Friede nickte stumm. Es tat ihm unendlich leid, daß die Pflegemutter keine Tropfen mehr hatte. Sicher wurde der Husten noch schlimmer. Der Doktor hatte, als er vor acht Tagen dagewesen war, ihn sehr ermahnt, an die Tropfen zu denken, und gesagt, die Krankheit könnte leicht schlimmer werden, wenn die Kranke die Tropfen nicht pünktlich einnähme.
In dieser Nacht heulte der Sturm so um das winzige Häuschen herum, als wollte er es nehmen und wie eine Seite 60Spielzeugschachtel forttragen. Dazu peinigte die arme Muhme Lenelies der Husten heftig, und erst lange nach Mitternacht schlief sie ermattet ein. Als sie am Morgen erwachte, brannte die Lampe, im Ofen war Feuer, und das Stübchen war ganz behaglich warm. „Ei, der Friede, der Tausendsassa, hat sich aber dazugehalten,“ dachte sie und richtete sich etwas auf. Wo war denn der Bub? Sie klopfte an die Wand der Kammer, in der Friede schlief, aber alles blieb still. Sie richtete sich etwas auf, da sah sie, wie schon die Kaffeekanne auf dem Ofen stand, und auf dem Tisch an ihrem Bett stand die Tasse und ein Wecken lag daneben. „Du meine Güte,“ murmelte die Muhme, „da habe ich es richtig verschlafen, und der Bub ist schon in die Schule gegangen. Wie dunkel es aber noch ist!“
Es war in den Tagen ihrer Krankheit schon manchmal vorgekommen, daß Friede bereits in die Schule gegangen war, wenn sie aufwachte. Der Bube besorgte immer alles so leise wie ein Heinzelmännchen, und die Pflegemutter schlief oft erst gegen Morgen ein. Muhme Lenelies holte sich also ihren Kaffee herbei, trank ihn und blieb dann still in ihrem Bett liegen, denn die Brust tat ihr weh von dem Husten.
Der Sturm heulte draußen immer noch, und sehr langsam nur wurde es hell. Die Muhme, die sonst Seite 61nicht ungeduldig war, dachte an diesem Tage manchmal: „Heute will es auch gar nicht Mittag werden!“ Endlich hörte sie draußen Schritte, jemand kam. Sie lauschte, – Friede war es nicht, also wohl eine Nachbarin, die nach ihr sehen kam. Gleich darauf trat auch, auf das Wetter scheltend, die Schnipfelbäuerin ein. Sie wohnte ganz nahe und hatte der Muhme schon öfters in den Tagen der Krankheit eine gute Suppe gebracht. Auch heute kam sie mit einem Topf Essen an. Sie stellte es der Kranken an das Bett, holte einen Teller herbei und sagte: „Nun eßt nur, der Friede hat mich gestern abend noch himmelhoch gebeten, Euch ja nicht zu vergessen, weil er doch heute nicht daheim ist.“
„Ei,“ rief Muhme Lenelies und vergaß vor Erstaunen fast das Dankeschön, „wo ist denn mein Friede? Kein Sterbenswörtchen hat er mir vom Fortgehen gesagt.“