Bella: Aber wir haben noch sehr wenig gelesen, Herr Meister.
Herr Meister: Geduld, meine Freunde, Geduld. Wir haben ein deutsches Sprichwort; das heißt: »Rom ist nicht an einem Tage gebaut worden.«
Anna: Das haben wir auch im Englischen.
Louis: Was bedeutet »gebaut«?
Otto: Louis, ich will das Sprichwort so sagen: »Rom ist nicht an einem Tage gemacht worden,« — so verstehst du es, nicht wahr?
Louis: Ja.
Herr Meister: Aber man sagt nicht: »Man macht eine Stadt, man macht ein Haus,« sondern man sagt: »Man baut ein Haus, einen Palast oder eine Stadt,« und der Mann, der den Plan des Hauses macht oder den Plan des Palastes oder den Plan der Stadt, das ist der Baumeister. Ich will Ihnen dieses sagen: Geduld, meine Freunde, wir werden lesen, und wir lernen, die Sprache vollkommen (= perfekt) verstehen, sprechen und schreiben.
Louis: Ah, wie ich mich freue, wenn ich einen guten deutschen Brief an meinen Bruder Albert nach Berlin schreiben kann. Er wird sich wundern. O, Herr Meister, wann, wann kann ich einen guten deutschen Brief schreiben?
Herr Meister: Geduld, mein Freund Louis; sehr bald. Noch nicht heute; nein, auch morgen nicht, wir müssen Zeit haben, Louis, Tage, Wochen, Monate. Hat der liebe Gott nicht auch sechs Tage genommen (ich nehme, ich nahm, ich habe genommen), um die Welt zu schaffen? Aber dann sah er sein Werk, und es war gut, und wenn wir etwas gut thun wollen, so müssen wir auch Zeit haben, viel Zeit, nicht wahr, Otto?
Otto: Sie haben recht, Herr Meister. »Mit der Zeit bricht man Rosen,« — das ist ein gutes Sprichwort.
Anna: »Sprichwort«? Was ist das?
Otto: "The early bird catches the worm," das ist ein englisches Sprichwort.
Herr Meister: Dieses Sprichwort haben wir auch im Deutschen, aber wir sagen es so: »Morgenstund hat Gold im Mund.«
Bella: Ich weiß auch ein deutsches Sprichwort. Wollen Sie es hören?
Otto: Bitte, Bella, bitte!
Bella: »Glück und Glas, wie leicht bricht das.«
Otto: Das ist sehr schön, Fräulein.
Herr Meister: Und sehr wahr.
Louis: Herr Meister, sagen Sie uns noch eins.
Herr Meister: »Nach dem Regen scheint die Sonne.«
Louis: Noch eins. Bitte, bitte!
Herr Meister:
»Morgen, morgen, nur nicht heute,
Sagen alle faulen Leute.«
Louis: O, das ist auch im Englischen: "Never put off till to–morrow, what you can do to–day." Wissen Sie noch mehrere, Herr Meister?
Herr Meister: Ja wohl, mein Freund, hier:
»Mit dem Hute in der Hand,
Kommt man durch das ganze Land.«
Louis: Dieses Sprichwort verstehe ich nicht. Kann man ohne Hut (= nicht mit Hut) durch ein Land gehen?
Herr Meister: Ich glaube, die Idee ist diese: Nimm deinen Hut vom Kopfe, sei freundlich gegen alle, sei höflich, und überall wird es gut für dich sein.
Bella: Das ist eine schöne Idee!
Herr Meister: Ein anderes Sprichwort:
»Was du nicht willst, das man dir thu',
Das füg' auch keinem andern zu.«
Nun noch eins, und dann das letzte:
»Was man aus Liebe thut,
Geht noch einmal so gut.«
und:
»Lust und Liebe zu einem Ding
Macht dir alle Müh gering.«
Otto: Wie im Englischen:
"wher there is a will there is a way."
Anna: Die deutschen Sprichwörter sind so schön, sie haben alle einen Reim.
Herr Meister: Wir haben noch viele andere, und Sie werden sie finden, wenn Sie viel lesen, Fräulein Anna.
Anna: Werden wir bald Deutsch lesen?