»Du darfst dein Bild nicht geben!« platzte Grete, die nebenbei etwas Neid gegen die weit hübschere Schwester [pg 160]empfand, heraus. »Auf keinen Fall, oder ich schreibe es dem Papa!«
»Dich habe ich nicht um deine Meinung gefragt!« gab Melanie kurz zur Antwort. »Nellie, was sagst du?«
»Aber, Melanie!« rief Ilse ganz erregt, »wie kannst du nur einen Augenblick im Zweifel sein! Du wirst doch wahrhaftig dein Bild nicht an einen Herrn verschenken, der dir eigentlich ganz fremd und noch kein ordentlicher Herr ist! Er will dich zum Narren halten, weiter nichts!«
»Du schwatzest geradezu Unsinn, liebe Einfalt vom Lande!« entgegnete Melanie gereizt. »Was verstehst du denn unter ›ordentliche Herren‹?«
»Solche, die nicht mehr in die Schule gehen und auf Schulbänken sitzen!« erklärte Ilse. »Herr Georg Breitner wird dein Bild mit in die Klasse nehmen und die ›Herren‹ Schüler werden es bewundern. Dann bist du furchtbar blamiert!«
»Nellie, du bist ja so still!« wandte sich Melanie etwas kleinlauter als vorhin an diese, »sage doch, was wir thun sollen!«
»O gar nix!« entgegnete dieselbe trocken, »wir werden thun, als ob wir der dumm’ Brief nicht bekommen haben.«
»Und wenn er fragt? Was sagen wir dann, Nellie?«
»O, auch nix. Wir zucken mit die Schulter und schweigen. Das nennt man in Deutsch: Mit Nichtachtung verstrafen!«
Einverstanden war Melanie durchaus nicht mit dieser Entscheidung, sie hätte so gern ihr »klassisches Konterfei« vergeben, trotzdem mußte sie sich der Notwendigkeit fügen. Warum mußte er auch noch um Nellies ›liebreizendes Bild‹ bitten?
»Ihr habt furchtbar öde Ansichten!« sagte sie spottend und verließ das Zimmer.
* * *
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Die Tanzstunde nahte ihrem Ende. »Leider!« seufzten die jungen Leute. Fräulein Raimar indes atmete auf, denn wenn sie auch der Jugend gern fröhliche Stunden bereitete, so sehnte sie doch wieder Ruhe und Gleichmäßigkeit zurück, weil sie die Erfahrung gemacht hatte, daß durch die Zerstreuung stets der rechte Ernst zum Lernen etwas abhanden kam.
Den Schluß und Glanzpunkt bildete alljährlich ein kleiner Ball, und morgen, am Sonnabend, sollte derselbe stattfinden.
Die Benennung »Ball« klingt eigentlich zu hoch für das kleine Fest. Es wurden noch einige Gäste geladen, das Orchester schwang sich zu einer zweiten Geige auf, dem Thee nebst belegten Butterbroten folgte eine leichte Bowle mit Pfannkuchen, und die jungen Mädchen zogen ihre besten Kleider an. Das war alles!
Aber der große Saal erhielt ein festliches Ansehen, dafür trug stets Fräulein Raimar Sorge. Sie liebte es, den Schönheitssinn ihrer jungen Zöglinge zu wecken, damit dieselben späterhin imstande seien, mit wenigen Mitteln auch dem einfachsten Feste ein künstlerisches Ansehen zu geben.
Soeben stand sie neben dem Gärtner und ordnete an, wie er die Tannen, die er am Morgen aus dem Walde geholt, mit blühenden Topfgewächsen zu lauschigen Ecken und Plätzen gruppieren solle. Als das geschehen war, mußte er Konsolen von rotem Thone zwischen verschiedenen Wandleuchtern befestigen, – üppige Schlingpflanzen wurden darauf gestellt und fielen anmutig herab. Auch der altmodische Kronleuchter, geformt wie eine bronzene Schale mit Lichterarmen, erhielt seinen grünen Schmuck. Es wurde eine Schlingpflanze in die Schale gestellt, so daß die grünen Ranken zwischen den Armen herabfielen. Am Abend, wenn die Kerzen brannten, machte dieser einfache Schmuck einen reizend malerischen Eindruck.