Es war am Neujahrstag, ich stieg auf den Turm. Ole sprach von den Trinksprüchen, die beim Übergang vom alten ins neue Jahr, von der einen Traufe in die Andere, wie er sagte, ausgebracht werden. Und so gab er mir seine Geschichte von den Gläsern zum besten, und die hatte einen tiefen Sinn.
»Wenn in der Neujahrsnacht die Uhr zwölf schlägt, erheben sich die Leute an der Tafel, das volle Glas in der Hand, und leeren es und bringen dem neuen Jahr ein Hoch. Man beginnt das Jahr mit dem Glas in der Hand, das ist ein guter Anfang für Säufer! Man beginnt das Jahr damit, daß man sich zu Bett legt, das ist ein guter Anfang für Faule! Der Schlaf wird im Verlaufe des Jahres schon eine große Rolle spielen, das Glas desgleichen. Wissen Sie wohl, was in den Gläsern wohnt?« fragte Ole. »Ja, es wohnen im Glase Gesundheit, Freude und der maßloseste Sinnenrausch, es wohnen Verdruß und das herbste Unglück im Glase. Zählen wir einmal die Gläser, ich spreche natürlich von der unterschiedlichen Bedeutung der einzelnen für die verschiedenen Menschen.
Siehst du, das erste Glas, das ist das Glas der Gesundheit, in dem wächst das Kraut der Gesundheit; stelle es auf den Balken an der Decke, und am Ende des Jahres kannst du dann in der Laubhütte der Gesundheit sitzen.
Nimmst du das zweite Glas – ja, aus dem schwingt sich ein kleiner Vogel empor, der zwitschert unschuldig fröhlich, so daß der Mensch seinem Gezwitscher lauscht und vielleicht mit einstimmt: schön ist das Leben! Keine Kopfhängerei! Frischen Mut, freudig vorwärts!
Aus dem dritten Glas erhebt sich ein kleines geflügeltes Kerlchen ein Engelskind darf es freilich nicht genannt werden, denn das Blut eines Kobolds steckt in seinen Adern, und es hat auch das Gemüt eines Kobolds, nicht um dich zu ärgern und dir Verdruß zu bereiten, sondern nur zum Schabernack. Es setzt sich hinter dein Ohr und flüstert dir lustige Einfälle zu, es legt sich in deine Herzgrube und erwärmt dich, daß du recht ausgelassen, der »gute Kopf« wirst, wie das Urteilsvermögen der anderen Köpfe es nennt.
In dem vierten Glas ist weder Kraut, Vogel noch Kerlchen, in dem Glas ist der Gedankenstrich für den Verstand, und über den Strich darf man nie hinaus!
Nimm das fünfte Glas, und du wirst über dich selber weinen, du wirst so recht innig-vergnüglich gerührt werden, oder es knallt in anderer Weise; aus dem Glas springt mit einem Knall Prinz Karneval, neunfach und über die Maßen lustig; er zieht dich mit sich fort, du vergißt deine Würde, wenn du eine hast, du vergißt mehr, als du vergessen sollst und darfst. Alles ist Tanz, Sang und Klang; die Masken reißen dich mit sich fort. Des Teufels Töchter, in Schleier und Seide, kommen, herzen mit aufgelöstem Haar und wunderherrlichen Gliedern – reiße dich los, wenn du es vermagst!
Das sechste Glas – ja, in dem sitzt der Satan selber, ein kleiner, wohlgekleideter, einnehmender, höchst angenehmer Mann, der dich durch und durch begreift, dir Recht in allem gibt, dein ganze zweites Ich ist! Er hat eine Laterne bei sich, um dir zu leichten, wenn er dich nach Hause begleitet. Es gibt eine alte Legende, die vom Heiligen, der eine von den sieben Todsünden wählen sollte und, wie ihm schien, die geringste, die Trunksucht, wählte, in dieser aber alle noch übrigen sechs Sünden beging. Der Mensch und der Teufel vermischten ihr Blut, es ist das sechste Glas, und mit dem treiben alle bösen Keime in unserm Innern – ein jeder erhebt sich mit einer Kraft wie das biblische Senfkorn, wird zum ganzen Baum und breitet sich über die ganze Welt aus, und die meisten Leute haben dann keine andere Wahl, als in den Schmelzofen zu kommen um umgegossen zu werden.
Das ist die Geschichte der Gläser«, sagte der Turmwächter Ole, »und die kann mit Glanzwichse und auch mit Schmiere zum besten gegeben werden, je nach Belieben! Ich gebe sie mit beiden!«