»Wer braucht denn schon Buchstaben? Lesen und Schreiben ist so unnötig. Das ist reine Zeitverschwendung. Ich habe Bedienstete, die mir alles schreiben und vorlesen können.«
Die Prinzessin saß im Schulraum des Schlosses und blickte ihren Lehrer gelangweilt an. »Bringe er mir lieber etwas Interessanteres bei. Ich möchte wissen, wie man einen hübschen Prinzen kennenlernt, was die neueste Mode am Pariser Hof ist und wie man für die eigene Hochzeit eine möglichst große Mitgift bekommt. Das sind die Themen, die eine Prinzessin wirklich wissen muss.«
Der Lehrer schüttelte den Kopf und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. »Damit kann ich euch nun wirklich nicht dienen.«
Die Prinzessin stand auf. Dann verschwende ich hier meine Zeit. Ich werde jetzt zu meinem Vater gehen. Es ist Zeit für das Mittagsmahl.«
Wenige Minuten später saß sie dem König gegenüber. Als ersten Gang gab es Suppe. Doch anders als üblich, hatten die Nudeln darin eine besondere Form. Es handelte sich nämlich um eine Buchstabensuppe. Mehrere Buchstaben lagen in einer Reihe auf dem Tellerrand. Die Prinzessin blickte darauf, verstand aber nicht, was dort geschrieben war.
»Diener!« Sie winkte dem Mann an der Tür. »Komme er zu mir und lese er mir vor, was hier steht.« Doch der Diener kam nicht.
»Ich habe euch zu mir gebeten. Warum bewegt er sich nicht endlich? Ich befehle euch, mir diesen Nudeltext vorzulesen.«
Wieder blieb der Diener, wo er war, was die Prinzessin wütend machte. Stattdessen stand nun der König auf und schritt langsam zu seiner Tochter.
»Wenn ihr Lesen und Schreiben gelernt hättet, wie ich es euch aufgetragen habe, mein liebes Kind, dann könntet ihr diese zwei kurzen, von mir gedichteten Verse ohne Probleme lesen.«
Er beugte sich vor und fuhr mit den Fingern über die Nudeln. »Lesen und Schreiben, das weiß jedes Kind, lernt man mit gutem Willen ganz geschwind.«
Die Prinzessin verdrehte die Augen. »Ja, ich hab es verstanden. Morgen gehe ich wieder in die Schule und werde Lesen und Schreiben lernen.«