»Weißt Du, warum gerade jetzt? Willst Du es wissen?«
Sie blickt um sich und klatscht in die Hände. Und siehe – ein wunderlicher Geselle kommt gehüpft, getollt, gesprungen: nackt ist er und zart von Gliedern, mit schelmischem Mund und ernsthaften Augen, einen Bogen trägt er in der Hand und einen Köcher mit Pfeilen an der Hüfte. – Sah ihn das Sonntagskind nicht dort im Syringengebüsch auf einer Säule stehen?
Doch nun – einen Purzelbaum schlägt er auf dem weichen Gras und ist zum eisgrauen Männlein geworden, das lustig mit den Aeuglein zwinkert und allerlei Kapriolen macht, und plötzlich schwebt er in der Luft, so fein und zart, als sei er aus Mondenschein gewebt, als sei er auf Blumen geboren, als sei er mit Tautropfen genährt. Und nun wieder trottelt er daher wie ein kleiner Brummbär und schlägt mit einer Keule um sich, daß die Nixchen und Elflein entsetzt zur Seite weichen.
»O, laß die Possen, Du närrischer Kauz,« lächelt Frau Phantasie, »nimm Deine wahre Gestalt an, mein Gesell« – da klingelt's wie von silbernen Glöckchen, die trägt das wunderliche Kerlchen an seiner Schellenkappe auf dem Haupte, und legt sein Gesicht in ernsthaft-drollige Falten, hängt seinen Bogen über den Rücken, als gebrauche er ihn nicht mehr, und schreitet umher mit gravitätischen Schritten.
»Ist das Deine wahre Gestalt?« Frau Phantasie schüttelt das schöne Haupt ... »nun, sei es drum. Sieh',« sagt sie zum Sonntagskind gewandt, »den Mittler zwischen mir und den Menschen. Nenne ihn Amor, Puck, Geist, wie Du willst; kannst ihn auch Humor heißen, das hört er am liebsten. Geh' mit ihm – die Welt soll er Dir zeigen, wie sie uns Göttern erscheint. An seiner Hand wird es Dich weniger schmerzen.«
Sie gleitet dahin wie der Mondesstrahl, die hehre Königin, und ihr nach durch Busch und Zweig, über Blumen und Moos huscht das lose Volk, Leuchtkäfern gleich, die in Abendluft baden, und in der Ferne tönt neckisch Gelache. –
»Komm',« sagt der närrische Geselle, und schüttelt seine Kappe, daß die Glöckchen klingen, »reich' mir Deine Hand, armes Sonntagskind. Hab Dich schon gesehen draußen in der Welt, wie Du über Steine gestolpert bist und in Pfützen getreten hast. Ja, es ist immer sicherer, auf den hübsch ausgetretenen Pfaden der Alltäglichkeit zu wandeln, als seinen eigenen Weg gehen zu wollen. Hast Dich zur rechten Zeit in meiner Mutter Phantasie Garten gerettet, sonst hättest Du Dir sicher noch einmal an irgend einem Weltgitter Kopf und Herz eingerannt, Du dummes Sonntagskind, Du. – Also ich soll Dir zeigen, wie es in der Welt eigentlich aussieht. Wohl kann ich Dir's erklären, denn ich treibe mich viel draußen herum. Einige in der Welt schwärmen für mich, andere sagen, ich sei ein wahrer Teufel. Wenn ich mit der Schellenkappe klingele, verstehen mich die Wenigsten; da muß ich oft schon mit der Plumpkeule dreinschlagen, und dann schreien sie und sagen, ich hätte ihnen weh gethan. – Komisches Volk, diese Menschen!«
Jetzt sind sie am Ende des Gartens angelangt. Eine hohe Mauer scheidet ihn von der Außenwelt; an der ranken sich wilder Wein und Epheu, und blaue Clematis hängen hernieder und rote Trompetenblumen, so dicht, daß man von den rauhen Steinen nichts gewahr wird, wie nur die runden Glasfensterchen, die hie und da in die Quadern eingefügt sind.