„Ihr fangt an, mir etwas lästig zu werden![S. 207]“ sagte eines Tages die Eiche. „Ihr solltet lieber anfangen, ein wenig in die Breite zu wachsen, und nicht immer weiter in die Höhe schießen. Seht mal an, wie voll eure Zweige hängen! Ihr müßt sie ordentlich biegen, wie ihr es bei uns seht! Was wollt ihr denn anfangen, wenn ein ordentlicher Sturm kommt? Ihr wißt nicht, wie der Wind unsere Wipfel rüttelt und schüttelt! Oft haben sogar meine alten Glieder geknarrt; wie wird es euch erst gehen mit eurem dünnen Firlefanz da in der Luft?“
„Jeder wächst auf seine Manier und wir auf die unsre,“ antworteten die jungen Buchen. „So ist’s nun mal Sitte in unserm Heimatlande, und wir brauchen darum wohl nicht schlechter zu sein als ihr.“
„Sehr höflich behandelt ihr mich bemoostes Haupt gerade nicht,“ sagte die Eiche. „Ich bereue schon, daß ich so gut zu euch war. — Wenn ihr auch nur einen Funken Ehrgefühl im Leibe habt, so seid so gut und nehmt eure Blätter ein wenig beiseite! In diesem Jahre haben meine untersten Zweige fast gar keine Knospen gehabt, weil ihr mir das Licht wegnehmt.“
„Wir verstehen nicht recht, was das uns angeht!“ antworteten die Buchen. „Jeder hat doch genug mit sich selber zu tun. Taugt er zu seiner Arbeit, und hat er Glück, so geht’s ihm gut. Wenn nicht, so muß er sich darein finden, daß es ihm schlecht geht. Das ist der Welt Lauf.“
Und die untersten Zweige der Eiche starben ab; der alte Baum fing an, wirklich in Besorgnis zu geraten.
„Ihr seid mir ein paar nette Bürschchen!“ schalt er. „Wie lohnt ihr mir denn meine Gastfreundschaft? Als ihr klein wart, habe ich euch zu meinen Füßen wachsen lassen und habe euch vor dem Sturm geschützt. Ich habe die Sonne auf euch scheinen lassen, so viel sie wollte, und hab’ euch wie meine eigenen Kinder behandelt. Und jetzt wollt ihr mich zum Dank ersticken!“
„Dummes Zeug!“ sagten die Buchen.
Und sie trugen Blüten und Früchte; und als die Früchte reif waren, rüttelte der Wind in den Zweigen und streute sie weit umher.
„Ihr seid flinke Burschen, so wie ich!“ rief der Wind. „Drum mag ich euch leiden und helfe euch gern.“