"Ich bin aber schon groß, und die anderen Kinder dürfen auch vom Kindergarten allein nach Hause gehen!", stampfte die mittlerweile 5jährige Lea trotzig mit dem Fuß auf. "Ja, das mag ja sein, aber die müssen auch nicht alle über eine stark befahrene Straße gehen!", antwortete ihre Mutter geduldig."
"Ich kann aber die Ampel, das habe ich dir schon gezeigt", blieb die Kleine stur.
"Na, gut, ich werde auf der anderen Straßenseite auf dich warten. Aber hinbringen werde ich dich noch dürfen?", schmunzelte Fr. Trotzki. "Wenn es sein muss."
Lea war nicht begeistert. Schnell packte ihre Mutter die Tasche mit Butterbrot und etwas zu Trinken, half ihrer Tochter in den Anorak und schnappte sich ihre eigene Jacke. Auf dem Weg plapperte Lea munter von ihren gestrigen Erlebnissen und was sie für heute geplant hatten. An der Ampel blieb sie stehen, drückte den Knopf und wartete darauf, dass sich ein grünes Männchen zeigte, dann ging sie an der Hand der Mutter auf die andere Straßenseite.
"Siehst du, kein Problem ...!"
"Ja, ich weiß, dass du die Ampel kennst, aber es gibt auch Autofahrer ... .manchmal ... und dann fahren die einfach bei Rot drüber, also, was ich meine,
bitte sei trotzdem vorsichtig und schau rechts und links, bevor du gehst, auch wenn deine Ampel grün zeigt!"
"Aber das dürfen die doch nicht!", warf Lea ein. "Das stimmt, aber es kommt eben manchmal vor ... bitte, denk immer daran!"
"Ja, ja, bis nachher dann, aber du weißt ... auf der anderen Straßenseite warten!"
Nachdem die Mutter zu Hause angekommen war, rief sie im Kindergarten an und klärte mit Fr. Wuttke, der Erzieherin, die Sachlage, dass Lea allein losgehen durfte.
Der Vormittag verging recht schnell und bald wurde es Zeit für Fr. Trotzki zu gehen. Wie immer war sie etwa 10 Minuten zu früh an der verabredeten Stelle und so wartete sie leicht angespannt auf ihre Tochter. Schon ein paar Minuten später sah sie die ersten Mütter die kleineren Kinder abholen und dann kamen auch die größeren Kinder aus der Tür heraus.
Lea winkte und ging auf die Ampel zu. Ein Bus hielt links von ihr vor der roten Ampel, denn die Fußgängerampel schlug nach Leas Druck auf den Knopf sofort um. Lea ging an dem Bus vorbei, aber vergaß natürlich rechts und links zu schauen, das grüne Männchen machte sie einfach zu sicher. In diesem Moment sah Fr. Trotzki von rechts einen VW-Bus mit hoher Geschwindigkeit auf die rote Ampel zufahren. "Der wird doch nicht ...", dachte sie noch erschreckt und wollte Lea warnen, doch die ging weiter, dachte wohl, dass die Mutter ihr zuwinken würde und lächelte. Fr. Trotzki blieb fast das Herz stehen. In diesem Moment hupte der Busfahrer aus dem stehenden Bus und Lea blieb stehen und drehte sich zu ihm herum.
Der VW-Bus fuhr tatsächlich bei Rot über die Ampel. Fr. Trotzki machte vor Angst die Augen zu. Als sie sie wieder öffnete, war der Busfahrer aus seinem Bus gesprungen und hob Lea von der Strasse. Vor Schreck war Lea nämlich rückwärts zurückgestolpert und hatte sich beim Fallen das Knie aufgeschürft. Sie schnüffte ein wenig, aber weinte nicht. Ihre Mutter nahm sie aus den Armen des Busfahrers und drückte sie an sich. "Danke", sagte sie," ich weiß nicht, was ohne Sie passiert wäre." Der Busfahrer lächelte und sagte: "Ich sah ihn im Rückspiegel und Rufen hätte nichts gebracht, denn ich kannte ja ihren Namen nicht ... . und Kinder sind ja glücklicherweise so neugierig. Ich bin froh, dass die Sache so gut verlaufen ist, wer weiß, was sonst passiert wäre ... . Haben sie gesehen, von der gegenüber liegenden Straßenseite hat ein Wagen gedreht und ist hinter dem VW-Bus hergefahren, ich habe bereits über Funk die Polizei verständigt ... . na, ich würde dem sofort den Führerschein entziehen."
"Sagen Sie mir noch ihren Namen?", fragte Fr. Trotzki. "Bernd Trapis ... so ich muss leider!"
"Mutsch ... Mutsch!", meldete sich nun Lea, die sich soweit von ihrem Schreck erholt hatte, "sehen so Schutzengel aus?"
"Ja", erwiderte diese erleichtert, "so sehen Schutzengel aus!" und nahm sich vor Bernd Trapis jedes Jahr an diesem Datum eine Kleinigkeit als Dankeschön vorbei zu bringen.