In der Tiefe des weiten Ozeans lag auf dem Grund eine alte, rostige Dose. Sie hatte wahrlich schon bessere Zeiten gesehen, hatte vor vielen Jahrzehnten blank poliert in einem Warenladen gestanden. Doch eines Tages war sie in einem heftigen Sturm mit einem Schiff gekentert und versunken.
Das Schiff war noch an der Oberfläche in mehrere Stücke gebrochen und hatte seine gesamte Fracht im Wasser verteilt.
Das Liegen auf dem Grund war unglaublich langweilig. Nichts geschah hier. Nur ab und zu schwamm mal ein Fisch vorbei oder es stieß sich ein unvorsichtiger Krebs an einem Stein den Kopf. Die Dose wünschte sich mehr als einmal, nicht von den Wellen hierher gezwungen worden zu sein.
Eines Tages kam ein Schwarm Garnelen des Weges geschwommen. Sie ließen sich in einem Algenfeld nieder und fraßen sich die kleinen Bäuche voll.
Irgendwann fiel einer Garnele die alte Dose ins Auge. Die rostige Farbe, die runde Form, der mehr als großzügige Innenraum sprachen sie an.
»Sieht aus, als könnte ich darin Schutz finden. Vielleicht kann dieses Ding auch etwas ganz Besonderes aus mir machen, wenn ich es in meinen Besitz bringe.«
Sie sah sich um. Keiner ihrer Artgenossen nahm von ihr Notiz. Also schwamm sie zur alten Dose, umrundete sie ein paar Mal, nahm das Innere genau unter die Lupe und setzte sich schließlich oben drauf.
»Von nun an werde ich euer König sein, ihr mein treu ergebenes Volk.«, rief sie den anderen Garnelen entgegen, die mit offenen Mündern zur Dose starrten.
»Das große und üppige Algenfeld ist mein Königreich. In meiner Großzügigkeit als euer Herrscher, erlaube ich euch, davon zu fressen. Zum Dank werdet ihr Algen für mich ernten, damit sich mein königlicher Leib bei der Arbeit nicht überanstrengt. Ich habe schließlich wichtigere Aufgaben zu erledigen.«
Die Garnelen unterbrachen ihre Mahlzeit. Sie überlegten, was sie von dieser Sache halten sollten. Wollten sie tatsächlich einen König haben? Wollten sie für ihn arbeiten? Und was bekamen sie im Gegenzug für ihre Dienste?
»Ich sehe viele Fragen in euren Augen. Ich werde sie euch beantworten.«
Die königliche Garnele atmete tief ein und setzte ein breites Grinsen auf.
»Natürlich ist es für euch wichtig, einen König zu haben. Jemand muss euch als Volk zeigen, wo es lang geht, damit kein Chaos entsteht. Es braucht für ein Zusammenleben Regeln und Gesetze. Außerdem werde ich euch vor allen Gefahren des Meeres beschützen.«
In diesem Moment legte sich ein dunkler Schatten über das Algenfeld. Ein großer Fisch näherte sich und öffnete sein riesiges Maul.
In heller Panik stoben die Garnelen auseinander, versuchten sich zu verstecken. Aber es war zu spät. Der Fisch verschlang das ganze Volk, den neuen König und seine herrschaftliche Dose.
»Lecker!«, sagte der Fisch genussvoll zu sich selbst, rülpste und spuckte die rostige Dose wieder aus.