Einst lag die Welt schön und gut vor mir, einst hatte ich Lebensmut, Lebenslust, einst habe ich gekämpft, gestritten, gerungen – und nun? Nun bin ich müde und möchte schlafen!« – –
Die starken, trotzigen Glieder sinken zusammen, und das starke Haupt stützt sich schwer auf den kraftvollen Arm.
Es nahen sich zwei schlanke, schöne Jünglingsgestalten, eng aneinander geschmiegt, die Arme verschlungen, und ein mildes Licht strahlt von ihnen aus. Da legt der eine ernst und leise die Hand auf die müde Stirn des Herkules –
»Schlaf',« sagte er sanft.
Da senkt der andere still die brennende Fackel zur Erde, daß sie erlischt –
»Ewig,« lächelt er.
Und voller Ehrfurcht beugt das lustige Göttervolk das Knie und huldigt dem Toten. –
Liebliches Klingen, Singen, Getöne – ein wunderbar Leuchten, hell, sanft und mild –
Da schwebt etwas die Treppe hernieder, zartduftig, schimmernd in weißer Pracht – himmlisch lieblich, lebensvoll schön – Ach, ich sinke in die Kniee und blicke zagend zu der göttlichen Gestalt der Medicäerin empor, denn sie ist es – Sie kommt zu mir, sie tritt vor mich hin, und ein wundersames Schauern durchbebt mir Kopf und Herz. Sie neigt ihr holdseliges Antlitz zu mir, und sie küßt mich auf den Mund, es rinnt wie Feuer durch meine Glieder. Neben ihr steht ein schöner Jüngling, dem strahlen viele kostbare Gedanken von der weißen Stirn. Er sieht mich an, ernst und voll kindlicher Weisheit, und spannt seinen Bogen und zielt gut – denn der Pfeil dringt mir mitten ins Herz hinein. Und dann – bin ich es noch? Lebe ich? Mir ist's so groß ums Herz – Sieh', meine Hände! Durchsichtig klar sind sie, und mein Körper schimmert, wie die der Marmorgestalten – Ach, meine Glieder zittern – –
Da faßt Aphrodite mich an der Hand und führt mich den Uebrigen entgegen – Und Hermes lächelt zu mir: »Psyche, bist Du erstanden?«
Jubelnd begrüßen mich alle, alle – und sie heben mich empor zu Nike, der Göttin des Sieges, und ich schmiege mich an ihren schönen Körper, der kein Haupt mehr auf ihren Schultern trägt.
Du schwebst zwischen Himmel und Erde, o hehre Göttin! Thörichte Menschen schlugen Dir Dein stolzes Haupt ab, engherzige, fromme, nicht denkende Menschen. Sie sagten: Du dürftest Dein Haupt nicht erheben, mit Deiner freudigen Stimme die Menschen nicht begeistern, auf daß sie stumpfsinnig würden, wie jene selber. Ach, Du Göttin, Deine ganze Gestalt, Deine verstümmelten Arme, Deine stolzen Füße, die leisesten Falten Deines Gewandes – Alles spricht Sieg! Sieg über die Finsternis, die Kleinheit, über freche Gewalt, und fromme Erbärmlichkeit.
Und sieh', in Deinen Armen hältst Du Psyche, die Seele, die Ewigkeit – und weit hinaus ragt Ihr, über alles herrscht Ihr, über Götter und Menschen!« – –
Da, Licht! Es fällt durch die Fenster – es wird Tag – –
Tiefe Stille – – Und ich fahre mit eisiger Hand über meine heiße Stirn – – und da stehe ich – ein armes, sterbliches Kind des nüchternen, kühlen, praktischen neunzehnten Jahrhunderts.