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Strix:Die Geschichte eines Uhus-2. Männchen und Junge

时间:2022-05-13来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Strix
Strix steht in ihren Kraftjahren, in den jubelvollen Tagen ihres glücklichen Alters.
Alles, wonach sie greift, fängt sie, und alles, was sie schlägt, fällt und stirbt; sie hat Wachstum in den Federposen, Griff in den Fängen und einen ewig brennenden Hunger im Magen; sie ist riesenstark. Wenn sie nur einen Hasen anrührt, spritzt das Blut gleich aus den zur Ader gelassenen Pulsen; sie hat Lust zur Paarung und Freude an den Jungen, sie besitzt alles, was reizt.
Ihr Jagdgrund ist groß! Sie wohnt hier in den Hochwäldern, ganz am Ende der Förde und kann bis zum nächsten Nachbar jagen.
Es sind alte, pfadlose Wälder, voll von Dickicht und sauren Erlenmooren, umgestürzte Bäume und herabgewehte Zweige liegen überall umher, und überall stehen zunderige, hohle Bäume und knarren. Unter der Geißel eines großen Wildbestandes sind die Wälder aufgewachsen: Urwald-, Kronenhirsche und Rudel von Rehen hatten hier zu allen Zeiten ihren Stand und haben sich den Winter über kümmerlich im Holz durchgeäst. Daher das viele verkrüppelte Eichen- und Buchengestrüpp, daher die vielen verrenkten Eschen und Erlen, daher das urwaldähnliche Gewirr, das einem großen Uhu das Leben des Lebens wert machen kann.
10 Aber der Lärm der Menschen rückt Strix näher und näher. Es werden häufiger Bäume im Walde gefällt, neue Menschenwege werden angelegt, kleine Steinhaufen und große Steinhaufen, aus denen Rauch aufsteigt und in denen Menschen wohnen, tauchen in wachsender Zahl längs des Waldsaumes auf. Schon mehrmals hat sie ihren Wohnbaum ändern und tiefer in den Wald hineinziehen müssen. Wo die Bäume am höchsten sind, wo der Sturm am meisten zu nehmen findet, wo er die härtesten Wunden schlagen kann, so daß große Löcher in das morsche Holz kommen — da ist sie immer am besten gediehen.
Aber sie hat kaum ein halbes Jahr in ihrem neuen Versteck gewohnt, als auch schon der große Naturzerstörer mit Säge und Axt dorthin gelangt ist. Sie ahnt ihn, lange bevor er sich auch wirklich hat blicken lassen, denn vor sich her treibt er eine Schar anderer Tiere, denen es so ergeht, wie der großen Horneule selbst.
Es sind Hirsche und Kahlwild, Hühnerhabichte und Wanderfalken, Edelmarder und Wildgänse — alle fliehen sie vor den Axthieben, vor Hundegeläut und Schüssen und vor der scharfriechenden Fährte des arbeitstollen Menschen! Die ursprünglichen Bewohner des Waldes weichen dieser lärmenden neuen Welt; sie ballen sich zusammen an den Stellen, wo sie noch Lebensbedingungen nach ihren Gewohnheiten und Bedürfnissen finden — in den öden Landecken, in entlegenen Winkeln, zwischen Heide-, Moor- und Sumpfstrecken. Hier halten sie sich am Tage auf — sie warten die Nacht ab!
Das mächtige Lichtgezücht, das mit dem Tage erwacht und die Unruhe, den Lärm, die Veränderung und die 11 Umbildung der Erde und der Natur schafft, die die Tiere scheuen, zwingt sie, sich zu verbergen, so lange es rast! Aber des Nachts kehren sie zurück zu den alten Stätten, verbreiten sich auf schnellen Sohlen, auf schleichenden Läufen über das Reich, das einstmals das ihre war. Die Hirsche und das Kahlwild äsen den Roggen der Ansiedler, die Dächse tummeln sich in den Saatfeldern, Marder und Fuchs stehlen Tauben und Hühner — und Strix nimmt an Katzen und Ratten, was sie ergattern kann! In der Nacht gehört die Erde noch den Tieren!
Aber die Erde wird doch kleiner und kleiner. So dicht liegen bald die Steinhöhlen der Menschen um die Hochwälder herum, daß stellenweise Tag und Nacht eine angsteinflößende Wolke ihres eigentümlichen Geruches aufsteigt.
Eines schönen Abends merkt Strix, daß sie um der Nachbareule willen gern so weit jagen kann, wie sie Lust hat. Die Nachbareule läßt ihre Kampfstimme nicht mehr ertönen, sie muß wohl weiter weg bessere Jagdgründe gefunden haben!
Die Nachbareule ist fort — der große Moloch, das Götzenbild der Menschheit: die Zivilisation, hat sie getötet. Der Ausrottungskrieg gegen die Stämme des großen Uhus geht seinen fürchterlichen Gang.
In den letzten Jahren haben die Menschen angefangen, auf eine andere Weise angreifend vorzugehen.
Auf den Gütern jenseits der Förde tauchen plötzlich große, bunte, langschweifige Vögel in Mengen auf.
Es sind Fasanen!
Sie sind in kleinen Feldhölzungen ausgesetzt, wo sie sich durch Kunst im Überfluß vermehren. Es wimmelt von Ihnen am 12 Waldboden und in den Bäumen. Sie sind so fett und gleichgültig, daß sie weder laufen noch fliegen mögen.
Sie ziehen aus allen Richtungen viele von den großen Uhus an; hier brauchen sie ja nur ins Gras niederzustoßen, gleich haben sie die Fänge voll Nahrung.
Rings um diese kleinen Gehölze, einladend über Dickicht und Gestrüpp aufragend, stehen hohe, schlanke Pfähle aufgepflanzt. Auf der Spitze eines jeden liegt — so recht dazu gemacht, um sich darauf zu setzen — ein kleines strammgespanntes Tellereisen.
Diese Eisen machen es im Umsehen Uhu-leer um Strix herum.
Zu dieser Zeit trifft sie ihr letztes Männchen.
Er ist alt und abgelebt, aber ihr bleibt keine Wahl — da sind keine andern Männchen ihrer Art.
Er singt und heult ihr einen Winter lang etwas vor und betört sie fälschlich, indem er trotz der schlechten Zeiten beständig mit Beute in den Klauen fliegt.
Es ist ein Eisen, das er schleppt. Er trägt es solange, bis die Federn des Eisens sich ihm durch das Bein geklemmt haben, dann stirbt der Fuß ab, und eines schönen Tages fällt er mit Eisen und Fang zu Boden.
Ein erstklassiger Freier ist er ja freilich nicht, aber was tut das — — er ist ein Uhu und kein Kanarienvogel!
— — —
Da thront er neben ihr ...
Jedesmal, wenn sie die Hautblende von den Augen fortzieht, sieht sie einen Schatten ihrer selbst vor sich: einen großen, 13 braunen Uhu mit Federbüscheln wie ein paar Katzenohren und mit einer Mundspalte, die sich darunter weit nach hinten zu fortsetzt ...
Das ist der einklauige: UF!
Er ist an die hundert Jahre; seine Zeitgenossen sind der Wolf und der Adler gewesen — der letzte Überrest von Tieren, die noch etwas von der großen Zeit an sich haben.
Den ganzen Winter sitzen sie zusammen in dem hohlen Baumstamm und würgen an ihrem Gewöll. In der Regel schlafen sie gut — und erwachen sie zufällig, so haben sie genug zu tun.
Bald fordern die Nackenfedern einen Besuch ihrer Krallen, bald wollen die Lichter gerieben und die Wangen gewaschen werden, oder der Schnabelbart mit den vielen eingetrockneten Blut- und Fleischüberbleibseln meldet sich und bittet eindringlich, daß man ihn reinigt und bürstet.
Dann pudern sie sich halbe Stunden lang und nehmen die possierlichsten Stellungen ein. Uf wird zu einem jämmerlichen Großvater in der Nachtmütze und mit Haarzotteln um die Ohren; Strix wird zur Furie; zu einem wilden Gespenst — bereit zu kratzen und um sich zu schlagen!
Aber zur Frühlingszeit, wenn die Märzstürme den Wald „stimmen“, wenn die Larven in dem faulen Holz des Baumstamms mit offenbar fieberhafter Hast anfangen, ihr eifriges Klopfen und Hämmern zu beschleunigen, wenn die Träume, die sie träumen, immer wiederkehren, da geht es nicht mehr an, nur zu schlafen und sich zu putzen! Da müssen sie auf — auf und die Hörner sträuben und mit den Flügeln schlagen, während sie auf dem Zunder, auf dem sie sitzen, hüpfen und 14 tanzen; da müssen sie schwänzeln und sich kröpfen und hu—u, hu—u heulen ...
Und dann bauen sie ihren Horst.
In einem Bett aus Reisig liegen zwei graubedaunte Junge!
Sie sind runzelig im Gesicht wie alte Weiber und häßlich für alle, nur nicht für Strix. Der Horst liegt in einer großen Vertiefung unter einem alten Baumstumpf, aber er geht in den Baumstumpf hinein, weit hinein, so daß man in ein tiefes, undurchdringliches Dunkel sieht. Es ist ein ganz vorzügliches Nest, da ist ein Fußboden und da ist ein Dach — auf dem Fußboden liegen allerhand Federreste. Ganz hinten im Baumstumpf ist die Vorratskammer; da gibt es Amseln und Birkhühner und Hasen — und alle Speisen sind frisch, die Tiere sind ganz kürzlich geschlagen. Aber vor dem Baumstumpf ist der Fußboden in weitem Umkreis mit Flügeln und Knochen übersät; da sieht es aus wie vor einer Räuberhöhle.
Die Jungen sind noch klein. Vor zwölf Tagen erst sind sie aus dem Ei gekrochen, und Strix’ einkralliges, altes Männchen sitzt getreulich über ihnen, um durch die Wärme seines Körpers den Lebensfunken in ihnen zu erhalten. Uf kann schlecht fangen, kaum für den eigenen Bedarf, geschweige denn für den anderer; seine Kralle ist stumpf und seine Augen sind schwach — da haben er und sie die Rollen vertauscht. Ihr liegt es also ob, alle Vorräte zu beschaffen!
Und sie ist zu allen Zeiten ein kühner Jäger gewesen. Gleich bei Tagesanbruch fliegt sie vom Nest auf. In dem blanken, sonnenfreien Licht, das der ganzen Umgebung und allen Gegenständen ihre richtige Größe verleiht, jagt sie am eifrigsten und 15 fängt sie am besten. Da durchsucht sie den Wald, steigt über Mooren und kleinen Wiesen auf ... sie rüttelt wie ein Falke auf hastig klappenden Flügeln und späht hinab. Während die Holztauben gurren und die Drosseln singen, während die Hasen ganz davon in Anspruch genommen sind, auf Freiers Füßen zu gehen, während die Wasserhühner in den Moortümpeln sich um Männchen und Brutplätze balgen, kürt sie zwischen dem Überfluß und macht Beute.
Oder sie fliegt auf ein baumfreies Feld hinaus, hinaus auf Äcker und Heiden, und läßt, während das Tageslicht mehr und mehr Übermacht gewinnt, die Ferne unter sich aufsteigen: neue Wälder weit da draußen fangen an zu winken, Anger mit Lämmern und Zicklein kommen verlockend nahe, sie gewahrt ferne Feldraine und Menschennester, in deren Nähe es von Wieseln und Ratten wimmelt.
Rings umher unter ihr ertönt das Kullern des Birkhahns und das herausfordernde Zusammenrufen streitbarer Rebhähne ... abgezehrte und abgearbeitete Fehen sieht sie mit Stöcken von Schwänzen anstelle der früher so dicken, buschigen Lunten herumhuschen. Die Geburt der Jungen hat alle Haare mitgenommen.
Aber die Fangzeit ist kurz zu dieser Zeit des Jahres ... bald surrt glühende Luft vor ihrem Blick, scharfe, ätzende Strahlen beißen sie in die Augen — und auf einmal ist es, als werde die Erde unter ihr sonnenbestrichen, der letzte Rest von Klarheit verzieht sich — und nun blinkt und flimmert und glitzert das Gras.
Da nimmt sie mit dem fürlieb, was sie zwischen den Fängen hat, und fliegt schleunigst zurück nach ihrer Behausung, das rote Licht des Sonnenaufgangs über den Flügeln.
16 So holt sie Ratten aus den weitentlegenen Dörfern, Birkhühner aus der Heide, Hasen vom Felde, Krähen aus dem Walde — sie müht sich getreulich ab und nimmt, was sie kriegen kann. Mit einem triumphierenden Hu-u bringt sie ihrem Gatten den Fang, und wenn Uf sieht, was sie hat, sträubt er die Hörner und gibt einen zufriedenen, gurrenden Laut von sich —! Wieder ein Hase! sagt er überrascht in seiner Sprache! ja! sie strengt sich an!
Dann erhebt er sich von den beiden Jungen mit den scharfen Fängen; ihre unheimlichen, halbkahlen Köpfe gucken hervor und zeigen sich ihrem mütterlichen Ursprung. Sie will ihm bei der Beute behilflich sein, will ihm helfen, sie abzuziehen und zu zerlegen, aber er reißt sie ihr weg: sie soll nur fangen, nichts als fangen — — —!
Doch Strix läßt sich nicht kommandieren; sie kennt ihn und weiß, daß er gern für seinen eigenen Schnabel sorgt; so tranchiert sie denn das Wild nach bester Regel, zermalmt die Knochen und macht zähe Muskeln weich; sie kaut die Bissen durch und pfropft sie holterdiepolter ihren heißhungrigen Kleinen in die Schnäbel.
Uf sitzt da und schmollt — —: sie soll nur fangen, nichts als fangen — —
Es dämmert ... es ist ein früher Morgen im Mai! Die Fledermäuse heben sich noch wie Möwen vom Himmel ab. Die Drosseln schlagen ihre ersten, tastenden Schläge, nur ein ganz kurzes Flöten ohne Zusammenhang.
Dann fängt ein Birkhahn draußen am Waldrand an zu kullern und zu schleifen. Eine Amsel trillert, ein kleiner Zaunkönig 17 piepst — der ganze Wald erwacht und begrüßt den dämmernden Tag mit Gesang. Der Kuckuck ruft in unaufhaltsamen Kaskaden, aber die Weibchen sind zu geschäftig, um zu lauschen — sie sind ganz davon in Anspruch genommen, ein Pflegeheim zu finden! Rastlos fliegen sie umher, sie gucken in Astlöcher hinein und zwischen Baumwurzeln, oder sie flattern tief unten über Nessel- und Wildkerbelinseln hin; ihre langen Schwänze streifen förmlich an den Kräutern entlang und jagen die brütenden kleinen Vögel auf.
Strix ist auf Fang aus! Sie muß in der letzten Zeit immer weiter hinaus, die zunächst gelegenen Jagdgründe sind erschöpft.
Von ihren früheren Ausflügen weiß sie, daß dort auf der andern Seite des Waldes unter einem mit Gestrüpp bestandenen Abhang eine große Herde Ziegen mit Zicklein zu weiden pflegt. Heute Morgen ist ihr das Glück hold! Eine der Ziegen hat gelammt und die kleinen, neugeborenen Zicklein drücken sich neben der Mutter an deren Euter.
Die Erde ist im Begriff, die Nebel der Nacht abzuschütteln: alle kleinen Niederungen zwischen den Hügeln stehen in einem Dampf, so daß es für Strix ein leichtes ist, die Tiere zu überrumpeln. Keine von den vielen, neidischen Krähen oder wachsamen Kiebitzen, deren Gebiet sie hat durchfliegen müssen, hat sie eräugt. Ungeahnt dringt sie vor ... sie sieht das Gestrüpp schon in der Ferne. Sie hat nicht den Mut, sogleich niederzustoßen und Beute zu machen. Es gilt jetzt ja mehr, als nur zu fangen! Die Beute muß mit ... mit in die Luft hinauf und nach Hause in den Fängen.
So stürzt sie sich denn in einen Wipfel hinein, der aus dem Dickicht aufragt ...
18 Der Zweig kracht unter ihrem Gewicht und dem Griff ihrer Fänge, so daß alle Ziegen spähen und sich aufrichten; aber jetzt, wo sie sich gesetzt hat, verschwimmt sie mit dem Kronengewölbe und mit dem Abhang — und die Morgenschläfrigkeit senkt sich wieder auf die Tiere herab. In völliger Ruhe kann sie ihre Beute auswählen: dasjenige der Zicklein das zu äußerst liegt.
Es sind Ziegen von der kleinen, ungekreuzten verkümmerten Landrasse, ein Zicklein wird sie schon tragen können, wenn sie es nur richtig gefaßt kriegt. Geduldig wartet sie den günstigen Augenblick ab.
Auf einmal ist sie da!
Die Fänge bereit, vorn unter der Brust, stürzt sie sich herab. Im Vorübersausen versetzt sie der halbschlafenden Mutterziege eine Ohrfeige, dann paßt sie es so ab, daß sie das Zicklein noch im Fliegen packt.
Sie hat es ... sie flattert damit über den Erdboden hin.
Es ist schwer, sie merkt, daß es nicht so recht mit in die Luft hinauf will — es gehört mehr Aufstiegschwung unter die Flügeldecken dazu.
Mechanisch gebraucht das Zicklein die Beine, und Strix reizt es durch ihr Kampfgeheul zu den äußersten Anstrengungen. Der Druck unter den Flügeln wird stärker. Bald hebt sie es leicht über Gräben und Erderhöhungen — und jetzt, mit einer mächtigen Kraftanspannung, nimmt sie endlich ihren Passagier mit in die Luft hinauf.
Sie hat die Fänge in beiden Flanken des Zickleins, tief drinnen in dem zarten Rumpf, die Qual des kleinen Opfers wird auch nur kurz, schlaff hängt der Kopf herab, ehe Strix nur die Hälfte ihrer Flughöhe erreicht hat. — — —
19 An diesem Morgen hat Strix etwas zu schleppen! Aber die Last ist ihr teuer! Als sie um Sonnenaufgang, schachmatt und abgehetzt, einen langen Schwanz von Krähen und kleinen Vögeln hinter sich, schwer durch die Baumwipfel herabgeflogen kommt, als es Uf klar wird, daß sie die Fänge wirklich voll hat — da vernimmt sie die zärtlichsten Liebeslaute seiner alten Kehle: Wap, wap, wap!
Das sind Zeiten für Strix! Tag und Nacht wechseln nicht schnell genug ...
Der ganze hohle Baumstamm liegt voll von teilweise unangerührten Tierleichen. Da sind Birkhühner und Rebhühner, Holztauben und Krähen, Hasen und Rehkitzchen — ein unvergleichlich anheimelnder, gedeckter Tisch! Die Kleinen können nicht so schnell äsen, wie sie fangen kann, aber ihr Sinnen ist darauf gerichtet, daß sie immer einen gewissen Überfluß vor Augen haben; dadurch sollen sie ihre Abstammung erkennen.
Ihrem alten Uf aber ist dies Wohlleben nicht zum Vorteil! Fett und rundlich ist er geworden, und noch älter und bequemer. Längst hat er aufgehört, Kinderwärterin zu sein und hat sich in seine eigene Privathöhle zwischen einem Haufen großer Steine zurückgezogen. Aber darum hat Strix ihn nicht aufgegeben. Wenn sie in der Dunkelheit der Nacht sein flehendes Rufen hört und begreift, daß er leidet, weil er seinen Hunger nicht hinreichend stillen kann, so fliegt sie regelmäßig mit seiner täglichen Nahrung zu ihm hinab.
Dann aber ereignet sich etwas — — —
Eines Morgens, als sie heimkehrt, sind die Jungen verschwunden. Sie heult leise, sie ruft laut. Sie schreit wild und drohend und sucht. Den ganzen Wald, die Kreuz und die Quer sucht sie 20 ab; sie ist in allen Löchern, Spalten, Öffnungen ... nein, die Jungen sind weg!
War es der große Zerstörer? War es der Marder? Er, der Marder — — — neulich morgens, als sie lange weg war, hat Taa die Gelegenheit benutzt, einen Anschlag zu wagen. Das ist ja ein Leichtes für ihn, da sich der Horst zu ebener Erde befindet! Taa war auch glücklich über die Außenwerke des Horstes gelangt: über die großen Reisigpalisaden, den abgelagerten Kehricht und die vielen Skelett- und Aasteile, aber hinausgekommen war er nicht wieder so glimpflich. Die Jungen hatten ihn nach den uralten Regeln empfangen: sie hatten sich auf den Rücken geworfen und ihm das Gesicht mit den giftigen Krallen zerfleischt. Sie hielten ihn noch in ihren Fängen, als sie, die Alte, heimkehrte. Sie entriß ihn ihnen und in dem Glauben, daß er tot sei, warf sie ihn weit hinaus über den Rand des Horstes.
Aber Taa war noch höchst lebendig. Mit dem Verlust seiner halben Rute, die ihm eines der Jungen in seiner Wut abgebissen hatte, rettete er sich zwischen ein Gewirr von Knabenkraut.
Ha, der Marder, — — nein, diese Baumratte ist es nicht gewesen!
Der Sommerwind murmelt seine melodischen Gesänge, er bildet sich Orgelpfeifen aus Astlöchern, Flöten aus Rindenspalten und gespannte Saiten aus Zweigen und Strohhalmen. Er singt Strix mild und tönend etwas vor, wie er so mancher andern trauernden Mutter gesungen hat.
Und Strix nimmt den Trost an — und vergißt dann schließlich die Jungen!
21 Als sie sich aber im nächsten Frühling auf ihre zwei rauhschaligen, runden Eier setzt, hat sie sich gegen die Schlechtigkeit der Welt gesichert: diesmal brütet sie hoch oben in einem alten, ausgebesserten Bussardhorst.
Eines Tages kommt ein Mensch durch den Wald.
Es ist ein kleiner, untersetzter Mann mit einer langen Hakennase, die wie ein Hahnenschnabel vorspringt, und mit kleinen, stechenden Augen.
Er hinkt ... kla-datsch klingt es, wenn er geht.
Er hat eine bunte Sportmütze auf dem Kopf und trägt eine dicke, blauschimmernde Joppe. Über der Schulter hängt an einem dünnen Bindfaden eine alte verbeulte Botanisiertrommel. Ein paar Klettersporen, nachlässig in Zeitungspapier gewickelt, gucken ihm aus einer Tasche und aus der andern baumeln die Enden einer selbstverfertigten Strickleiter.
Der Mann ist Leuchtturmwärter auf einem kleinen Leuchtturm weit draußen am Auslauf der Förde. In seiner freien Zeit, oder wenn er die Aufsicht über den Leuchtturm seiner Frau übergeben kann, ist er ein eifriger Trapper — heute ist er auf dem Jagdpfad.
Sein Bezirk reicht so weit, wie der Himmel blau ist.
Im Frühling durchpflügt er alle Wälder nach Raubvogeleiern und alle umliegenden Heiden, Moore und Sümpfe nach andern Vogeleiern. Er begnügt sich nicht mit nur einem einzelnen Ei von jeder Art, nein, er hat Verwendung für mehr und nimmt selten weniger als das vollzählige Gelege. Im Sommer, wenn die Vögel ausgebrütet haben, findet man ihn wieder; jetzt ist er darauf aus, daunige Junge in den verschiedenen Stadien zu beschaffen. Er sammelt nicht für sich selbst, sondern für ein 22 paar große Geschäfte, von denen Schulen, Privatsammler und zufällige Liebhaber unter dem Publikum ihre Versorgung bekommen.
Die Natur soll in die Stube hinein — tot oder lebendig — aber in die Stube hinein soll sie! Auf Kommoden und Bücherschränken, in Naturaliensammlungen der Schulen oder in den Glaskästen der Museen erblickt man die letzten Überreste der ursprünglichen Fauna des Landes; hier steht sie ausgestopft mit starren Glasaugen. Jeder zweite, dritte Vogel, der früher so allgemein war, daß er in die Sagen des Landes verwoben wurde, ist jetzt bald selbst nur noch eine Sage. Sie werden zu Geld gemacht, sie werden aus den Wolken und von den Baumwipfeln herabgeholt, um die Taschen der Leute mit klingender Münze zu füllen, der letzte Adler, wie die unverletzlich erklärten Störche! Die Menschen wollen die seltenen Exemplare besitzen, wollen sie in die Hand nehmen und vorzeigen können.
„Vogelhansen“ oder ganz einfach „Vogel“, wie er genannt wird, hat sich sein Gewerbe zum Spezialfach ausgebildet, und er verdient in der Hauptgeschäftszeit einen guten Tagelohn damit. Er ist als verwegener unermüdlicher Bursche bekannt, der klug ist in allem, was in sein Fach schlägt — er ruht nicht, bis er seine Beute in der Botanisiertrommel hat.
Als Sohn eines Holzhauers hier aus der Gegend, ist er von Kindesbeinen an gewöhnt, im Walde umherzustreifen. Auf einer Fahrt als Schiffsjunge hatte er in seiner grünen Jugend das Unglück, vom Mast zu fallen und einen häßlichen Bruch des linken Schenkels davonzutragen, was ihm in späteren Jahren die neuerrichtete Leuchtturmwärterstellung draußen am 23 Auslauf der Förde verschaffte. Und Dank seiner Klettersporen und seiner unbezwinglichen Leidenschaft ist er noch immer imstande, selbst in den Wipfel der unzugänglichsten Buche hinaufzugelangen.
Im vergangenen Jahr, als er seinen großen Fang hier im Walde machte und — von den schreienden und fauchenden Hähern geleitet — Strix’ zwei possierliche, voll befiederte Junge fand, hatte er in der Nacht zuvor einen Besuch auf ein paar Höfen abgestattet, die in einem kleinen grünen Tal jenseits der Heide lagen. Nach Erkundigung bei einem seiner vielen Bekannten aus der Zeit, als er noch bei den Eltern im Hegemeisterhäuschen am Hochwalde wohnte, hatte er in Erfahrung gebracht, daß sich auf dem Scheunenflügel des südlich gelegenen Hofes ein Storchennest befand. Das war genug für Vogelhansen. In der Dunkelheit der Nacht radelte er die Meile über die Heide und traf um Mitternacht an Ort und Stelle ein.
Er findet den Hof und sieht zu seiner Freude den Storchenvater auf einem Bein, den Kopf unter dem Flügel, auf dem Nestrande neben der brütenden Störchin schlafen. Eine Brandstiege nehmen und sie anstellen, ist ein Leichtes für „Vogel“, und da das Nest gerade dort liegt, wo zwei zusammengebaute Flügel sich kreuzen, gelingt es ihm, auf Socken auf das Strohdach hinaufzuklettern.
Der Storchenvater wehrt tapfer sein Nest gegen diesen Räuber, namentlich die Störchin geht scharf vor; sie klammert sich an dem Nest fest und will ihm auf keine Weise gestatten, mit der Hand über den Rand des Nestes zu gelangen. Sie schlägt und hackt ihn in Schulter und Arm, so daß seine Kleider lange Risse davontragen.
24 Da greift Vogelhansen in die Tasche, zieht eine Flasche mit Ammoniak heraus und schleudert der Störchin ein paar gehörige Schüsse ins Gesicht. Das hilft — wenige Sekunden später liegt das Nest offen da. Fünf glänzende weiße Eier schimmern ihm entgegen, ein volles Gelege!
Schnell zieht „Vogel“ einen seiner Strümpfe aus, steckt vorsichtig die Eier hinein und nimmt den Strumpfschaft in den Mund ...
Aber durch das Klappern des Storches ist der Hofhund erwacht, er fängt an zu kläffen und zu bellen: im Wohnhaus wird Licht angezündet und einen Augenblick später klappern Holzschuhe über das Steinpflaster.
Da gilt es, sich zu beeilen! Vogelhansen setzt sich auf seine vier Buchstaben, hält die geraubten Eier mit der rechten Hand hoch in die Höhe und rutscht resolut vom Dach herunter. Aber in der Eile verfehlt er die Leiter, er muß der Sache ihren Lauf lassen — und wie ein Schlitten nach einem Luftsprung saust sein Körper in die Luft hinaus. Da hat er das unverschämte Glück, daß der Düngerhaufen sich gerade unter ihm befindet: er fällt weich — in einen großen Haufen Streu hinein. Er greift nach seinen Schuhen und nimmt Reißaus über die Heide.
Alle Storcheneier waren heil geblieben — er hatte für seine Verhältnisse einen ungewöhnlichen Fang gemacht!
— — —
Jetzt ist er wieder hier in der Gegend.
Ein eifriger Sammler hat ihm einen hohen Preis für die Beschaffung eines vollen Geleges Eier von dem großen Uhu geboten. Für den Sammler gilt es, die Eier zu erlangen, solange der Vogel überhaupt noch vorhanden ist.
25 Aus seiner Knabenzeit und von seinen späteren zahlreichen Besuchen hier ist der kleine Leuchtturmwärter mit sich im Klaren, wo ungefähr er suchen muß. Er geht geradeswegs nach der Stelle, wo er im vergangenen Jahr das Eulennest gefunden hat und beginnt von hier aus, den Wald in immer größeren Kreisen zu durchtraben.
Er ist eifrig. Dem kurzen Bein wird es schwer, Schritt zu halten, ihm muß mit einem dicken, eisenbeschlagenen Eichenknittel nachgeholfen werden, dessen Krücke so gebogen ist, daß sich der Stock schnell in die Seitentasche einhaken läßt, wenn „Vogel“ die Hände frei haben will. Er klopft an die Stämme und guckt in die Wipfel hinauf, er kratzt an den alten Eichenstubben und jagt den Stock bis an die Krücke unter alle Wegüberführungen und in die alten, mit Laub angefüllten Fuchsröhren.
Strix liegt auf ihren Eiern wie ein Huhn, flach ausgestreckt — mit gesträubten Hörnern ...
Schon aus weiter Ferne hört sie den eigenartigen Gang des Mannes.
Kla—datsch, klingt es, kla—datsch, kla—datsch ...
Als Strix eben flügge geworden und unbekannt mit der Welt war, hatte sie eines Tages ein possierliches Tier im Walde umhertrollen sehen. Es ging auf der hohen Kante und benutzte nur seine beiden hinteren Beine, die beiden andern baumelten an der Seite herab. Wieder und wieder kehrte es zurück, strich mit den Vorderpfoten an den Bäumen entlang und spähte wie ein Hahn in die Wipfel hinauf. Strix hatte beobachtet, daß es eine ungewöhnliche Fähigkeit besaß, die 26 Farbe zu wechseln; bald war der Pelz grau, bald schwarz, bald beides ... es war ein Mensch.
Der Mensch hatte sich ein Nest aus Steinen zusammengetragen, das lag draußen am Waldessaum und nicht weit von ihrem Horstbaum. Sie fand das Nest eines Abends und sah den Menschen hineingehen und vor ihren Augen verschwinden.
Lange Zeit blieb sie draußen sitzen und starrte das Loch an, durch das der Mensch verschwunden war. Er war eine sonderbare Erscheinung, fand sie. Sein Gang und sein Treiben, sein scharfer Geruch erregten ihre ganze Neugier.
Sie konnte es nicht lassen, den Menschen anzusehen, ihm aus der Entfernung zu folgen, sie fürchtete ihn instinktiv, ohne sich erklären zu können, weshalb, fühlte sich aber trotz alledem mächtig von ihm angezogen. Er kam nie in Eile, der Mensch, nie plötzlich überraschend, wie das Raubtier, er trollte gleichsam umher und kümmerte sich nur um sich selbst. Er knöhrte nicht wie der Hirsch, heulte nicht wie der Hund, er quakte im Grunde wie ein großer Frosch.
Nur selten geschah es, daß der Mensch des nachts ausging; geschah es aber, so sah Strix, wie er auf seinen nächtlichen Wanderungen durch den stillen Wald gleichsam zum Narren gehalten wurde. Da ging er und stolperte schwerfällig auf seinen Klumpfüßen und stieß bei jedem Schritt ein Stück Ast in die Erde — kla-datsch klang es, kla-datsch — während es rings umher in der Dunkelheit von neugierigen Tieren wimmelte. Alle kannten sie seine Unterlegenheit!
Der Fuchs lag hart am Wegrande zwischen den Farnen, der Rehbock stand nicht zwei Sprünge davon zwischen den Stämmen, der Marder guckte ruhig unter einem Stein hervor, und das 27 Stachelschwein trabte in seinen Fußstapfen und schnüffelte an seinen klappernden Ballen.
Alle hatten sie ihn lange, lange gesehen und gehört, ehe er vor ihnen stand; alle wußten sie, daß er in der Dunkelheit blind und taub war. Stand er aber plötzlich still, so erfaßte die ganze Schar ein Schrecken; Strix hörte sie davonstürzen, und sie empfand selbst ein sonderbar beklemmendes Gefühl im Halse.
— — —
Dasselbe beklemmende Gefühl stellt sich jetzt wieder ein, als sie plötzlich das Kla-datschen unter sich hört und den Menschen zwischen den Stämmen auftauchen sieht.
Sie dreht den Kopf ganz nach ihm herum ...
Aber was soll sie fürchten?
Sie hat ja ihren scharfen Schnabel und ihre spitzen Fänge; noch nie haben diese beiden mächtigen Waffen sie im Stich gelassen, wenn Not am Mann war; die Fänge greifen fest zu und bohren sich ein Loch da, wo sie anpacken — und der Schnabel gibt den Fängen nichts nach.
Und dann hat sie ja die Flügel.
Wie sie hier so im Baum liegt und auf die Erde hinabsieht, fühlt sie sich dem großen, lächerlichen Tier unendlich überlegen; sie kann sich ja von ihm weg emporschwingen und ihn unter sich kleiner und kleiner werden sehen. Auch das ist gleichsam eine Befreiung!
Nein, was soll sie fürchten! Sie hat den Übermut und die Sicherheit aller großen Vögel, sie besitzt den Glauben an sich selbst und das Vertrauen zu den eigenen Fähigkeiten und Kräften.
28 Da auf einmal fängt ihr Horstbaum an zu zittern und zu beben. Sie hört, wie sich große, gehörnte Krallen einen Weg am Stamm hinauf bahnen.
Sie preßt sich fester auf ihre Eier, rollt mit den Augen und faucht wie eine Kröte.
Die Krallen kommen näher und näher — und machen dann plötzlich unter ihr Halt. Da fängt sie an zu jammern und zu klagen wie eine Bruthenne und stößt eine Reihe tieftönender Aah — Aah aus ...
Dem Leuchtturmwärter klingt es, als klage ein todkranker, leidender Mensch.
Das Herz pocht in ihm! Wenn jetzt nur Eier und keine Jungen im Nest sind, ist er seines Fanges so gut wie sicher. Er zieht seine Strickleiter heraus und befestigt sie an einem Zweig.
Da tönt es plötzlich wie ein Tju vor seinem Ohr. Die Mütze fällt ihm ab und drei lange tiefe Risse, aus denen Blut hervorquillt, zerfetzen ihm die Wange.
Es ist Strix, die jetzt angreifend zu Werke geht; endlich ist ihre Geduld erschöpft.
Aber da gibt’s kein Erbarmen! Auch auf diese Möglichkeit ist Vogelhansen vorbereitet; er wirft seinen Rock über den Kopf und zieht einen alten Fechthandschuh über die rechte Hand — dann betäubt ein halber Liter Ammoniak den Uhu, und es gelingt ihm, das Nest zu plündern.
Strix fliegt in der Verwirrung eine Strecke über den Wald hin und fällt dann ohnmächtig zwischen den Bäumen nieder.
Als sie aus der Betäubung erwacht und hustet und nach Atem ringt, steht das Hahnengesicht des Leuchtturmwärters 29 mit den kleinen stechenden Augen noch immer vor ihrem inneren Blick. Die Augen starren sie gieriger an als die der Füchse, wenn sie, neidisch auf ihren Fang, geifernd um sie herum sitzen, und sie sind grausamer und berechnender kalt als der Blick, den ihr Taa an jenem Tage zuschleuderte, nachdem sie ihn unversehens aus den Klauen der Jungen errettet hatte. Und gegen ihr Trommelfell hämmert es: Kla-datsch, kla-datsch! ...
Die Fußtritte kann sie nie wieder vergessen!
Später legte sie noch einmal und lag getreulich wochenlang brütend auf einem einzigen, erbärmlichen, kleinen Ei.
Aber, woran es liegen mochte — aus dem Ei wurde nie etwas anderes als die Schale. 
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