaler Ebene gültigen Normcodierung für die tibetische Schrift begann 1993. Nach gemeinsamen Anstrengungen der beteiligten Experten erhielt der Normsatz 1997 nach einer strengen Prüfung die Zulassung der internationalen Organisation für Standardisierung (ISO). Damit war die tibetische Schrift die erste Minderheitensprache Chinas, die eine eigene internationale Zulassung als weltweit verwendeter IT-Schriftsatz aufweisen konnte. In der Folge breit angelegter Unterstützungen war es Ngodrup und anderen Wissenschaftlern möglich, die weitere Entwicklung der tibetischsprachigen Informationstechnologie voranzutreiben. Dabei konnten große Fortschritte verzeichnet werden, wie Ngodrup erklärt.
„Wir beschäftigen uns vor allem mit der Entwicklung von tibetischen Codierungen, Eingabemethoden, Betriebssystemen oder verschiedener tibetischsprachiger Bürosoftware. Natürlich arbeiten wir auch an in- und ausländischen Normen zur Informationsverarbeitung auf Tibetisch. Die Ausarbeitung der entsprechenden Normen hat dazu beigetragen, dass Programme aus dem In- und Ausland miteinander kommunizieren können. Jetzt können Daten zwischen unterschiedlichen Softwares ausgetauscht und verarbeitet werden, was bisher unmöglich war. Hierdurch wurde die Rolle der tibetischen Software immer weiter gefestigt."
Im November 2008 wurde das erste elektronische tibetisch-chinesisch-englische Wörterbuch ins Leben gerufen. Der Erfinder des Programms, Lozang, ist als Dozent an der Universität Tibet tätig. Lozang studierte am Institut für Physik an der Pädagogischen Hochschule Qinghai und hat selbst an der Erarbeitung staatlicher Normen für eine tibetische Eingabemethode mitgearbeitet.
Darüber hinaus initiierte er die Entwicklung der ersten tibetischsprachigen Webseite, des besagten elektronischen Wörterbuches sowie der ersten tibetischen Tastatur. Lozang sagte:
„Das elektronische tibetisch-chinesisch-englische Wörterbuch greift auf den Wortschatz von 34 aktuellen Wörterbüchern zurück. Daher kann eine interaktive Übersetzung zwischen Tibetisch, Chinesisch und Englisch realisiert werden. Das ist eine große Hilfe für Studenten und Experten. Mit dem Anstieg des Bildungsniveaus beherrschen immer mehr Menschen den Umgang mit Computern. Daher wird mein Produkt auch immer mehr Nutzer finden."
Im Februar 2009 starteten die chinesische Webseite „Radio Tibet" und die tibetische Telekommunikationsgesellschaft gemeinsam ihr Angebot tibetischer und chinesischer MMS-Dienstleistungen. Seither können alle Handynutzer mit den entsprechenden Telefonnummern im gesamten Autonomen Gebiet Tibet MMS-Nachrichten empfangen.
Penpa, der Vizedirektor von „Radio Tibet", teilt uns mit:
„Der tibetische MMS-Dienst ist eine sehr innovative Sache und sehr populär. Außerdem löst er mit einfachsten Methoden das verbreitete Problem, dass die aktuellen Handys keine tibetischen Schriftsätze anzeigen können. Jene Menschen, die kein Chinesisch verstehen, können Informationen auch auf Tibetisch anfordern. Sogar Analphabeten können wichtige Informationen in Audio- und Bilddateien abrufen. Durch die Verschmelzung von traditionellen und modernen Medien ist es uns gelungen, eine neue Form der Nachrichtenvermittlung zu erzeugen. In diesem Bereich liegt Tibet weit vor den anderen Minderheitengebieten in China. Diese neue Dienstleistung ist daher sehr beliebt."
Der Vizedirektor des tibetischsprachigen Programms des Radiosenders Tibet, Daphu, teilt uns mit, dass seit der Einführung tibetischer Computerprogramme in seiner Redaktion eindeutig effizientere und hochwertigere Arbeit geleistet wird.
„Früher wurden alle Artikel per Hand geschrieben, aber die Handschriften der einzelnen Mitarbeiter waren nicht immer lesbar. Das hatte natürlich einen großen Einfluss auf die Effizienz. Inzwischen arbeiten wir mit Computern, die mit Eingabemethoden für Tibetisch ausgerüstet sind. Das ist nicht nur bequemer, sondern erhöht auch die Arbeitseffizienz."
Heute sind nicht nur Mobiltelefone mit tibetischer Sprachinstallation erhältlich, tibetischsprachige Chat-Räume und Computerprogramme sind ebenfalls weit verbreitet. So haben die traditionelle Sprache Tibets und die moderne Technik durch tatkräftige staatliche Unterstützungen zueinander gefunden. Damit ist es gelungen, der tibetischen Sprache den Eintritt in das Zeitalter der Informationen zu ermöglichen und die Annehmlichkeiten der Informationsgesellschaft auch für tibetische Muttersprachlern zugänglich zu machen. Hierzu führt Ngodrup abschließend aus:
„Anhand des QQ-Instant Messangers und einigen Büroprogrammen lässt sich erkennen, dass die tibetische Sprache ihren Platz in der IT-Branche gefunden hat. Auf der Grundlage dieses Durchbruches werden wir immer mehr neue Produkte entwickeln können. Schlussendlich lässt sich dadurch die Arbeitseffizienz unserer Betriebe und Einrichtungen erhöhen, aber die Menschen werden auch in ihrem alltäglichen Leben davon profitieren. In absehbarer Zeit wird die Zahl tibetischsprachiger Softwareprogramme immer weiter steigen und zur Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft in Tibet beitragen."