Alpakawolle

Paula stieg aus dem Bus, in dem sie die letzten Stunden verbracht hat. Sie streckte Arme und Beine, die schon seit einer ganzen Weile schmerzten. Endlich konnte sie sich wieder richtig bewegen. Sie hoffte nur, dass es die lange Fahrt und die ganzen Strapazen wert war, hierher zu kommen.

Wenige hundert Meter vor den Toren des kleinen südamerikanischen Bergdorfes, in dem sie angekommen war, stand eine alte Frau auf einer Wiese. Sie schien auf etwas zu warten.

»Das muss sie sein.« Paula ging zu ihr. »Bist du Maria?«

Die Alte drehte sich um und musterte die junge Frau. »Paula?« Erfreut zog sie ein Handy aus der Tasche und zeigte eine Nachricht vor, die Paula nur zu gut kannte. Sie hatte sie vor der Abfahrt selbst geschrieben.

»Ich freue mich so sehr, dass ich es geschafft habe. Bin ich noch rechtzeitig gekommen? Der Bus hat sich leider nicht an den Fahrplan gehalten.«

Maria lächelte. »Willkommen in meiner Welt. Hier gibt es keinen unnötigen Stress. Wir leben hier ganz anders als in deinem Land. Ich habe auf dich gewartet. Möchtest du beginnen?«

Paula nickte begeistert. Sie konnte es kaum noch erwarten.

»Blas hier hinein. Das ist das Startsignal.« Maria hatte eine Pfeife aus ihrer Tasche geholt, die sie ihrer Besucherin gab. Paula blies hinein. Der schrille Ton musste bis weit ins Tal hinab zu hören sein.

In der Ferne setzten sich mehrere weiße Punkte in Bewegung, die schnell näher kamen. »Da sind sie.« Paula war so ergriffen von diesem Moment, dass sie nur noch flüsternd konnte. Sie bebte am ganzen Körper, bis ihre Hände auf dem Rücken eines Alpakas ruhten.

»Das habe ich mir schon so lange gewünscht. Ich wollte einmal in meinem Leben diese tollen Tiere dort besuchen, von wo sie ursprünglich stammen.« Sie strich über das zuckerwatteweiche Fell, schnupperte den Duft des Alpakas und konnte sich in diesem Moment nichts Schöneres vorstellen.

»Dann machen wir uns mal an die Arbeit.« Maria öffnete eine Kiste, die am Boden neben ihr stand und holte zwei große Scheren daraus hervor. »Es ist Zeit, sie zu scheren. Das Fell ist schon viel zu lang.«

Begeistert nahm Paula die Schere. Nachdem sie in ihrem Beruf als Schäferin schon oft ihre eigenen Tiere geschoren hatte, durfte sie sich nun endlich diesen ganz großen Wunsch erfüllen. Gemeinsam befreiten sie die Alpakaherde vom Fell und legten es sorgsam auf einen Haufen.

»Was machst du eigentlich mit der ganzen Wolle? Bringst du sie ins Tal und verkaufst sie in der Stadt?«

Maria begann zu lachen und schüttelte den Kopf. »Nein. Die wird hier oben auf dem Berg viel dringender gebraucht. Ich stricke damit Pullover für meine Alpakas.«

Paula sah die alte Frau ungläubig an. »Pullover für die Alpakas? Aber wieso das denn?«

»Na überleg doch mal. Hier oben wird es in der Nacht so kalt, dass die Alpakas ohne ihr Fell zu frieren beginnen. Sie brauchen die Pullover viel mehr als die Menschen in der Stadt.«