Während dieses zweiten Schlafes hatte ich einen fürchterlichen Traum. Mir war es, als säße ich außerhalb der Umzäunung auf dem Boden an der Stelle, wo ich dem Ausgange des Erdbebens entgegensah. Da stieg aus einer großen grauschwarzen Wolke ein Riese herunter, den leuchtende, mich brennende Flammen umgaben. Lange schlängelnde Blitze durchzuckten die Luft, und als seine Füße den Erdboden berührten, erbebte die Erde in ihren innersten Grundfesten. Er schwang einen langen Speer, den er in der Hand trug, gegen mich und sprach mit drohender Donnerstimme: »Da so viele Warnungen dich nicht zur Reue erweckt haben, so stirb jetzt, Elender, von meiner Lanze durchbohrt!«
Robinson, von Reue erfüllt.
Bei diesen Worten schreckte ich aus meinem Traume auf, und noch lange Zeit nach meinem Erwachen konnte ich mich kaum überzeugen, daß alles nur ein Traum gewesen sei.
Leider hatten die Worte dieser nächtlichen Erscheinung nur Wahrheit ausgesprochen, denn ich war ein gefühlloser Mensch, der eigentlich gar keine Gottesfurcht empfand. Die guten Lehren meines Vaters waren längst während der acht Jahre vergessen, in denen ich fast nur mit gottlosen Leuten verkehrt hatte. Niemals hatte ich daran gedacht, das Mißgeschick, das mich in so vielfachen Gestalten traf, als eine gerechte Strafe des Himmels anzusehen. Solange ich in Afrika als Gefangener lebte, hatte ich mich kaum ein einziges Mal an Gott um Beistand gewendet, auch dann nicht, als ich mit Xury den gefahrvollen Fluchtversuch ausführte. Als ich hierauf von dem portugiesischen Kapitän aufgenommen ward, regte sich kein Gefühl der Dankbarkeit für eine so wunderbare Rettung. Ja, als ich später nackt und hilflos auf dieses Eiland geworfen wurde, fühlte ich nicht einmal Reue über die Verhärtung meines Gewissens, sondern hatte nur Klagen darüber, daß ich zu nichts als zum Unglück auf der Erde bestimmt sei.
Zwar regten sich damals, als ich mich gerettet aus Sturmesfluten und wohlbehalten auf der Insel wiederfand, Gefühle in mir, die einem Danke für Gottes Güte gleichen mochten; allein sie endeten nur als Äußerungen der Freude, Gefühle des wechselnden Augenblicks. Ich dachte nur daran, mich gegen den Hunger zu schützen, und trug lediglich Sorge für meinen Unterhalt und um meine Verteidigung.
Nur vorübergehend hatte die Entdeckung des aufsprossenden Getreides mein Gemüt dankbar gestimmt; ebenso vorübergehend nur war ich durch die Furchtbarkeit des Erdbebens an Gottes Allmacht gemahnt worden. Erst die Heftigkeit des Fiebers, die ganze Hilflosigkeit meiner Lage preßten mir Thränen aus und riefen die Stimme meines Gewissens wach. »Jetzt«, sagte ich mir, »jetzt ist die Prophezeiung deines Vaters in Erfüllung gegangen; niemand ist um mich, der mir Trost und Beistand gewähren könnte. O meine guten Eltern, hätte ich doch eure Ermahnungen beachtet und der Heimat nicht lebewohl gesagt. O Gott, bei dem da ist alle Kraft und alle Barmherzigkeit, verlaß mich nicht, denn mein Elend ist groß!«
So betete ich nach langer Zeit inbrünstig zum erstenmal. Nachher ließ der Fieberanfall nach, obgleich der Traum der vergangenen Nacht noch lange einen großen Schreck in mir zurückließ.
Ein Viertelstündchen der Erholung benutzte ich dazu, um eine Flasche mit Wasser sowie etwas Rum vor mein Lager zu stellen; auch röstete ich auf Kohlen ein Stück Ziegenfleisch, doch wollte es mir noch nicht recht munden.
Hierauf unternahm ich einen Spaziergang ins Freie, konnte aber wegen Ermattung nur eine kleine Strecke zurücklegen. Auf einem Felsenstück ließ ich mich nieder, von welchem das Auge weit über den jetzt ruhigen Spiegel des Meeres schweifen konnte. Da tauchten Gedanken in mir auf: »Wer ist es, der alle diese Dinge, Meer, Himmel und Erde, geschaffen hat? Und wer erhält und lenkt sie unwandelbar? Ist es nicht Gott, der alles weiß und sieht? Ja, er sieht auch mich. Durch seinen Willen, ohne den nichts geschieht, lebe ich auf diesem Eiland; ich ergebe mich in seine Fügung, der Herr wird es wohl machen!«
Diese Betrachtungen flößten mir Trost ein, und ich kehrte nachdenkend in meine Wohnstätte zurück. Noch vor derselben fiel mein Blick auf die von der Sonne goldig gebräunten Ähren, welche jetzt harte Körner trugen. Ich pflückte die Stengel, nahm sorgfältig die Frucht aus den Rispen und bewahrte sie für die kommende Säezeit auf.
Dieser Ausgang hatte mich mehr angegriffen als ich gedacht, und es überkam mich die Furcht, aufs neue vom Fieber geschüttelt zu werden. Da fiel mir ein, daß die Brasilianer fast alle ihre Krankheiten mit Tabak kurieren. Sofort ging ich nach dem Keller, wo ich einen ziemlichen Vorrat in einer Kiste aufbewahrte. Gott selbst mußte mir diesen Gedanken eingegeben haben; denn neben dem Tabak fand ich auch jene drei Bibeln, die mir von England nach Brasilien geschickt waren. Welch ein kostbarer Fund!
Wie aber sollte ich den Tabak gebrauchen? Ich wußte es nicht und versuchte es daher auf verschiedene Weise. Zuerst kaute ich ein Stückchen von dem Blatte; dann ließ ich ein andres zwei Stunden lang in Rum liegen, um davon zu trinken, und als dritte Heilmethode verbrannte ich ein Blatt auf Kohlen und hielt die Nase darüber, um den beißenden Dampf in vollen Zügen einzuatmen. Die Pausen, welche zwischen diesen drei Bereitungen lagen, suchte ich durch Lesen in der Bibel auszufüllen; allein die Betäubung durch meine etwas sonderbare Medizin ließ mich nur eine Stelle erkennen, auf welche meine Augen zuerst gefallen waren: »Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen!« Diese Worte, so ganz auf meine gegenwärtige Lage passend, machten einen überwältigenden Eindruck auf mich. O wie sehnte ich mich jetzt nach der Heimat zurück, aber lange, lange Jahre sollten noch vergehen, ehe sich dieser Wunsch verwirklichte.