Das Haus lag einsam und still, etwas entfernt von der großen Landstraße, die durch das grüne Gezweig der Bäume wie ein silberner Streif hindurchschimmerte. Vorn war ein freier Platz, mit eisernem Geländer eingefaßt, und zierliche Blumenanlagen lachten aus den dunkeln Schatten einiger hohen Kastanien hervor. Hinter dem Hause aber erstreckte sich ein großer Garten, aus dem ein kleines Pförtchen auf das freie Feld führte.
Was war das für ein wunderbarer Garten! Uralte Bäume streckten ihre Häupter trotzig in das klare Himmelsblau und suchten der Sonne den Eingang zu wehren. Aber die goldenen Strahlen schlüpften dennoch durch und glitzerten auf den sauberen Kieswegen und drangen sogar in die duftigen Lauben ein von Jasmin und Nachtviolen, die sich an lebendige Hecken und üppige Weingelände anlehnten. Aber das Schönste war eine silberhelle Fontäne, die versteckt zwischen Trauerweiden in ein kleines Becken von weißen Steinen plätscherte, und wer vorüberging, hörte wohl ihr trauliches Geschwätz, aber konnte sie selbst nicht sehen, bis er näher trat und durch die Zweige schaute[128] und den Wasserstrahl kerzengrade aufsteigen und in tausend blinkenden Stäubchen herabfallen sah. Nicht gar weit davon führte der Weg einen Hügel hinauf, an der einen Seite dicht mit Jasmin umbüscht, auf der Seite nach dem Springbrunnen zu offen, und da war ein Bänkchen aus Baumrinde geschnitzt. Von hier aus sah man auf die Trauerweiden herab, über die der Strahl weit hinaus sich erhob, und in der weiten Ferne zog sich das blaue Gebirg nebelhaft hin, das sich nach und nach mit dem Himmel vereinte und der schönste Rahmen zu dem lieblichen Bilde war.
An dem Rande des Beckens nun lag ganz versteckt ein kleines Beet von Veilchen, von keinem Gärtner gepflanzt. Eine Lücke in den Zweigen ließ etwas breitere Sonnenstrahlen hindurchfallen, und der stäubende Thau des Springbrunnens hatte die schüchternen Pflänzchen erzogen und genährt. Nun standen sie da in ihrer jugendlichen Schönheit, und die Schmetterlinge nur flatterten zu ihnen und kos'ten mit ihnen und flohen bestürzt davon, wenn ein neckendes Wassertröpfchen ihre Flügel getroffen hatte.
Jedes dieser kleinen Blümchen war bewohnt von einem zarten Elfen, dessen Leben innig mit dem seiner Wohnung verknüpft war, und das waren überaus feine Wesen, gar zierlich von Gestalt und Gesicht, und die kleinen Herzen schlugen von lauter Liebe und holdseliger Freundlichkeit. Auch einen König hatten sie, der älter war, als sie Alle,[129] und sein Völkchen weise regierte. Er hatte viel zu thun den ganzen Tag über, und wenn er des Abends sein kleines Haupt mit der goldnen Krone senkte und sich zum Schlafen anschickte, fielen ihm die Augen bald zu. Denn das Völkchen war wohl gutmüthig und folgsam, aber ein wenig lose und lustig, und scherzte gern mit den schönen Schmetterlingen oder den buhlerischen Lüftchen. Das gab nun der König nicht zu, und wenn er auch nicht hindern konnte, daß die jungen Herren kamen, so befahl er doch, daß die Jungfrauen sittsam die Augen niederschlagen und die Jünglinge sich auch stille verhalten sollten.
Der König hatte einen Sohn, dessen Namen ich nicht nennen kann, weil ich ihn nicht weiß; wir wollen ihn also Veilchenprinz nennen. Daß Veilchenprinz schön war, versteht sich von selbst. Sind doch alle Prinzen und Prinzessinnen schön, und wenn sie's nicht sind, ist's wenigstens wider den Respekt, es zu sagen; dann aber wissen wir schon, daß die Veilchenelfen alle sehr schön sind, und so wird der Sohn des Königs wohl keine Ausnahme machen. Außerdem aber war Veilchenprinz in jeder Beziehung höchst ausgezeichnet, und wenn sein Herr Vater einmal gestorben wäre, hätten die Veilchen einen guten König bekommen. Der Alte aber dachte nicht ans Sterben, ließ vielmehr seinen Sohn seine ganze Kraft und Strenge fühlen und hatte immer was an ihm zu hofmeistern. Bald stand er nicht grade, bald war er schlecht frisirt,[130] bald schaute er trüb aus den Augen; und da freute sich denn Veilchenprinz auf die Nacht, wo er unbeaufsichtigt war und hinaufschauen konnte zu den Sternen, die ihn viel freundlicher ansahen, als sein Herr Vater.
Nun wollte dieser ihn mit Gewalt verheirathen, und zwar an eine Cousine, die ziemlich nah mit dem königlichen Hause verwandt war. Veilchenprinz liebte sie nicht und dachte mit Sorgen und Kummer der Zeit, wo er sich nicht mehr mit seiner Jugend würde entschuldigen können. Seine Cousine war zwar auch schön und gut, aber nicht sehr klug und schrecklich langweilig. Denn sie konnte Stunden lang neben ihm stehen und ihn ansehen, ohne ein Wörtchen zu sprechen, und wenn sie etwas hervorbrachte, war es etwas ganz Albernes. Dazu war sie ein wenig eitel und putzsüchtig, und wenn nicht der König auf sie besonders ein scharfes Auge gehabt hätte, so würde sie der bunte Schmetterling noch viel öfter besucht haben, mit dem sie sich Abends in der Dämmerung zuweilen unterhielt. Vielleicht wären sie aber dennoch ein Pärchen geworden, wenn nicht etwas Anderes dazwischen gekommen wäre.