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H. A. Guerber德语故事:Rosa von Tannenburg

时间:2021-10-22来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: H. A. Guerber
In Schwaben stand ehemals ein stattliches Schloß, worin der Ritter von Tannenburg, dessen Gemahlin und ihre kleine Tochter Rosa glücklich lebten. Sie waren gute, fromme Leute, liebten einander innig, und ihre Unterthanen und Diener waren immer wohl versorgt.
 
Der Ritter mußte oft in den Krieg ziehen, aber obgleich er der tapferste Mann in dem Kaiserheer war, und die Feinde ihn fürchteten, war er immer sehr sanft und gut gegen die Armen und Unglücklichen.
 
Als Rosa von Tannenburg siebzehn Jahr alt war, wurde ihre angebetete Mutter plötzlich sehr krank, und obgleich die besten Ärzte so schnell wie möglich herbei geholt wurden, ward ihr Zustand immer gefährlicher.
 
Als sie den herankommenden Tod fühlte, rief sie ihr Kind zu sich ans Bett und sagte:
 
„Rosa, mein viel geliebtes Kind, du mußt mir jetzt beistehen. Sei mutig, meine Tochter, und höre, was ich dir sagen möchte, noch ehe ich scheide.
 
„Du bist jetzt kein kleines Kind mehr, und du sollst deinen Vater trösten, wenn ich nicht mehr da bin. Du sollst auch das Haus leiten, und vergiß ja nicht, daß eine Herrin für Vieles verantwortlich ist. Du sollst deinen Leuten als ein Muster von Frömmigkeit, Arbeitsamkeit, Wahrheit und allen Tugenden dienen. Bete oft, mein Kind, und der liebe Gott wird dir helfen, deine Pflicht zu thun. Aber vergiß ja nicht, daß du immer Wort halten mußt, und daß der Heiland uns selbst geboten hat: Füge keinem Anderen zu, was du nicht willst, daß man dir thu’.“
 
Als die Mutter so gesprochen, versprach Rosa mit Thränen, Alles zu thun, und ihre Lehren nie zu vergessen.
 
Nachdem die gute Mutter ihr noch viele gute Ratschläge gegeben, verschied sie noch ehe der Ritter von Tannenburg heimgekehrt, obgleich er so schnell wie möglich aus dem Krieg kam, um seine geliebte Frau noch einmal zu sehen.
 
Natürlich waren Rosa und ihr Vater sehr, sehr betrübt, aber da sie doch beide gute Christen waren, dankten sie Gott, daß die liebe Gattin und Mutter glücklich im Himmel wohnen konnte, und beteten oft, daß auch sie einmal dahin kommen könnten. Einige Tage nach dem Begräbnis mußte der Ritter wieder in den Krieg ziehen, und die arme Rosa blieb allein im Schlosse Tannenburg, mit ihren treuen Dienern.
 
Da sie jetzt den Haushalt besorgen und dazu allen Kranken und Armen beistehen mußte, war sie immer beschäftigt, und als sie jeden Abend in die Schloßkapelle ging, um auf dem Grabe der Mutter ihr Abendgebet zu verrichten, war sie sehr einsam. Sie dachte, daß der Vater vielleicht noch lange im Auslande bleiben würde, und war sehr überrascht, als er eines Abends im Herbst spät nach Hause kam. Der arme Ritter war schwer verwundet, und den rechten Arm konnte er in Folge eines Schwerthiebes gar nicht brauchen. Er war nach Hause gekommen, um von diesen gefährlichen Wunden zu genesen.
 
 
„Es kam mir sehr ungelegen, liebes Kind,“ sagte er. „Ich hätte meinem Kaiser doch beistehen mögen, aber Gottes Wille geschehe. Ich werde hier bei dir bleiben, bis ich genesen, und dann werde ich wieder in den Krieg ziehen, wo einer meiner Freunde meine Truppen jetzt lenkt.“
 
Rosa war natürlich sehr froh, ihren Vater wieder bei sich zu haben, und damit er die liebe Heimgegangene so wenig als möglich vermisse, that sie Alles, was ihr möglich war, um ihm das Leben behaglich zu machen, und um ihn zu zerstreuen und zu unterhalten.
 
Eines Abends, als sie beide allein im großen Saale saßen, Ritter vor dem Feuer, und Rosa am Spinnrad beschäftigt, seufzte der Ritter schmerzlich.
 
„Ach,“ dachte die liebende Rosa, „der Vater ist jetzt unglücklich. Die Wunde schmerzt mehr als gewöhnlich, und er denkt an meine verstorbene Mutter, die er so zärtlich liebte. Ich muß ihn unterhalten, damit er Schmerz und Verlust ein wenig vergißt.“
 
Darauf rief sie heiter: „Ach, Vater, wie froh bin ich, dich hier zu haben, und nicht allein bleiben zu müssen. Unterhalte mich, Vater, während ich fleißig arbeite. Erzähle mir etwas aus deiner Jugendzeit. Erzähle mir zum Beispiel (z. B.), wie du die goldene Kette um deinen Hals gewonnen.“
 
„Ach, mein Kind,“ sagte der Vater lächelnd, als er der glücklichen Jahre seiner Jugend gedachte, „ich habe dir das ja schon mehrmals erzählt.“
 
„Ach, Vater, die lieben, alten Geschichten kann man nie zu oft hören. Erzähle nur, erzähle!“
 
 
„Nun,“ sagte der Ritter, indem er sich behaglich in den Lehnstuhl zurück lehnte, „als ich noch jung war, wurde ich als Edelknabe (Page) an den kaiserlichen Hof gesandt, wo der Graf von Fichtenburg, dessen Türme du von dem Erker aus sehen kannst, auch als Edelknabe diente. Wir waren von gleichem Alter, wurden bald gute Freunde, und wurden an demselben Tage zum Ritter geschlagen. Ach, Rosa, das war ein prachtvolles Fest! Alle Leute der Umgegend waren gekommen, um das Turnier zu sehen. Unter den Edelfrauen war keine so schön wie deine Mutter, die erst siebzehn Jahre alt war, und der du sehr ähnlich bist.
 
„Alle Ritter sollten am Turnier Teil nehmen, und der Kaiser hatte dem Sieger eine goldene Kette bestimmt. Die schönste der anwesenden Jungfrauen sollte ihm dieselbe um den Hals hängen, und Alle wählten einstimmig Mathilde, deine liebe Mutter, zu diesem Amt. Ich hatte sie schon oft gesehen, liebte sie innig und hoffte, ihre Liebe zu gewinnen, darum that ich mein Mögliches um den Preis aus ihrer schönen Hand zu erhalten. Aber, obgleich ich es damals nicht wußte, liebte der Graf von Fichtenburg deine Mutter auch, und auch er war fest entschlossen, den Preis zu gewinnen. Das Turnier fand statt, und ich war der glückliche Sieger. Ich erhielt die goldene Kette aus den schönen Händen deiner lieben Mutter, und an demselben glücklichen Tage versprach sie mir auch ihre Hand. Als der Graf das hörte, war er sehr eifersüchtig und ungehalten, schwor daß ich ihn verraten hätte, und daß er sich rächen werde.
 
 
„Er verließ sogleich den kaiserlichen Hof, und seitdem habe ich meinen ehemaligen Freund nie wieder gesehen. Schon manchmal hat er meine Diener gefährdet, hauptsächlich den armen Burkhart, und man sagt, daß er mir noch böse ist, obgleich schon beinahe zwanzig Jahre vergangen, und er vor zehn Jahren eine wunderschöne Gemahlin heimführte.“
 
Der Ritter unterbrach plötzlich seine Erzählung, denn er hörte Lärm und Geschrei im Schloßhofe. Er sprang auf, um in den Hof zu gehen, aber ehe er einen einzigen Schritt thun konnte, wurde die Thür gewaltsam aufgerissen. Ein Mann in voller Rüstung stand da, und rief mit Donnerstimme: „Ritter von Tannenburg, Sie sind mein Gefangener!“
 
Als die arme Rosa das hörte, fiel sie dem Ritter zu Füßen und bat inbrünstig, ihren Vater nicht ins Gefängnis zu bringen, wo er sicher sterben würde, da er noch schwach sei und noch nicht völlig von seiner gefährlichen Wunde genesen.
 
Der Graf von Fichtenburg erwiderte höhnisch: „Vor zwanzig Jahren that ich einen Eid, daß ich mich rächen würde. Bisher habe ich es nie thun können, aber jetzt, da Ihr Schloß nur von Alten und Verwundeten verteidigt, und Sie selbst krank sind, konnte ich desselben mächtig werden. In einer Stunde werden Sie mich nach Fichtenburg begleiten, wo Sie im Kerker bleiben werden so lange ich lebe!“
 
Als der Graf von Fichtenburg diese grausamen Worte gesprochen, rief er zwei seiner Krieger, stellte sie vor die Thüre, gebot ihnen, Wache zu halten und den Ritter nicht aus den Augen zu lassen, und ging in die anderen Räume, um zu plündern.
 
 
Die lautweinende Rosa und ihr Vater waren jetzt allein im großen Saale, von den zwei Knechten bewacht. Der Ritter umfing seine weinende Tochter mit dem gesunden Arm und sprach leise:
 
„Rosa, meine Tochter, sei mutig, höre genau zu, und du wirst deinen Vater noch retten können. Das Bitten hilft Nichts; mein Feind ist zu grausam. Er hat dich glücklicherweise nicht einmal bemerkt. In einer Stunde werde ich gebunden nach Fichtenburg gebracht. Der Graf plündert jetzt Schloß und Hof. Er wird unsere Diener alle hinaustreiben, und er wird sie mit dem Tode bedrohen, wenn sie sich meiner erbarmen, oder Jemanden von meinem Zustand hören lassen. Sie werden dir nicht einmal beistehen können, du armes Kind, denn sie fürchten sich vor des Grafen Zorn. Mein Kind, du wirst wahrscheinlich auch in Nacht und Wind hinausgestoßen. Du wirst auch in dem Dorf kein Obdach finden können, denn wie schon gesagt, die Leute fürchten den Zorn des Grafen zu sehr. Sei getrost, Rosa, sei mutig, gehe nur in den tiefen Wald hinein. Wenn du zu der großen Eiche gekommen, gehe nach Norden. Nach einigen Stunden wirst du die Hütte eines Kohlenbrenners finden. Er wird dir ein Obdach geben. Erzähle ihm Alles, er heißt Burkhart, er ist mir sehr ergeben. Er weiß, wo alle meine Freunde sind, er wird sie aufsuchen, wird ihnen sagen, wie es mir ergangen und ihren Beistand ansprechen. Gehe, mein Kind, gehe mit Gott, dessen Obhut dein Vater dich anvertraut, da er dich selbst verlassen muß!“
 
Die arme Rosa versprach ihrem Vater, Alles zu thun, was er ihr befohlen, umarmte ihn krampfhaft, aber noch ehe sie Alles besprochen, kam der Graf zurück und befahl den Knechten:
 
„Führt den Ritter hinaus!“
 
Die Männer führten den Ritter hinaus, und als sie sahen, daß er zu schwach zum Gehen war, warfen sie ihn, fest gebunden, auf einen Wagen, in den sie ein Bündel Stroh gelegt.
 
Rosa war unbemerkt ihrem Vater gefolgt. Sie wollte ihn nicht verlassen und stand da, unter den rohen Männern, ihrem Vater tröstende Worte zuflüsternd. Der Graf von Fichtenburg achtete ihrer gar nicht, gab den Befehl zum Aufbrechen, und alle gingen hinaus. Der Graf schloß das leere Schloß selbst zu, und ritt dann an der Spitze seiner Schaar eilig davon. Die arme Rosa folgte, so lange sie konnte, aber, da sie nur Hausschuhe an hatte, und der Weg sehr steinig war, mußte sie bald inne halten.
 
Die Reiter verschwanden bald in der Dunkelheit und das arme Mädchen, das noch nie allein und zu Fuß ausgegangen war, sah sich ganz verlassen und allein, ohne Beschützer, noch Obdach. Ihre Thränen flossen natürlicherweise, aber da sie sehr mutig war, sagte sie bald zu sich selbst:
 
„Nun, das Weinen hilft Nichts. Mein armer, verwundeter Vater ist in des grausamen Grafen Gewalt. Ich muß ihn sobald als möglich retten; da ich doch nicht allein reisen kann, um seine Freunde aufzusuchen, muß ich den Kohlenbrenner aufsuchen, und das so schnell als möglich.“
 
 
Rosa schritt mutig in den dichten Wald hinein, und ging langsam vorwärts, bis sie am Morgen früh die bezeichnete Eiche fand. Sie war jetzt so müde und von dem Schreck so angegriffen, daß sie sich sehr schwach fühlte. Nach einiger Zeit ging sie weiter, aber da ihre dünnen Schuhe jetzt ganz zerrissen, und ihre des Gehens ungewohnten Füße blutig waren, kam sie nur sehr langsam und sehr mühsam vorwärts.
 
Es war Abend ehe sie in einiger Entfernung ein Feuer sah, und als sie schmerzlich hinkend dahin kam, wurde sie von dem erstaunten Kohlenbrenner, dem Diener ihres Vaters, freudig empfangen.
 
„Ach, gnädiges Fräulein, wie kommen Sie hierher, zu dieser Stunde, allein und zu Fuß?“
 
In einigen flüchtigen Worten erzählte sie ihm Alles, und als Burkhart hörte, daß sein Herr von dem Grafen gefangen genommen worden, war er sehr böse.
 
„Weinen Sie nicht, gnädiges Fräulein!“ rief er. „Sie werden einige Tage hier im Walde mit meiner Frau und Tochter zubringen. Unterdessen werde ich die Freunde Ihres Vaters aufsuchen und sie werden den bösen Grafen schwer bestrafen für diesen Betrug.“
 
Er brachte das erschöpfte Mädchen in sein Haus, wo seine Frau und seine Tochter sie freundlich und dienstfertig empfingen, und nachdem Rosa ihnen Alles ausführlich mitgeteilt, rief der Kohlenbrenner erstaunt:
 
„Nein, ich kann nicht verstehen, daß der Graf Sie nicht auch ins Gefängnis brachte. Er muß doch vermuten, daß Sie die Freunde Ihres Vaters aufsuchen werden! Vielleicht bereut er es schon, daß er Sie nicht auch binden ließ, und vielleicht sendet er schon heute seine Reiter aus, um Sie einzuholen. Ich will in das Dorf gehen. Niemand weiß, daß ich der Knecht des Ritters von Tannenburg gewesen. Da werde ich lauschen, und ich werde bald hören, ob man Sie suchen wird.“
 
Burkhart, der Kohlenbrenner, brach sogleich auf, kam bald in das Dorf von Fichtenburg, ging ins Wirtshaus, setzte sich an einen Tisch, und trank sein Bier langsam, augenscheinlich, ohne sich um irgend Etwas zu bekümmern. Aber dennoch lauschte er jedem Gespräch aufmerksam.
 
Bald kamen zwei Knechte murrend herein.
 
„Nun, was giebt’s?“ fragte der Wirt neugierig, indem er ihnen das Bier einschenkte.
 
„Ach, der Herr schickt uns heute Morgen wieder aus, um das Fräulein von Tannenburg einzuholen. Er hätte sie gestern so gut mitbringen können! Aber jetzt müssen wir in aller Eile ausreiten, und überall hingehen, bis wir sie gefunden haben.“
 
Burkhart hatte genug gehört! Er zahlte seine Zeche und ging langsam hinaus, aber als er in dem Wald war, ging er eiligst nach Hause. Sobald er da angekommen, rief er die erschrockenen Frauen zu sich, und erzählte ihnen Alles.
 
„Ach,“ rief Rosa, „da mein Vater im Gefängnis ist, so gehe ich auch gern dahin, dann werde ich ihn sehen und trösten können!“
 
 
„Ach, gnädiges Fräulein, denken Sie ja nicht daran!“ erwiderte der Kohlenbrenner, „Sie würden ihren Vater nicht einmal sehen! Nein, Sie dürfen nicht in die Hände des bösen Grafen fallen. Sie sollen die Kleider meiner Tochter anziehn, sich Hände und Gesicht braunfärben lassen, und wenn die Knechte des Grafen hierher kommen, werden sie nur zwei Bauernmädchen sehen!“
 
Rosa zog die Kleider der jungen Bäuerin an, färbte sich Hände und Gesicht braun, und der Kohlenbrenner vergrub ihre eigenen Kleider in dem kleinen Garten. Er war soeben fertig, als die Boten des Grafen heranritten, und fragten, ob er das gnädige Fräulein von Tannenburg nicht gesehen?
 
„Nun,“ erwiderte er einfach, „ist sie nicht in ihrem Schlosse?“
 
„Nein, das Schloß gehört uns jetzt, aber das Fräulein suchen wir vergebens. Der Graf hat befohlen, daß wir jedes Haus durchsuchen.“
 
„Nun, Ihr könnt mein Haus durchsuchen,“ lachte der Kohlenbrenner, „und wenn Ihr klug genug seid, ein gnädiges Fräulein darin zu finden, möchte ich es wissen,“ fügte er hinzu, nachlässig in seinem Garten weiter arbeitend. Die Knechte gingen in das Haus, wo eine Bäuerin und ihre zwei Töchter beschäftigt waren, und sie erkannten die hochgeborene Jungfrau von Tannenburg nicht in ihrem ärmlichen Anzug. Sie gingen bald fort und obwohl andere Männer auch dahin kamen, um das gnädige Fräulein zu suchen, so erkannte keiner Rosa.
 
 
Nach einigen Tagen ging der Kohlenbrenner wieder in das Dorf, wo er die Knechte sagen hörte, daß der Graf von Fichtenburg das gnädige Fräulein nicht mehr suchen lassen werde, da er jetzt dächte, daß sie während der dunklen Nacht in den Strom gefallen und darin ertrunken sei.
 
Burkhart ging jetzt zufrieden nach Hause, und am folgenden Morgen brach er früh auf, um die Freunde seines Herrn aufzusuchen, und ihnen seine Not zu klagen. Rosa betete unterdessen Tag und Nacht für ihren armen, gefangenen Vater, und als der Kohlenbrenner nach Hause kam, eilte sie ihm entgegen und fragte ängstlich:
 
„Nun, Burkhart, wann kommen die Freunde meines Vaters, um ihn zu befreien?“
 
„Ach, gnädiges Fräulein,“ erwiderte der Kohlenbrenner traurig, „ich bin überall hingegangen, aber alle Ritter sind jetzt abwesend. Der Kaiser hat sie alle gerufen. Alle sind fort, und die Frauen, Kinder und unfähigen Diener sind allein in den Schlössern. Alle die Edelfrauen bedauerten Ihren kläglichen Zustand, aber sie werden Nichts thun können, bis der Krieg zu Ende ist.“
 
„Dann wird mein armer Vater tot sein!“ rief Rosa verzweifelnd. „Er ist zu krank um das Kerkerleben auszuhalten.“
 
Das arme Mädchen weinte bitterlich und sann Tag und Nacht, wie sie dem lieben Vater helfen könnte. Eines Nachmittags ging sie mit Anna, des Kohlenbrenners Tochter in den Wald, um Morcheln zu suchen. Bald sagte Anna: „Ich habe mir schon manches Kleid mit diesen Morcheln verdient. Der Graf von Fichtenburg ißt sie sehr gern, und jedesmal wenn ich einen Korb voll in das Schloß trage, bekomme ich einen guten Preis dafür.“
 
Da ging Rosa ein Licht auf, sie sagte ihrer Gefährtin nichts davon, aber als sie wieder in das kleine Haus gekommen, rief sie den Kohlenbrenner zu sich und sprach:
 
„Lieber Burkhart, ich muß den Vater sehen, oder wenigstens einen Versuch machen, Nachrichten von ihm zu haben. Du kannst nicht in das Schloß gehen, man würde dich dort als einen Vasallen meines Vaters erkennen. Ich bin so gut verkleidet, daß Niemand das gnädige Fräulein von Tannenburg unter dieser braunen Farbe und den groben Kleidern erkennen wird. Ich will morgen dahin gehen, unter dem Vorwand, Morcheln zu verkaufen. Vielleicht kann ich mich nach dem Wohlsein meines teuren Vaters erkundigen, ohne mich zu verraten.“
 
Der Kohlenbrenner wollte zuerst Nichts davon hören, aber endlich mußte er das Mädchen doch gehen lassen, und früh am Morgen brach sie mit Anna auf. Nach einem langen Gang kamen sie endlich an den Fuß des Berges, worauf das Schloß stand. Da gebot Rosa dem Mädchen, ihre Rückkehr zu erwarten, und kletterte allein den Berg hinauf. Als sie an das Thor kam, hörte sie Pferde stampfen und Waffen klirren, und sie hatte nur Zeit aus dem Weg zu treten, als der Graf mit seinen Dienern heraus brauste. Er sah das Mädchen scharf an, und Rosa zitterte vor Angst. Das Zittern gefiel ihm, da er den Leuten nur Furcht einflößen wollte, und er hielt sein Pferd plötzlich an und sagte kurz:
 
„Was hast du in dem Korbe, und warum kommst du hierher?“
 
„Ich habe Morcheln zu verkaufen!“ erwiderte Rosa schüchtern.
 
„Oh, das ist gut, gieb sie der Pförtnerin, sie soll sie in die Küche tragen und der Köchin sagen, daß ich sie heut’ Abend essen werde, wenn ich von der Jagd heimkomme.“
 
Dann brauste der Graf weiter, und Rosa ging zitternd in den Schloßhof. Die Pförtnerin kam ihr entgegen und als Rosa ihr den Befehl des Ritters mitgeteilt, rief sie ungeduldig:
 
„Nun, dann müßtest du diese zwei Kinder hüten, während ich in die Küche gehe!“
 
Die Pförtnerin nahm den Korb und ließ Rosa allein, mit zwei kleinen Schreihälsen; aber die Kinder schrieen nicht lange, denn die sanfte Stimme und die Schmeichelreden die sie jetzt hörten, statt ihrer Mutter ewigen Scheltens, überraschten und entzückten sie sehr.
 
Sie waren ganz glücklich mit Rosa, und als die Pförtnerin, nach einer langen Stunde, endlich zurück kam, war sie erstaunt, ihre Kinder so vergnügt zu finden.
 
„Da hast du dein Geld und den leeren Korb,“ sagte sie etwas sanfter als zuvor.
 
 
„Ich habe ein Bischen zu lange mit der Köchin geplaudert, aber es ist so langweilig, immer hier mit den Kindern zu sein, und alle Hände voll zu thun zu haben. Mein Mann ist Gefangenwärter, darum muß ich auch das Essen für die Gefangenen bereiten. Kennst du kein Bauernmädchen, das mir als Magd dienen könnte? Ich habe schon viele Mägde gehabt, aber sie waren alle so ungeschickt, so träge, so nachlässig, daß ich sie Alle fortschicken mußte. Könntest du nicht selbst kommen? Du gefällst mir, und den Kindern auch, denn ich habe sie noch nie so artig gesehen.“
 
Rosa, deren Herz laut pochte, als sie hörte, daß der Pförtner auch Gefangenwärter sei, dachte schnell: „Ich will hier als Magd dienen, dann kann ich Etwas von meinem Vater hören und ihn vielleicht auch sehen,“ aber sie sagte der Pförtnerin nur:
 
„Ich muß zuerst nach Hause gehen, aber wenn man da Nichts dagegen hat, so komme ich morgen wieder, um in Ihren Dienst zu treten.“
 
„Ja, geh,“ sagte die Pförtnerin, „und sage deinen Eltern, daß obwohl der Lohn nicht groß sein wird, du zu Weihnachten ein neues Kleid bekommen wirst, wenn du recht fleißig bist.“
 
Rosa ging den Berg hinunter und als sie Anna wieder eingeholt, erzählte sie ihr Alles.
 
„Sie können der Pförtnerin ja unmöglich dienen, gnädiges Fräulein,“ rief diese erschrocken. „Sie ist ein böses, zankhaftes Weib. Niemand kann es in ihrem Hause aushalten, selbst die stärksten nicht, und Sie sind auch nicht an die Arbeit gewöhnt.“
 
Rosa aber erwiderte nur, daß sie Alles thun und leiden könne, um ihrem Vater nahe zu sein, und obwohl der Kohlenbrenner ihr auch sagte, daß es sehr gewagt sei, ging sie doch früh am folgenden Morgen in das Schloß, um der Pförtnerin zu dienen.
 
Die zankhafte Frau war sehr froh, Rosa zu sehen und sagte ziemlich freundlich:
 
„Nun, du bist recht zeitig gekommen. Sieh, jetzt will ich dir zeigen, wie man die Suppe für die Gefangenen zubereitet.“
 
Die Frau machte eine dicke, unappetitliche Suppe, goß sie in mehrere Schüsseln, die in einem großen Korbe standen, und sagte dabei, daß sie jetzt so viele Gefangene hätten, weil der Graf kürzlich ein Schloß erobert hätte. Rosa hörte Allem schweigend zu, aber sie hätte laut weinen können, als sie die derbe Kost sah, die man ihrem kranken Vater gab. Als die Suppe fertig war, kam der Pförtner mit seinen Schlüsseln und seiner Laterne und sagte:
 
„Frau, du mußt mit in den Turm. Heute noch gehe ich mit dem Herrn in den Krieg, und er hat befohlen, daß du die Gefangenen besorgen sollst.“
 
„Das will ich nicht thun! Die Magd kann es thun. Ich fürchte mich in die düsteren Gänge zu gehen. Ich fürchte mich auch vor den Gefangenen. Das Mädchen da, das ich soeben in meinen Dienst genommen, soll das thun,“ erwiderte die Frau.
 
 
Der Pförtner sah Rosa prüfend an und sprach:
 
„Nun, Mädchen, willst du die Gefangenen dreimal täglich besuchen, und ihnen Brot, Suppe und frisches Wasser bringen?“
 
„Ja, das will ich gern thun,“ sagte Rosa, deren Herz vor Freude laut pochte.
 
Der Pförtner nahm Schlüssel und Korb, gebot Rosa die Laterne zu tragen und ihm zu folgen, und schritt durch den Hof. Als er an den Turm gekommen, nahm er einen großen Schlüssel, öffnete die eiserne Thüre, machte sie hinter sich wieder zu und sagte:
 
„Mädchen, diese Thür muß immer verschlossen sein, hörst du?“
 
Dann ging er die langen, düsteren, hallenden Gänge und Treppen entlang. Bald kam er zu den Kerkern.
 
„Siehst du, Kind,“ sagte er, „der Mann in diesem Kerker ist ein Mörder. Er ist zwar angekettet, aber er ist doch gefährlich. Öffne nur diese kleine Pforte, setze Schüssel, Brot und Wasser da auf das Brett, und mache schnell wieder zu.“
 
Er zeigte Rosa, wie sie es thun sollte, und sie war froh, als er die Pforte wieder zuschloß, denn der Mörder schrie und fluchte laut.
 
Sie gingen so, von einem Kerker zum anderen. Rosas Herz pochte immer lauter. Keine Thür wurde geöffnet, und der Gefangenwärter sagte immer:
 
„Gehe ja nicht da hinein, Kind, diese Leute sind alle gefährlich!“
 
 
Endlich kamen sie an die letzte Thür und der Pförtner sprach:
 
„Du kannst nur getrost hier hinein gehen. Hier liegt der verwundete Ritter von Tannenburg gefangen. Er ist ein guter, frommer, ehrlicher Mann, und es thut mir leid, daß er hier im Kerker liegen muß.“
 
Rosa zitterte und dachte:
 
„Ach, wenn mein Vater mich jetzt erkennt, ist alles verloren!“
 
Sie mußte doch mit der Laterne hinein gehen, aber sie hielt sie so, daß man ihr Gesicht nicht sehen konnte. Der Pförtner achtete gar nicht auf sie und sagte freundlich:
 
„Nun, Herr Ritter, wie geht es Ihnen heute?“
 
„Mir geht es ziemlich gut, aber Pförtner, sagt mir doch, habt Ihr noch Nichts von meiner Tochter gehört?“
 
„Nein, Herr Ritter, gar Nichts. Der Graf meint, sie sei tot, aber vielleicht ist sie doch entkommen, da man noch keine Spur von ihr gefunden. Herr Ritter, heute noch gehe ich in den Krieg. Meine Magd wird Ihnen Ihr Essen bringen.“
 
Der Ritter sah Rosa an, als er dieses hörte. Er konnte ihr Gesicht nicht deutlich sehen, und das grobe Bauernkleid ließ ihn ein Bauernmädchen darin vermuten. Er sprach gütig:
 
„Armes Kind, es ist doch traurig, daß ein so junges Geschöpf in diesen düsteren Kerker kommen muß. Hast du keine Eltern?“
 
Rosa wollte nicht deutlich antworten, da sie doch fürchtete, daß der Vater ihre Stimme erkennen würde, und sie stammelte etwas von einer toten Mutter.
 
 
Der Ritter sprach noch einige Worte mit dem Pförtner, und dann gingen sie wieder hinaus. Als er die Thür schloß und die Treppen hinauf stieg, sagte der Pförtner noch einmal:
 
„Öffne keine andere Thüre, als die des Ritters von Tannenburg.“
 
Nachdem er das äußere Thor geschlossen, übergab er die Schlüssel der zitternden Rosa, und sagte ernst:
 
„Hier sind die Schlüssel. Wenn du deine Pflicht nicht gut thust und wenn ich die Gefangenen nicht wohl besorgt finde, so wirst du es büßen müssen. Der Graf hat gesagt, daß die Person, welche die Gefangenen besorgt, für sie verantwortlich sein sollte; so gib Acht!“
 
Rosa mußte versprechen, die Gefangenen gut zu hüten, ehe sie die Schlüssel übernahm, aber sie konnte ihre Freude fast nicht verhehlen.
 
Noch an demselben Tage ging der Pförtner mit dem Grafen und dessen Kriegern fort. Die Thore wurden alle geschlossen, die alten Soldaten wurden als Wächter auf die Mauern geschickt, und die schöne, junge Gräfin, ihre Kinder und Diener waren allein im Schlosse.
 
Rosa wartete ungeduldig bis Mitternacht, wusch sich Hände und Gesicht ab, um die braune Farbe los zu sein, schlich barfuß über den Hof, mit Schlüssel und Laterne und ging ganz allein in den Turm. Da war es so finster und das Schreien und Fluchen der Gefangenen so fürchterlich, daß sie vor Schreck zitterte, dennoch ging sie tapfer vorwärts, öffnete die Thür von ihres Vaters Kerker und trat hinein.
 
 
Als der Ritter von Tannenburg das Mädchen allein hereinkommen sah, so in der Mitte der Nacht, fragte er betroffen:
 
„Was ist es, mein Kind? Brennt es?“
 
„Nein, ich bin nur gekommen um Ihnen Nachrichten von Ihrer Tochter zu bringen,“ erwiderte Rosa, die ihr Gesicht noch immer verborgen hielt, und ihre Stimme veränderte.
 
„Oh, sprich schnell!“ rief der Ritter entzückt. „Sage mir, wo ist mein Kind?“
 
„Hier!“ schluchzte Rosa und umarmte schnell ihren Vater, der fast ohnmächtig wurde.
 
Nachdem sie einander umarmt und geküßt, und die erste Freude und Überraschung vorbei war, erzählte Rosa ihrem Vater Alles und rief endlich triumphierend:
 
„Vater, komm, jetzt bist du frei! Hier sind die Schlüssel, komm schnell!“
 
„Ach, Rosa, mein Kind, woran denkst du?“ rief der Ritter. „Das kann ja nicht sein. Du hast mir soeben gesagt, daß du dem Pförtner dein Wort gegeben, die Gefangenen gut zu hüten und jetzt willst du mich befreien? Das kann nicht sein. Mein Kind, ich verlasse diesen Kerker nicht, bis der Graf mir die Freiheit schenkt, oder bis meine Freunde mich erlösen. Dein gegebenes Wort ist heilig, obgleich ich unschuldig gefangen bin.“
 
Rosa bat und weinte vergebens, der Ritter wollte seine Freiheit nicht nehmen, und als es tagte, mußte die traurige Rosa allein hinaufgehen, sich Gesicht und Hände wieder braun färben, Feuer anmachen, und das Frühstück für die Pförtnerin und deren Kinder zubereiten. Dann sprach die Pförtnerin:
 
„Rosa, heute gehe ich mit beiden Kindern in das Dorf hinunter, um meine Mutter zu besuchen. Du sollst das Essen für die Gefangenen besorgen, und dich ausruhen, da du gestern so viel arbeiten mußtest.“
 
Die Pförtnerin ging fort. Rosa machte das Frühstück der Gefangenen bereit, aber sie selbst aß nur eine Schüssel voll Suppe und hob ihr eigenes Frühstück für ihren kranken Vater auf. Dann ging sie mit Korb, Schlüssel und Laterne in den Turm. Sie besorgte die Gefangenen pünktlich, wie es ihr der Pförtner befohlen, und kam zuletzt zu ihrem Vater. Sie erzählte ihm, daß sie einen kleinen Garten zwischen zwei leeren Flügeln im Schloßhof gefunden, wo er ungesehen die frische Luft, die er so nötig hätte, genießen könnte, und endlich bewegte sie ihn, dahin zu gehen.
 
Sie führte ihn ungesehen dahin, ließ ihn im Sonnenschein sitzen, und sprang fort, um seinen Kerker zu reinigen. Den ganzen Tag arbeitete sie, suchte ihren Vater nur auf Augenblicke auf, und als die Sonne unterging, und sie ihn in den Kerker zurückführen mußte, war er erstaunt, die Veränderung zu sehen. Die Wände waren weiß getüncht, das hohe Fenster so klar und rein, daß viel Licht herein kommen konnte, und Alles so rein und frisch, daß der Ort nicht wieder zu erkennen war.
 
Rosa weinte doch, als der Vater noch hartnäckig verweigerte, seine Freiheit anzunehmen, und ging traurig wieder in die Pförtnerwohnung, wo die Pförtnerin bald eintrat.
 
 
Jetzt vergingen wieder viele Tage und da Rosa den Vater nur einige Augenblicke während des Tages sehen konnte, besuchte sie ihn heimlich jede Nacht, um die zwölfte Stunde, obwohl sie immer sehr müde war, da sie den ganzen Tag arbeiten mußte, um die zankende, scheltende Frau zu befriedigen.
 
Sie mußte auch die Kinder hüten, wenn sie im Schloßhof spielten, wo auch die Kinder der Gräfin, unter der Obhut einer Kinderwärterin spielten. Diese verließ sie oft, um auf die Warte zu gehen, und ein wenig mit den Soldaten zu plaudern.
 
Eines Tages, als alle vier Kinder in dem Hofe spielten, kam ein kleiner Vogel, um aus dem großen Eimer, der über dem tiefen Brunnen mitten im Hofe hing, zu trinken. Adalbert, der kleine Sohn des Grafen, sah den Vogel, wollte ihn fangen und sprang schnell auf den Brunnen zu. Da er ganz unbewacht war, kletterte er hinauf, und lehnte sich weit hinüber. Der Vogel entwischte der kleinen, haschenden Hand und flog fort, der Knabe aber verlor das Gleichgewicht und fiel in den Brunnen!
 
Die arme Mutter an ihrem Fenster, die nachlässige Kinderfrau auf dem Turm, sowohl als Rosa, die soeben in den Hof gekommen, um nach den Kindern zu sehen, sahen das Kind fallen. Rosa sprang an den Brunnen, sah hinunter in die Tiefe und entdeckte, daß das Kind nicht in das Wasser gefallen, sondern von einem großen Nagel an seinen Kleidern fest gehalten wurde. Aber das Kleidchen riß schon, und sie sah, daß das Kind verloren wäre, wenn eine rettende Hand nicht sogleich Hülfe brächte. Blitzschnell dachte sie, daß es das Kind ihres Feindes sei, aber zugleich erinnerte sie sich an ihres Vaters Lehren und war entschlossen, ihr Leben zu wagen, um das Kind zu retten.
 
Sie gebot schnell der Kinderfrau, die Seile fest zu halten, sprang selbst in den Eimer, und obgleich sie nicht wußte, ob die Seile reißen würden, rief sie ängstlich:
 
„Laß mich schnell hinunter, sonst ist das Kind verloren!“
 
Die Kinderfrau und der Wächter, der auch herbei geeilt, thaten, wie sie ihnen befahl, und als der letzte Faden des kleinen Rockes eben zerreißen wollte, fing Rosa das erschrockene Kind in ihren Armen auf.
 
„Hinauf! Zieht uns hinauf!“ rief sie und die Beiden zogen den Eimer hinauf.
 
Die angstvolle Mutter am Fenster, die vor Schreck kein Glied rühren konnte, sah den Eimer herauf kommen, und Rosa mit ihrem Kinde darin. Aber alle Gefahr war noch nicht vorbei, denn die Öffnung des Brunnens war sehr weit. Als Rosa das erschrockene Kind dem Kindermädchen reichen wollte, schwankte der Eimer, und wenig fehlte, so wäre sie mit dem Kinde in den Brunnen gestürzt.
 
„Das geht nicht,“ sagte sie mit blassen Lippen. „Nehmt die Stange und schwingt den Eimer ein wenig. Wenn er nahe kommt, nehmt mir das Kind aus dem Arme. Ich muß mit dem anderen die Seile fest halten. Sonst sind wir beide verloren!“
 
 
Die Gräfin sah den schwingenden Eimer, sah, daß die Kinderfrau ihr Kind schnell faßte und auf die Erde stellte, sah Rosa einen Arm um einen der Dachpfeiler werfen und ungefährdet auf den Boden springen, und dann sank sie besinnungslos nieder. Als sie die Augen wieder öffnete, war das gerettete Kind vor ihr. Sie umarmte es laut schluchzend, und fragte nach dem mutigen Mädchen, dem sie das Leben des Kindes verdankte.
 
Aber als die Gräfin ihr ein Geschenk geben wollte, schlug sie es aus.
 
„Ach,“ sagte die schöne Edelfrau, „das ist nur eine Kleinigkeit, mein Kind. Ich kann dich nie genug belohnen. Wenn mein Mann nach Hause kommt, wird er dich ein wenig besser belohnen können. Aber jetzt mußt du den Dienst der Pförtnerin verlassen, zu mir kommen und meine Kinder hüten.“
 
„Ach, nein, gnädige Frau, das kann ich nicht!“ rief Rosa, die gleich dachte: „Wenn ich nicht mehr der Pförtnerin Magd bin, kann ich den Vater nicht mehr sehen!“
 
Doch fügte sie schüchtern hinzu: „Danke, gnädige Frau, aber ich kann die Pförtnerin nicht verlassen, sie hat zu viel zu thun.“
 
Die Gräfin konnte nicht verstehen, wie Rosa sich weigern konnte, den Dienst der Pförtnerin zu verlassen, aber sie bat Rosa vergebens, zu ihr zu kommen. Es kam ihr auch sehr sonderbar vor, daß ein Mädchen mit so groben Kleidern, und so braunen Händen und Gesicht, so fein sprechen konnte, und sie sagte mehrmals zu sich selbst. „In Benehmen und Sprache ist sie so wohl erzogen als ich. Wie kann sie der rohen Pförtnerin dienen?“
 
Rosa mußte die Gräfin jeden Tag besuchen, und da die Gräfin sah, daß sie schöne Früchte, guten Wein und Leckerbissen sehr freudig annahm, gab sie ihr immer etwas Gutes zu essen. „Es ist merkwürdig,“ dachte sie oft, „sie wird immer rot vor Freude, wenn ich ihr so Etwas gebe, und doch ißt sie es nie in meiner Gegenwart.“
 
Eines Tages kam der Wächter früh zu der gnädigen Frau, bat um eine Unterredung unter vier Augen, und erzählte ihr, daß die Magd der Pförtnerin um Mitternacht barfuß durch den Hof gegangen, die Turmthüre geöffnet und lange in dem Kerker geblieben.
 
„Gnädige Frau, sie ist wahrscheinlich die Verlobte eines der Mörder, oder Diebe, die da gefangen sind. Sie hat die Schlüssel und wird sie eines Nachts freilassen. Wir werden alle im Schlafe gemordet werden!“
 
Die Gräfin war sehr erschrocken, als sie dieses hörte, aber sie sagte bald: „Ich habe schon oft mit der Magd der Pförtnerin gesprochen, sie ist ein tugendhaftes Mädchen. Ich bin gewiß, daß sie nie etwas Böses thun wird. Sie hat die Gefangenen schon seit einem Monat allein besorgt; wenn sie sie freilassen wollte, hätte sie es schon längst gethan. Dennoch muß ich erfahren, was diese nächtlichen Besuche bedeuten; wachen Sie unermüdlich, und das nächste Mal, wenn sie nachts in den Turm geht, kommen Sie sogleich hierher. Ich werde dem Mädchen heimlich folgen und sehen, was sie mit den Gefangenen zu thun hat.“
 
 
Der Wächter versprach gut zu wachen, und am folgenden Abend schon rief er die gnädige Frau um Mitternacht. Sie schlich leise in den Turm, folgte Rosa die Treppen hinunter, und die Gänge entlang, und als sie einen Lichtstrom aus der offenen Thür eines Kerkers hervorquellen sah, versteckte sie sich hinter die Thür und lauschte atemlos.
 
„Ach Vater,“ hörte sie Rosa sagen, „du bist doch so krank, deine Wunde ist so schmerzhaft, warum willst du deine Freiheit nicht annehmen? Du weißt ja, daß der Graf kein Recht hatte, dich gefangen zu nehmen. Ich möchte weder ihm noch seiner Familie Böses zufügen. Ja, ich habe mein Leben sogar auf das Spiel gesetzt, um den kleinen Grafen zu retten, obgleich ich mir sagte, daß es dem Grafen recht geschehen würde, wenn er für seine Sünde den Verlust seines Kindes leiden müßte. Ja, mein Vater, ich habe bisweilen so böse Gedanken, aber dann denke ich an die gute Gräfin, die mir diesen Wein und diese Speisen gegeben, die dich allein am Leben erhalten. Aber, Vater, man sagt, daß der Krieg noch lange dauern kann, du wirst sterben, ehe deine Freunde dich erlösen, nimm doch deine Freiheit an!“
 
„Mein Kind,“ erwiderte eine tiefe Stimme, „du hast dem Gefangenwärter dein Wort gegeben, die Gefangenen gut zu bewachen, darum muß ich hier bleiben, obwohl mich das Leben im Kerker tötet. Ich bin der Ritter von Tannenburg; meine Freiheit will ich mit Ehren gewinnen, sonst bleibe ich hier.“
 
Die lauschende Gräfin hatte genug gehört, sie ging leise wieder hinaus, sagte dem Wächter, daß Alles in Ordnung sei und daß er sich um die nächtlichen Besuche der Magd der Pförtnerin nicht mehr bekümmern sollte, und ging zurück in ihre Gemächer.
 
„Ach,“ seufzte sie, „das sind gute, edle Leute! Könnte ich dem kranken Ritter nur die Freiheit geben! Ich darf aber nicht, doch wenn mein Mann zurückkommt, werde ich ihm Alles sagen.“
 
Die Gräfin war jetzt gütiger als zuvor gegen Rosa, gab ihr noch öfter stärkende Speise und Weine, und bewunderte täglich mehr den Mut der edlen Jungfrau, die einer rohen Frau diente, nur um ihrem Vater tägliche Besuche abzustatten.
 
„Ach,“ sagte sie oft, „wäre der Krieg nur vorbei, damit ich die Qual des armen Mädchens enden könnte.“
 
Eines Tages kam endlich ein Bote, mit der fröhlichen Nachricht, daß der Krieg zu Ende sei; daß der Graf binnen zwei Tagen zurückkommen würde, sammt Gefolge und Freunden, und daß ein großes Gastmahl stattfinden solle. Alle waren froh, nur die arme Rosa nicht, denn sie wußte, daß sie mit der Rückkehr des Gefangenwärters die Schlüssel hergeben müsse, und den lieben Vater vielleicht auf längere Zeit nicht mehr sehen würde.
 
An dem Morgen, wo der Ritter erwartet wurde, bemerkte die Gräfin, daß Rosa rotgeweinte Augen hatte, aber sie sagte kein Wort darüber. Bald hörte man den frohen Klang der Trompeten, und der Graf ritt in den Schloßhof, sprang von seinem Pferde, umarmte hastig seine Gemahlin, und hob den Knaben, seinen Liebling, hoch empor. Dann rief er seinen Vasallen und Freunden stolz zu:
 
 
„Seht den Burschen an! er wird bald groß genug sein, mit in den Krieg zu gehen.“
 
Er küßte ihn zärtlich, und fragte:
 
„Ist er immer gesund gewesen während meiner Abwesenheit?“
 
„Ja,“ erwiderte die Gräfin, „aber dennoch hättest du ihn nicht hier gefunden, ohne die Aufopferung und den Mut eines jungen Mädchens, das ihn einem furchtbaren Tode entriß.“
 
„Was sprichst du vom Tode?“ rief der Graf erblassend; und die Frau erzählte ihm flüchtig die Gefahr, in welcher der Knabe gewesen.
 
„Wo ist das Mädchen?“ rief der Graf, „ich muß es sehen, und obgleich alle meine Reichtümer nicht genügen, um es zu belohnen, muß ich ihm meinen Dank aussprechen.“
 
Auf einen Wink der Gräfin wurde Rosa herbei gerufen, und da, in mitten aller seiner Freunde und Vasallen, rief der Graf:
 
„Du bist ein mutiges Mädchen, ich werde dir mein Lebenlang dankbar sein. Meine Frau sagt mir, daß du noch gar keine Belohnung empfangen hast, du sollst haben, was du willst, mein Kind, ich kann der Retterin meines Kindes Nichts versagen, und wäre es die Hälfte meines Vermögens. Sprich, was willst du?“
 
„Gerechtigkeit!“ rief die arme Rosa, ihm zu Füßen fallend. „Sie halten meinen Vater gefangen! Geben Sie ihn frei!“
 
„Dein Vater gefangen? Wie heißt denn dein Vater?“
 
„Ritter von Tannenburg!“ antwortete Rosa zitternd.
 
 
„Ritter von Tannenburg!“ wiederholte der Graf, die Stirne runzelnd, „der soll nie aus dem Kerker kommen. Ich hasse ihn!“
 
„Ach, Herr Graf, Sie haben Ihr Versprechen gegeben!“ rief Rosa ängstlich.
 
„Aber das kann und will ich nicht thun!“ rief der Graf zornig.
 
Seine Freunde flüsterten zusammen und sagten: „Was heißt dies? Tannenburg gefangen? Seine Tochter hier vergebens um seine Freiheit flehend?“ Dann hielten sie plötzlich inne, denn die Gräfin nahm das Wort, erzählte öffentlich ihrem Manne, daß Rosa den Vater selbst hätte befreien können, und daß, wäre der Ritter von Tannenburg nicht ein ehrenhafter Mann gewesen, er das Schloß Fichtenburg in seinen Händen gehabt hätte. Er hätte die Gräfin und ihre zwei Kinder töten, und sich reichlich entschädigen können, für Alles, was man ihm angethan.
 
Dann fiel sie vor ihrem Manne auf die Kniee mit dem kleinen Sohne, der seine Bitten mit den ihrigen vereinte.
 
„Lieber Papa, mache Rosa glücklich. Sie hat den kleinen Adalbert aus dem finsteren Brunnen gerettet.“
 
Die flehenden Stimmen von Rosa, der Gräfin und dem Kleinen, rührten auch die harten Krieger, und sie riefen Alle laut:
 
„Herr Graf, Sie haben Ihr Ehrenwort gegeben. Setzen Sie den Ritter in Freiheit, sonst ...“ fügten einige Stimmen drohend hinzu.
 
 
Aber die Drohung war nicht mehr nötig. Der Graf konnte den Bitten seines Kindes nicht widerstehen und rief gerührt:
 
„Ja, der Ritter von Tannenburg soll frei sein, und da ich nicht an Großmut zurückbleiben möchte, soll er sein Schloß und seine Reichtümer alle zurückhaben. Kerkermeister, gehen Sie und befreien Sie den Ritter!“
 
„Nein!“ rief seine Frau, „das soll seine liebende Tochter, das gnädige Fräulein von Tannenburg, selbst thun. Aber zuerst kommen Sie mit mir, mein Kind,“ fügte die Gräfin hinzu.
 
Sie führte die glückliche Rosa in ihr Gemach, half ihr Gesicht und Hände von der braunen Farbe befreien; zog ihr ein schönes, weißes Atlaskleid an, und nachdem sie so ihres Standes würdig geschmückt war, führte sie sie in den großen Saal, wo alle Ritter über ihre Schönheit erstaunten.
 
Von dem Grafen begleitet, ging Rosa zum letztenmal in den Kerker, öffnete die Thüre, und rief vor Freude schluchzend:
 
„Vater, lieber Vater, du bist frei!“
 
Erst nach einiger Zeit sah sie, daß ihr Vater auch reich angezogen war; und der Graf sagte:
 
„Mein gnädiges Fräulein, einige Freunde sind hierher gekommen, um Ihren Vater auf seine Erlösung vorzubereiten, denn sie fürchteten, daß die plötzliche Freude ihm schädlich sein würde, da er noch so schwach ist.
 
„Aber jetzt, Tannenburg,“ fügte er hinzu, „müssen Sie mir verzeihen. Ich bin ein ehrloser Mensch gewesen, aber wenn Sie mich wieder als Freund annehmen wollen, werden Sie sehen, daß ich Sie für Alles entschädigen werde.“
 
 
Der Ritter von Tannenburg, der ihn einst innig geliebt, und der ihn gut kannte, reichte ihm freundlich die Hand, und dann gingen sie alle zusammen in den Speisesaal, wo Rosa und ihr Vater rechts und links an der Seite des Hausherrn saßen, und den Gästen ihre Erlebnisse erzählen mußten. Alle bewunderten den Mut des tapferen Mädchens, das tiefe Ehrgefühl des Vaters, die Güte der Gräfin, und die Selbstüberwindung des Grafen.
 
Als die Mahlzeit beinahe zu Ende war, hörte man einen großen Lärm in dem Schloßhof, die Thüren flogen auf, der Sohn des Kaisers trat hastig ein, und rief laut:
 
„Graf von Fichtenburg, der Kaiser befiehlt Ihnen, den Ritter von Tannenburg sogleich aus Verhaft zu lassen, ihm alle seine Güter zurückzugeben, und ihn zu entschädigen, sonst sind Sie des Todes.“
 
Der Graf sprang auf und sprach:
 
„Ich habe den Befehl des Kaisers nicht abgewartet; hier ist der Ritter frei, und ich habe ihm schon versprochen, ihm sein Vermögen zurückzugeben.“
 
Natürlich war des Kaisers Sohn sehr erstaunt. Er ließ sich Alles erzählen, sah die schöne Rosa bewundernd an, und ging wieder an den kaiserlichen Hof zurück, wo er seinem Vater Alles erzählte und hinzufügte:
 
„Vater, Sie haben mich schon mehrmals an das Heiraten gemahnt. Wenn Sie mir das gnädige Fräulein von Tannenburg zur Gemahlin geben können, werde ich sogleich heiraten, wenn es Ihnen beliebt.“
 
 
Der Kaiser war sehr froh, dies zu hören. Er schickte sogleich einen Boten mit einem Heiratsantrag nach Tannenburg, und nach kurzer Zeit wurde Rosa des Prinzen Gemahlin, und später sogar Kaiserin von Deutschland! 
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