Nun wußte er eine Grotte, darin sollte die stille, weiße Geliebte wohnen. Tiefgrün war es darin von lauter Smaragden, und das Edelgestein leuchtete und funkelte wie von tausend Lampen. Der trotzige Held aber webt und webt, und webt mit seinen Wasserfäden den schönsten Brautschleier von kostbaren Spitzen, und er hängt das duftige zarte Gewebe, so hoch, so fein, rund im Halbkreis vor das smaragdene Wasserschloß, daß niemand seine Heimlichkeit störe, keiner seine weiße Braut, zu deren Füßen er ruht, ihm rauben könne. Sie aber spielt in seinen langen Haaren, küßt seinen roten Mund, legt ihr Köpfchen an seine breite Brust – aber immer wieder fragt sie: Wo ist die Sonne? die goldene Sonne?
Und eines Tages, als er fern ist, da wird die Sehnsucht nach dem Licht so mächtig in ihr, daß sie der Wasserkobolde und neckischen Nixen vergißt, die draußen ihr Wesen treiben und die Spitzenschleier immer wieder erneuern und verdichten. Ganz nahe tritt sie heran an die zauberischen Vorhänge – wie hell, wie licht es da ist; sie rückt ein wenig daran, sie lüpft ein zartes Eckchen. – Siehe, da über den wogenden Wasserdünsten steht die Sonne, ihre Sonne in strahlender Pracht – und die Arme sehnsüchtig ihr entgegenbreitend, sinkt das Waldkind, eingehüllt in die Brautschleier, zur tosenden, unbarmherzigen Tiefe nieder. Wie ein leuchtender Strahl fliegt es an dem Trotzigen vorbei, der seine starken Glieder im wildesten Flutengetos kühlt, und da vor ihm, da im Strudel treibt der weiße, weiche Leib seiner stillen Waldlilie. – Es überkommt ihn ein großer Zorn. Brüllend vor Schmerz und Wut, daß es wie Donner grollt, wirft er die Wasser gen Himmel, damit ihr Schaum, ihr wilder Gischt die Sonne, die verhaßte, verdecke. So steht er im Strudel und rast und trotzt gen Himmel. Er sendet seine Fluten auf zu der Insel, wo seine Waldlilie wuchs; sie zerren und wühlen an dem Gestein, ein Stück nach dem andern sinkt in die Tiefe und ein höhnender Schrei gellt von Welle zu Welle, wenn ein Baum mit hinabgerissen wird und hülflos in den Fluten treibt. Oben in den Wipfeln der Bäume aber rauscht eine wehmütige Klage um die Waldlilie, die an der Sonnensehnsucht verging.
Doch die wundersamen Spitzenschleier, die das Brautgemach bargen, wallen immer noch nieder vor dem smaragdenen Schloß und verhüllen in zarter Weiße seine erbarmungslose Leere. Die goldene Sonne aber taucht ihre Strahlen tief in das Wassergebrodel, läßt sie niedergleiten an den Schleiern, als suche sie die, die aus Sehnsucht nach dem Lichte gestorben ist; und die Strahlen bauen von Tag zu Tag eine wunderleuchtende Brücke hinauf, hinauf zur Sonne.
Da endete das Märchen und es breitete seine Arme aus nach den fallenden Wassern. Ein leises, wehmütiges Klingen zog herüber von den Inseln der drei Schwestern.
Das Märchen erhob sich, flog mit breiten, weißen Mövenflügeln hin über die Fluten, die wild aufschäumten und es haschen wollten. Aber sie netzten nur seine Füße. Und mit leisem Gekicher kreiste es über meinem Haupte – mein verlorenes und wiedergefundenes Märchen – an den fallenden Wassern des Niagara.