Landung der Wilden. – Die beiden Schlachtopfer. – Der Flüchtling und sein Beschützer. – Reste des Kannibalenschmauses. – Freitags Dankbarkeit. – Seine Ausstattung. – Erste Sprechstudien. – Freitag als Koch und Bäckerlehrling. – Nachrichten über die Nachbarländer. – Die Kariben und ihre religiösen Anschauungen.
Auf die beschriebene Weise mochten weitere anderthalb Jahre verstrichen sein, als ich eines Morgens noch in der Dämmerzeit fünf Kanoes bemerkte, welche dicht nebeneinander und in der Richtung nach meiner Wohnung an der Küste gelandet waren. Eine solche Zahl machte mich stutzig, ich wußte, daß sich gewöhnlich fünf bis sechs Mann in einem Boote befanden, und es erschien mir deshalb ein verzweifeltes Wagestück, allein vielleicht ihrer dreißig angreifen zu sollen. Mit Besorgnissen erfüllt, zog ich mich daher hinter meine Festungswälle zurück. Hier traf ich die nötigen Anstalten, jedem feindlichen Besuch gebührend zu begegnen.
Nachdem ich geraume Zeit vergeblich auf die Ankunft der Gäste gewartet, wollte ich um jeden Preis wissen, was in meinem Inselkönigreich vorgehe. Mein Gewehr legte ich am Fuße der Leiter nieder; gleich nachher war ich selbst mit zwei Sätzen auf dem Gipfel des Hügels. Hier gewahrte ich durch mein Fernglas gegen 30 Wilde, die unter den seltsamsten Gebärden um ein Feuer tanzten. Darauf sah ich, wie man zwei Unglückliche aus den Kanoes herbeischleppte, um sie zu schlachten. Der eine von ihnen stürzte sogleich zu Boden, wahrscheinlich durch eine Keule getötet; in wilder Hast fielen zwei oder drei von den Kannibalen über ihn her und schnitten ihn in Stücke, während das andre Opfer ein gleiches Schicksal erwartete. Plötzlich erwachte in dem Unglücklichen die Lust zum Leben; er ergriff die Flucht und rannte mit unglaublicher Schnelligkeit am Ufer hin, gerade auf meine Burg zu. Ich war auf den Tod erschrocken, als ich ihn diese Richtung einschlagen sah, zumal ein Trupp ihm alsbald nachsetzte. Ich rührte mich nicht und schöpfte erst dann frischen Mut, als ich bemerkte, daß nur noch drei Männer dem Flüchtling folgten, der unterdessen einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen hatte.
Zwischen ihnen und meiner Festung lag die Bai, deren ich öfter schon erwähnt habe. Wollte der Flüchtling seinen Verfolgern entrinnen, so mußte er diesen Meeresarm durchschwimmen. In der That warf er sich ohne Zaudern in die Flut und gewann das andre Ufer. Er erkletterte behende das Gestade und setzte seine Flucht mit gutem Erfolge fort. Als die drei Verfolger an das Wasser kamen, kehrte einer bedächtlich um und begab sich zu seinen schmausenden Gefährten zurück; die beiden andern dagegen schwammen dem Flüchtling nach, brauchten aber noch einmal so viel Zeit dazu.
Jetzt schien der Augenblick gekommen, wo mein Traum sich erfüllen konnte. Ich hielt mich von der Vorsehung geradezu für berufen, dem Verfolgten zu Hilfe zu kommen. Rasch stieg ich von meiner Warte herab, nahm die beiden Gewehre, die ich am Fuße der Leiter gelassen, und eilte dem Meere zu, indem ich einen kürzeren Weg einschlug. Bald befand ich mich denn auch zwischen dem Entflohenen und den Verfolgern. Jenen rief ich laut an, allein der Arme erschrak fast noch mehr über mich, als er sich vor seinen Feinden fürchtete. Ich machte ihm deshalb mit der Hand ein Zeichen, zu mir zu kommen, und wandte mich sodann gegen die Verfolger, stürzte mich auf den Vordersten und schmetterte ihn mit einem Kolbenschlage zu Boden. Der Gefährte des Erschlagenen blieb entsetzt stehen; als ich mich aber ihm nahte, griff er nach Bogen und Pfeil, um auf mich zu schießen. Ich kam ihm indes flugs zuvor und streckte ihn durch einen Flintenschuß nieder.
Knall, Feuer und Rauch machten den armen geretteten Schwarzen so bestürzt, daß er wie angewurzelt stehen blieb. Unschlüssig, was zu thun sei, schien er mehr geneigt, weiter zu fliehen, als sich mir zu nähern. Wiederholt winkte ich ihm mit der Hand, zu mir heranzukommen. Er mochte meine Zeichensprache verstehen, that auch einige Schritte vorwärts, hierauf stand er wieder etwas still, kam dann etwas näher, hielt hernach aber von neuem inne. Ich fuhr jedoch fort, ihm zuzuwinken und ihm durch freundliche Gebärden seine Todesangst zu benehmen. Dies bewog ihn, sich allmählich zu nähern, aber wiederholt kniete er nieder, um mir seine Unterwürfigkeit auszudrücken. Endlich kam er zu mir heran, legte sich nieder, küßte die Erde, ergriff meinen rechten Fuß und setzte ihn auf seinen Kopf. Vermutlich wollte er mir dadurch zu verstehen geben, daß er von diesem Augenblicke an mein Sklave sei. Ich richtete ihn auf, sah ihn freundlich an und that alles mögliche, um ihm Mut einzuflößen.
Robinson findet Freitag.
Währenddessen war der Wilde, den ich erschlagen zu haben glaubte, wieder zu sich gekommen und fing an, sich zu regen. Ich machte meinen Schützling darauf aufmerksam. Derselbe richtete hierauf an seinen Verfolger einige Worte, die mir aber seit 25 Jahren nicht mehr gehörte liebliche Laute waren, kamen sie doch aus dem Munde eines Menschen. Jetzt war jedoch keine Zeit, sich Betrachtungen zu überlassen, der Verwundete stand bereits im Begriff, sich wiederzuerheben. Deshalb legte ich auf ihn an, um ihn niederzuschießen, allein mein Schützling gab mir durch Zeichen zu verstehen, daß ich ihm den Säbel, der an meiner Seite hing, überlassen möge. Ich reichte ihm die Waffe, und mit Blitzesschnelle stürzte er mit derselben auf seinen Feind los und hieb ihm mit einem einzigen Streiche den Kopf vom Rumpfe ab. Mittels dieses Meisterstücks schien er sich bei mir in Achtung setzen zu wollen, denn er wandte sich triumphierend mir zu, lachend und allerhand mir unverständliche Bewegungen ausführend, und legte Kopf und Degen mir zu Füßen.
Was ihn aber am meisten in Erstaunen und in schreckhafte Bewegungen versetzte, war der Umstand, daß ich den einen seiner Verfolger aus weiter Entfernung niedergestreckt hatte. Er ließ mich seine Empfindungen durch Zeichen erraten und schien um die Erlaubnis bitten zu wollen, sich überzeugen zu dürfen, ob sein Feind wirklich tot sei, was ich ihm nicht verwehrte. Als er vor dem Leichnam stand, betrachtete er ihn mit großer Verwunderung, wendete ihn dann bald auf die eine, bald auf die andre Seite und untersuchte die Wunde, aus der nur wenig Blut floß, denn die Kugel war tief in die Brust eingedrungen und das Blut hatte sich nach innen ergossen. Nach dieser Leichenschau kam mein Wilder mit Bogen und Pfeilen des Getöteten wieder zurück, und da ich jetzt heimgehen wollte, gab ich ihm zu verstehen, mir zu folgen. Er aber, als echter Sohn der Wildnis, war vorsichtiger als ich und deutete mir durch Zeichen an, wir möchten die Toten in den Sand eingraben, damit deren Genossen sie nicht so leicht finden konnten. Damit stimmte ich vollständig überein, und nach Verlauf einer Viertelstunde waren die beiden Kannibalen in die Erde eingescharrt.
Noch wußte ich nicht, wohin ich den Wilden bringen sollte. Meinem Traume gemäß hätte ich ihn nach meiner Burg führen müssen, doch besser schien es, mit ihm nach der Grotte, zu dem von meiner Hauptwohnung entferntesten Teile der Insel, zu gehen. Dort gab ich ihm Brot, Rosinen und frisches Wasser, was ihm trefflich mundete. Alsdann wies ich ihm eine Schütte Reisstroh zum Lager an und gab ihm dazu noch eine Decke. Bald war er ruhig eingeschlafen.