»Da ist Monsieur Lavrille«, sagte einer der Wärter zu Raphael, der nach diesem Hohepriester der Zoologie gefragt hatte.
Der Marquis sah ein kleines Männchen, das beim Anblick zweier Enten tief in weise Betrachtungen versunken schien. Der Gelehrte stand in mittleren Jahren und hatte ein sanftes Gesicht, das durch seine entgegenkommende Miene noch gewann; aber aus seiner ganzen Erscheinung sprach die Zerstreutheit eines Gelehrten: seine Perücke, an der er sich unablässig kratzte, war abenteuerlich auf den Kopf gestülpt, ließ einen Kranz weißer Haare sehen und zeugte von einer Entdeckerwut, die uns, wie alle Leidenschaften, den Dingen dieser Welt so weit entrückt, daß wir das Bewußtsein des eigenen Ichs verlieren. Raphael bewunderte als Mann der Wissenschaft und der Forschung diesen Naturforscher, dessen Nächte der Erweiterung der menschlichen Kenntnisse gewidmet waren und dessen Irrtümer sogar noch Frankreich zum Ruhm gereichten; aber ein Modedämchen hätte ohne Zweifel über die Lücke gelacht, die sich zwischen der Hose und der gestreiften Weste des Gelehrten auftat, obwohl dieser Zwischenraum recht sittsam durch ein Hemd ausgefüllt war, das durch das Bücken und Wiederaufrichten während seiner zoogenetischen Beobachtungen einen reichen Faltenwurf bekommen hatte.
Nach den ersten Höflichkeitsfloskeln hielt Raphael es für nötig, Monsieur Lavrille ein Kompliment über seine Enten zu machen.
»O ja, an Enten sind wir reich«, erwiderte der Naturforscher; »diese Gattung ist übrigens, wie Ihnen sicher bekannt ist, die fruchtbarste in der Ordnung der Schwimmvögel: Sie beginnt beim Schwan und endet bei der Zinzinente und umfaßt 137 verschiedene Arten, die alle einen eigenen Namen, eigene Gewohnheiten, eine eigene Heimat und ein eigenes Aussehen haben und einander nicht ähnlicher sind als ein Weißer und ein Neger. Sie können versichert sein, Monsieur, daß wir, wenn wir eine Ente essen, meistens gar nicht ahnen, wie ausgedehnt . . .«
Er unterbrach sich, als er eine reizende kleine Ente sah, welche die Böschung des Teiches heraufwatschelte.
»Da ist die Krawattenente, das arme Kind aus Kanada hat so weit herkommen müssen, um uns sein graubraunes Gefieder und seine kleine schwarze Krawatte zu zeigen. Sehen Sie, wie es sich kratzt. Da ist die berühmte Eiderente, auf deren Daunen unsere feinen Damen schlafen; wie hübsch sie ist! Muß nicht jeder diesen niedlichen rötlichweißen Leib, diesen grünen Schnabel bewundern? Eben gerade, Monsieur, war ich Zeuge einer Paarung, die ich bislang kaum erhoffte. Die Hochzeit ist recht glücklich vonstatten gegangen, und ich warte ungeduldig auf das Ergebnis. Ich schmeichle mir, eine 138ste Art zu züchten, die vielleicht meinen Namen erhalten wird. Sehen Sie, da haben wir die Neuvermählten!« Damit deutete er auf zwei Enten. »Die eine ist eine Lachgans (anas albifrons), die andere die große Pfeifente (anas ruffina Buffon). Ich habe lange zwischen der Pfeifente, der Ente mit den weißen Augenlidern und der Löffelente (anas clypeata) geschwankt. Sehen Sie, da ist die Löffelente, der dicke schwarzbraune Schlingel mit dem grünlichen Hals, der so reizend irisiert. Aber die Pfeifente, Monsieur, hat eine prächtige Haube, da werden Sie begreifen, daß ich nicht mehr geschwankt habe. Es fehlt uns hier nur noch die Entenvarietät mit der schwarzen Kappe. Die Herren Zoologen behaupten einstimmig, diese Ente sei nur eine Spielart der krummschnabeligen Knäkente; aber ich für mein Teil . . .«
Er machte eine bewunderswerte Handbewegung, in der zugleich die Bescheidenheit und der Stolz des Gelehrten lagen; ein eigensinniger Stolz und eine dünkelhafte Bescheidenheit.
»Ich allerdings glaube das nicht«, fuhr er fort. »Sie sehen, Monsieur, wir sind nicht zu unserem Vergnügen hier. Ich beschäftige mich zur Zeit mit der Monographie der Entengattung. Aber womit kann ich Ihnen dienen?«
Auf dem Weg zu einem recht hübschen Haus in der Rue de Buffon [Fußnote] trug Raphael Monsieur Lavrille sein Anliegen vor, das Chagrinleder zu untersuchen.
»Ich kenne dieses Produkt«, sagte der Gelehrte endlich, nachdem er den Talisman mit der Lupe genau betrachtet hatte; »es hat einmal irgendwie als Schachteldeckel gedient. Das Chagrinleder ist sehr alt! Heutzutage ziehen die Futteralmacher ein Chagrin vor, der nach seinem Erfinder Galuchat genannt wird. Dieser wird, wie Sie zweifellos wissen, aus der Haut des »raja sephen« gewonnen, eines Fisches, der im Roten Meer . . .«
»Aber das Stück hier, wenn Sie die Güte haben wollten . . .«
»Das«, unterbrach ihn der Gelehrte, »ist ganz etwas anderes; der Unterschied zwischen dem Galuchat [Fußnote] und dem Chagrin ist so groß wie zwischen Ozean und Land, zwischen Fisch und Vierfüßer. Die Haut des Fisches ist härter als die des Landtieres. Das«, damit deutete er auf den Talisman, »ist, wie Sie fraglos wissen, eins der seltsamsten Produkte der Zoologie.«
»Wirklich?« rief Raphael.