Der Raritätenladen. Achtes Kapitel
Sobald das Geschäft abgemacht war, erinnerte sich Herr Swiveller in seinem Zimmer, daß es bald Mittagessenszeit sei, und damit seine Gesundheit nicht durch ein längeres Fasten gefährdet werde, sandte er in das nächste Speisehaus den Auftrag, daß man ihm sogleich gekochtes Ochsenfleisch und Gemüse für zwei Personen schicken möchte. Das Speisehaus, welches seinen Kunden aus Erfahrung kannte, weigerte sich jedoch, dieser Aufforderung zu entsprechen, und schickte die ungeschliffene Antwort zurück, wenn Herr Swiveller Ochsenfleisch bedürfte, so wäre er vielleicht so gefällig, selbst an Ort und Stelle zu kommen, um es dort zu speisen; als Tischgebet möge er aber den Betrag einer gewissen kleinen Rechnung, welche schon seit lange auf der Tafel stehe, mitbringen. Nicht im mindesten durch diese Zurückweisung eingeschüchtert, sondern vielmehr mit geschärftem Witz und Appetit, sandte Herr Swiveller denselben Boten nach einem andern entlegeneren Speisehause und ließ dazu sagen, der Gentleman schicke nicht nur wegen des großen Rufs, in welchem das dortige Ochsenfleisch stehe, so weit, sondern auch wegen der außerordentlichen Zähigkeit des Fleisches bei dem hartnäckigen Garkoch, welcher dasselbe zu einer ganz ungenießbaren Kost für einen Gentleman, ja sogar für Jedermann, mache. Der gute Eindruck dieses politischen Verfahrens ließ sich aus der schleunigen Ankunft einer kleinen, wunderlich aus Tellern und Deckeln construirten, zinnernen Pyramide entnehmen, bei welcher die Platte für das Ochsenfleisch die Basis, und eine schäumende Halbmaaßkanne die Spitze bildete. Als das Gebäude in seine einzelnen Bestandtheile zerlegt wurde, fanden sich alle Requisiten und Necessaires zu einem kräftigen Mahl, welchem Herr Swiveller und sein Freund mit großem Appetit und Behagen zusprachen.
»Möge der gegenwärtige Augenblick der schlechteste in unserem Leben sein,« sagte Dick, indem er seine Gabel in eine große, rothe Kartoffel steckte. »Ich habe es gern, wenn man dieses Gewächs mit der Schale schickt, denn es ist eine Lust, eine Kartoffel aus ihrem Geburtselement (wenn ich mich so ausdrücken darf) zu ziehen – ein Genuß, der dem Reichen und Mächtigen fremd ist. Ach!
Der Mensch braucht wenig nur hienieden,
Und braucht das Wenige nicht lang [Fußnote]
»Welch' ein wahres Wort! – wenn man nämlich gespeist hat.«
»Ich hoffe, der Garkoch wird sich gleichfalls mit Wenigem begnügen, und dieses Wenige lange nicht brauchen;« versetzte sein Gefährte. »Vermuthlich bist du nicht mit den Mitteln versehen, das Essen zu bezahlen?«
»Ich gehe gleich nachher an dem Hause vorbei, und will dann einsprechen,« sagte Dick mit einem bedeutungsvollen Blinzeln. »Der Kellner kann nichts mehr machen. Die Speisen sind verzehrt, Fritz, und damit hat's ein Ende.«
In der That schien auch der Kellner diese heilsame Wahrheit zu fühlen, denn als er zurückkehrte, um die leeren Schüsseln und Teller zu holen, entfaltete er auf Herrn Swiveller's mit würdevoller Unbekümmertheit vorgetragene Mittheilung, er wolle demnächst die Sache im Vorbeigehen in's Reine bringen, einige Geistesverwirrung, und murmelte etliche Bemerkungen über »Bezahlung bei Ablieferung«, »nichts auf Borg«, und andere unangenehme Gegenstände, mußte sich aber zuletzt mit der Frage zufrieden geben, zu welcher Stunde der Herr wahrscheinlich einsprechen würde, damit er um den Weg sein könne, weil er persönlich für das Rindfleisch, das Gemüse und so weiter verantwortlich sei. Nachdem Herr Swiveller mit größter Pünktlichkeit im Geiste seine Beschäftigungen ausgerechnet hatte, versetzte er, er wolle zwischen zwei Minuten vor und sieben Minuten nach Sechs hinkommen. Der Kellner entfernte sich mit diesem gebrechlichen Troste, und Richard Swiveller nahm nun ein schmieriges Notizbuch aus seiner Tasche, um einen Eintrag in dasselbe zu machen.
»Geschieht das zur Erinnerung, falls du dein Versprechen vergessen solltest?« fragte Trent höhnisch.
»Nicht gerade deßhalb, Fritz,« antwortete der nicht zu störende Richard, indem er mit geschäftiger Miene zu schreiben fortfuhr; »ich notire mir nur in diesem Buche die Namen der Straßen, die ich nicht passiren kann, so lange die Läden offen sind. Das heutige Mittagessen schließt Long-Acre. In Great Queen Street kaufte ich mir in der letzten Woche ein Paar Stiefel und schloß mir dadurch gleichfalls den Durchgang. Jetzt bleibt mir nur noch eine Gasse zum Strand offen, und diese werde ich mir heute Abend mit ein Paar Handschuhen versperren müssen. Die Wege schließen sich nach allen Richtungen so schnell, daß ich in Monatsfrist drei oder vier Meilen über die Stadt hinausgehen muß, um über die Straße zu kommen, wenn meine Tante keine Wechsel schickt.«
»Sie werden am Ende doch nicht ganz ausbleiben?« fragte Trent.
»Je nun, ich hoffe nicht,« erwiederte Herr Swiveller; »aber es braucht durchschnittlich sechs Briefe, um sie zu erweichen, und gegenwärtig habe ich es schon bis auf acht gebracht, ohne daß sie die geringste Wirkung übten. Morgen früh werde ich ihr aber wieder schreiben. Ich habe im Sinne, das Schreiben tüchtig zu verklecksen und etwas Wasser aus der Pfefferbüchse darauf träufeln zu lassen, damit es reuig aussieht. ›Ich bin in einer solchen Gemüthsstimmung, daß ich kaum weiß, was ich schreibe‹ – Klecks – ›wenn Sie sehen könnten, wie ich in diesem Augenblicke Thränen über meine frühere üble Aufführung vergieße‹ – Pfefferbüchse – ›meine Hand zittert, wenn ich denke‹ – Klecks. Wenn das keine Wirkung thut, so ist Alles vorbei.«
Da Herr Swiveller inzwischen seinen Eintrag beendigt hatte, so steckte er, in vollkommen gravitätischer und ernster Stimmung, den Bleistift wieder in seine kleine Scheide und machte das Buch zu. Sein Freund entdeckte, daß er jetzt einen Ausweg machen mußte, und so blieb Richard Swiveller allein, in Gesellschaft mit dem rosigen Weine und seinen Betrachtungen über Miß Sophie Wackles.
»Das ist etwas plötzlich,« sagte Dick, mit der Miene unendlicher Weisheit den Kopf schüttelnd, während er – seiner Gewohnheit gemäß – Versebrocken mit einer Eile abhaspelte, als ob sie bloße Prosa wären; »wenn das Herz des Mannes Furcht bedrückt, verschwindet der Nebel, sobald er Miß Wackles erblickt: sie ist ein sehr hübsches Mädchen. Sie gleicht der rothen Rose, im Juni neu erblüht; sie gleicht dem süßen Liede, von Harmonie durchglüht – das ist nicht zu läugnen. Es ist in der That sehr plötzlich. Ich habe zwar nicht nöthig, wegen Fritzens kleiner Schwester gleich kalt zu werden, aber es ist doch besser, nicht zu weit zu gehen. Wenn ich zu erkalten anfange, so muß es mit Einemmale gehen, das sehe ich wohl ein, sonst riskire ich einen Prozeß wegen Treuebruchs – das ist Ein Grund. Ferner könnte Sophie einen andern Mann kriegen – das ist ein zweiter; und endlich wäre es möglich – nein, das ist nicht zu fürchten, aber jedenfalls werde ich gut thun, den Sicheren zu spielen.«
Die nicht ausgedrückte Betrachtung bestand in der Möglichkeit, die Richard Swiveller sogar vor sich selbst zu verbergen suchte, gegen Miß Wackles' Reize nicht stark genug zu sein und in einem unbewachten Augenblicke sein Schicksal an das ihrige ketten zu können, wodurch ihm natürlich die Macht genommen wurde, den merkwürdigen Plan, auf welchen er sich so bereitwilligst eingelassen hatte, zu fördern. Aus all' diesen Gründen kam er zu dem Entschlusse, ohne Verzug mit Miß Wackles Streit anzufangen, und er besann sich auf einen Vorwand, den er auf eine grundlose Eifersucht stützen wollte. Sobald er über diesen wichtigen Punkt mit sich in's Reine gekommen war, ließ er gar gemüthlich das Glas kreisen, das heißt von seiner rechten Hand zur linken, und so wieder zurück, um seine Rolle mit desto größerer Umsicht spielen zu können; dann machte er einige kleine Verbesserungen in seiner Toilette und lenkte seine Tritte nach dem Orte, welcher durch den schönen Gegenstand seiner Betrachtungen geheiligt wurde.
Der Ort war Chelsea, denn dort wohnte Miß Sophie Wackles mit ihrer verwittweten Mutter und zwei Schwestern, mit welchen sie gemeinschaftlich eine sehr kleine Tagschule für sehr kleine junge Damen hielt – ein Umstand, welcher der Nachbarschaft mittelst eines ovalen Bretts über dem Vorderfenster des ersten Stockes angekündigt wurde, auf dem mit zierlichen Schnörkeln das Wort »Damenseminar« zu lesen war; einen weiteren Beleg dafür gab auch die Thatsache, daß man Morgens zwischen halb zehn und zehn Uhr hin und wieder eine einzelne junge Dame von sehr zarten Jahren mit den Zehenspitzen auf dem Kratzeisen stehen sah, wo sie, das Buchstabirbuch unter dem Arme, vergebliche Anstrengungen machte, den Thürklopfer zu erreichen. Die verschiedenen Lehrgegenstände die Instituts waren also vertheilt: Englische Sprachlehre, Stylübungen, Geographie und die Anwendung der Eisenkugeln, um die Arme zu kräftigen – Miß Melissa Wackles; Schreiben, Rechnen, Tanzen, Musik und allgemeine Bezauberungskunst – Miß Sophie Wackles; Nähen, Wäschezeichnen und Mustersticken – Miß Jane Wackles; körperliche Züchtigungen, Fasten, nebst anderen Torturen und Schreckmitteln – Frau Wackles. Miß Melissa Wackles war die älteste Tochter, Miß Sophie die zweite und Miß Jane die jüngste. Miß Melissa mochte fünfunddreißig Sommer oder etwas darüber zählen und neigte sich bereits gegen den Herbst ihres Lebens; Miß Sophie war ein frisches, heiteres, stämmiges Mädchen von zwanzig, und Miß Jane hatte kaum sechzehn erreicht. Frau Wackles war eine ausgezeichnete, aber etwas giftige alte Dame von sechszig.
Nach diesem Damenseminar also eilte Richard Swiveller mit gefährlichen Planen für den Frieden der schönen Sophia, welche, in jungfräuliches Weiß gekleidet und nur mit einer einzigen sich erschließenden Rose verziert, ihn in Mitte sehr eleganter, um nicht zu sagen brillanter Vorbereitungen empfing. Diese bestanden in Ausschmückung des Zimmers mit den kleinen Blumentöpfen, welche sich stets außen auf dem Fenstersims befanden, wenn sie nicht etwa der Wind in den Hof hinunter wehte, in dem gewählten Anzug der Tagschülerinnen, welchen der Zutritt zu der Festlichkeit gnädigst gestattet worden war, in dem ungewöhnlichen Lockenbau der Miß Jane Wackles, die den ganzen vorhergehenden Tag ihre Haare auf Streifen von einem gelben Comödienzettel gewickelt getragen hatte, und in der feierlichen Höflichkeit und der stattlichen Gelehrsamkeit der alten Dame und ihrer ältesten Tochter, welche Herrn Swiveller zwar als ungewöhnlich auffielen, aber keinen weiteren Eindruck auf ihn machten.
Die Wahrheit ist – und da man für seinen Geschmack keine Rechenschaft zu geben hat, wäre er selbst ein so sonderbarer, wie der hierortige, so können wir desselben erwähnen, ohne uns dem Vorwurf einer eigensinnigen und boshaften Erfindung auszusetzen – die Wahrheit ist, daß weder Frau Wackles, noch ihre älteste Tochter je die Bewerbungen des Herrn Swiveller sehr begünstigten, da sie im Gegentheil gewöhnt waren, seiner nur leichthin als eines »lustigen, jungen Mannes« zu erwähnen, dabei aber jedesmal zu seufzen und bedenklich den Kopf zu schütteln. Da Herrn Swiveller's Benehmen gegen Miß Sophie von jener unbestimmten und hinhaltenden Art war, welche man gewöhnlich als das Merkmal keiner entschiedenen Heirathsabsicht betrachtet, so begann im Laufe der Zeit sogar die junge Dame es für höchst wünschenswerth zu halten, daß der Sache auf eine oder die andere Weise ein Ende gemacht werde. Sie hatte deßhalb endlich eingewilligt, gegen Richard Swiveller einen in sie verliebten Marktgärtner auszuspielen, von dem sie wußte, daß er mit seinen Anträgen bereit sein würde, sobald er die geringste Ermuthigung erhielte. Aus der gleichen Quelle – die gegenwärtige Gelegenheit war nämlich absichtlich zu diesem Zwecke veranstaltet worden – stammte auch ihre große Besorgtheit um Richard Swiveller's Anwesenheit, wodurch sie veranlaßt wurde, das Billet, welches wir haben überreichen sehen, persönlich abzugeben.
»Wenn er überhaupt Aussichten oder Mittel hat, eine Frau anständig zu erhalten,« sagte Frau Wackles zu ihrer ältesten Tochter, »so muß er jetzt damit gegen uns herausrücken, oder nie.«
»Wenn ihm wirklich an mir gelegen ist,« dachte Miß Sophia, »so muß er sich diesen Abend gegen mich erklären.«
Da Herr Swiveller von all' diesen Gedanken, Worten und Werken nichts wußte, so kümmerte er sich auch nicht im mindesten darum, sondern überlegte noch immer in seinem Geiste, wie er es wohl am besten angreifen könne, eifersüchtig zu werden. Er wünschte eben, daß Sophia zu diesem Ende nur etwas weniger schön, oder daß sie ihre Schwester sein möchte, was ebenso gut zu seinem Plane gepaßt hätte, als die Gesellschaft ankam, und darunter der Marktgärtner, dessen Name Cheggs war. Herr Cheggs kam jedoch nicht allein oder ohne Beistand, denn er hatte klüglicherweise seine Schwester, Miß Cheggs, mitgebracht, welche geradezu auf Miß Sophia zuging, ihre beiden Hände ergriff, sie auf beide Wangen küßte und in hörbarem Flüstern die Sorge ausdrückte, daß sie doch nicht zu früh kämen.
»Zu früh? nein,« versetzte Miß Sophia.
»Ach meine Liebe,« versetzte Miß Cheggs in dem gleichen Flüstern, »ich bin so geplagt und gequält worden, daß wenig gefehlt hätte, wir wären schon heute Nachmittag um vier Uhr hier gewesen. Alick war so gar ungeduldig zu kommen! Können Sie's wohl glauben, daß er schon vor dem Mittagessen vollständig im Wichs war, alle Augenblicke auf die Uhr sah und ohne Unterlaß an mir drängte? Das ist ganz ihre Schuld, Sie böses Ding.«
Miß Sophia erröthete, und Herr Cheggs, der in Damengesellschaft etwas blöde war, erröthete gleichfalls, und Miß Sophia's Mutter und Schwestern, um Herrn Cheggs zu verhindern, noch mehr zu erröthen, überhäuften ihn mit Höflichkeiten und Aufmerksamkeiten, und ließen Richard Swiveller für sich selbst sorgen. Jetzt hatte er auf einmal, was er brauchte – nämlich einen guten Grund und Vorwand, sich zornig zu stellen; da er aber diesen Grund und Vorwand nur suchen wollte, und nicht in Wirklichkeit zu finden hoffte, so wurde Richard Swiveller allen Ernstes zornig und wunderte sich, was zum Teufel dieser Cheggs mit seiner Unverschämtheit wolle.
Demungeachtet hatte aber Herr Swiveller Miß Sophia's Hand für die erste Quadrille (denn Walzer und dergleichen waren, als zu gemein, gänzlich proscribirt), und so gewann er einen Vortheil über seinen Nebenbuhler, der verzweifelnd in einer Ecke saß und der glorreichen Gestalt der jungen Dame nachblickte, als sie sich durch das Labyrinth des Tanzes bewegte.
Auch war dieß nicht der einzige Vorsprung, welchen Herr Swiveller dem Marktgärtner abgewann; denn entschlossen, der Familie zu zeigen, was für einen Mann sie so geringschätzig behandelten, und vielleicht auch von seinen kürzlichen Libationen begeistert, entwickelte er solche Großthaten von Agilität und solche Wendungen und Wirbel, daß die ganze Gesellschaft in Erstaunen gerieth, insonderheit aber ein sehr langer Gentleman, der mit einer sehr kleinen Schülerin tanzte und, ganz bezaubert von Ueberraschung und Verwunderung, geradezu stehen blieb. Selbst Frau Wackles vergaß für den Augenblick, drei kleine, junge Damen, welche eine Neigung zu allzu großer Heiterkeit entwickelten, auszuschmählen, und konnte sich des aufsteigenden Gedankens nicht erwehren, daß es in der That ein Stolz für eine Familie sein würde, einen solchen Tänzer unter ihre Glieder zu zählen.
In dieser bedeutungsvollen Krisis erwies sich Miß Cheggs als eine sehr brauchbare und thatkräftige Verbündete, denn sie ließ es nicht dabei bewenden, durch ein verächtliches Lächeln ihre Geringschätzung gegen Herrn Swiveller's Vorzüge an den Tag zu legen, sondern benützte auch jede Gelegenheit, Miß Sophia Ausdrücke des Bedauerns und Mitleids in's Ohr zu flüstern, daß sie durch eine so lächerliche Person gequält wurde, indem sie zugleich erkannte, es sei ihr Todesangst, ob Alick in der Fülle seines Zorns nicht über ihn herfallen und ihn durchprügeln werde; dann bat sie Miß Sophia, zu bemerken, wie die Augen des genannten Alick vor Wuth und Liebe glühten – Leidenschaften, welche – wie wir gelegentlich andeuten müssen – zu viel für seine Augen waren und sich deßhalb auch in seiner Nase ausdrückten, indem sie dieselbe mit einer Purpurglut übergossen.
»Sie müssen auch mit Miß Cheggs tanzen,« sagte Sophia zu Richard Swiveller; nachdem sie selbst zweimal mit Herrn Cheggs getanzt und seine Bewerbungen sehr augenfällig ermuntert hatte. »Sie ist ein so artiges Mädchen, und ihr Bruder ist vollends gar zum Entzücken.«
»So? Zum Entzücken ist er?« murmelte Dick. »Auch ganz entzückt, könnte man meinen, wenigstens der Art nach, in welcher er hierher sieht.«
Hier steckte Miß Jane, welche vorläufig zu diesem Zwecke instruirt worden war, ihre vielen Locken dazwischen und flüsterte ihrer Schwester zu, sie solle nur Acht haben, wie eifersüchtig Herr Cheggs wäre.
»Eifersüchtig? Nun, das sieht seiner Unverschämtheit gleich,« sagte Richard Swiveller.
»Seiner Unverschämtheit, Herr Swiveller?« entgegnete Miß Jane, ihren Kopf schüttelnd. »Nehmen Sie sich in Acht, daß er's nicht hört, Sir; Sie könnten es sonst bereuen.«
»Ach, ich bitte dich, Jane –« erwiederte Miß Sophia.
»Bah!« versetzte ihre Schwester. »Warum sollte Herr Cheggs nicht eifersüchtig sein dürfen, wenn es ihm beliebt? Gewiß, so etwas fehlte noch. Herr Cheggs hat eben so gut ein Recht, eifersüchtig zu sein, als Jemand anders, und vielleicht bald noch ein besseres, wenn es nicht etwa jetzt schon der Fall ist. Du mußt das am besten wissen, Sophia!«
Obgleich dieß ein zwischen Miß Sophia und ihrer Schwester abgekarteter Handel war, welchem die humanen Absichten und der Zweck zu Grunde lagen, Herrn Swiveller zu einer schleunigen Erklärung zu veranlassen, so verfehlte er doch durchaus seiner Wirkung; denn da Miß Jane eine von jenen jungen Damen war, welche in Zeiten schnippisch und keifend zu werden anfangen, so spielte sie ihre Rolle mit einer so übermäßigen Wichtigthuerei, daß sich Herr Swiveller grollend zurückzog, seine Geliebte Herrn Cheggs überließ und den genannten Gentleman mit herausforderndem Trotze betrachtete, welcher von diesem mit einem Blicke der Entrüstung erwiedert wurde.
»Haben Sie etwas zu mir gesagt, Sir?« fragte Herr Cheggs, ihm in einen Winkel folgend. »Haben Sie die Güte zu lächeln, Sir, damit kein Verdacht auf uns falle. Haben Sie etwas zu mir gesagt, Sir?«
Herr Swiveller blickte mit einem hochmüthigen Lächeln nach Herrn Cheggs Zehen, erhob dann seine Augen von da nach seinen Knöcheln, von da zu seinem Schienbein, von da zu seinem Kniee, und so ganz allmählig weiter, wobei er sich immer an dessen rechte Hälfte hielt, bis er bei der Weste anlangte; nun ließ er die Blicke von Knopf zu Knopf bis zum Kinne gleiten, wanderte geradeaus über die Mitte seiner Nase, bis er endlich bei den Augen anlangte, und sprach zum Schlusse ganz abgebrochen:
»Nein, Sir.«
»Hem!« räusperte sich Herr Cheggs über seine Schultern blickend; »haben Sie die Gewogenheit, abermals zu lächeln. Vielleicht wünschen Sie mir etwas zu sagen, Sir?«
»Nein, Sir; es kam mir keinen Augenblick zu Sinne.«
»Vielleicht haben sie mir jetzt nichts zu sagen, Sir?« fuhr Herr Cheggs stolz fort.
Bei diesen Worten verließen Richard Swiveller's Augen Herrn Chegg's Gesicht, indem sie von der Mitte seiner Nase auf seine Weste und über sein rechtes Bein hinabspazierten, bis sie abermals die Fußspitzen erreichten, wo sie eine geraume Weile haften blieben; dann machten sie eine Querwanderung, stiegen an dem andern Beine in die Höhe und näherten sich von dort aus, wie zuvor, wieder der Weste; als sie endlich auf's Neue bei den Augen angelangt waren, sagte er:
»Nein, Sir, gewiß nicht.«
»Wirklich – nicht, Sir?« entgegnete Herr Cheggs. »Freut mich, dieß zu hören. Vermuthlich wissen Sie, wo ich zu finden bin, Sir, falls Sie mir etwas zu sagen haben sollten?«
»Ich werde es leicht erfragen können, Sir, wenn's mir darum zu thun ist.«
»So haben wir uns, glaube ich, nichts mehr zu communiciren, Sir?«
»Nichts mehr, Sir.«
Hiemit schloß die furchtbare Zwiesprache, indem sich die Betheiligten wechselseitig zornige Blicke zuwarfen. Herr Cheggs beeilte sich Miß Sophia seine Hand zu reichen, und Herr Swiveller setzte sich, höchst übel gelaunt, in einen Winkel.
Hart neben diesem Winkel saßen Frau Wackles und die ältere Miß Wackles, um dem Tanze zuzusehen; und den genannten Damen fügte sich gelegentlich Miß Cheggs bei, wenn ihr Tänzer gerade bei einer andern Figur des Tanzes beschäftigt war, wobei sie es nicht unterließ, eine oder die andere Bemerkung fallen zu lassen, welche Galle und Wermuth für Richards Seele waren. Sehr aufrecht und unbehaglich auf ein paar harten Stühlen sitzend, befanden sich in der Nähe zwei der Tagschülerinnen, welche nach den Augen von Madame und Miß Wackles um Ermuthigung aufblickten; und wenn Miß Wackles lächelte, und wenn Frau Wackles lächelte, so suchten die zwei kleinen Mädchen auf den Stühlen durch ein entsprechendes Lächeln ihre Gunst zu erschmeicheln, worauf in dankbarer Anerkennung dieser Aufmerksamkeit die alte Dame sie urplötzlich durch einen Zornblick niederschmetterte und die Bemerkung beifügte, wenn sie sich wieder einer solchen Unverschämtheit schuldig machten, so sollten sie unter Geleite nach Hause geschickt werden. Diese Drohung veranlaßte eine der jungen Damen, welche von sehr schwacher und eingeschüchteter Gemüthsart war, Thränen zu vergießen, für welches Verbrechen beide auf der Stelle mit einer so schrecklichen Pünktlichkeit fortgeschafft wurden, daß sich ein panisches Entsetzen der Seelen aller Zöglinge bemächtigte.
»Ich habe allerhand Neuigkeiten für Sie,« sagte Miß Cheggs, welche abermals herankam. »Alick hat Sophia solche Dinge gesagt, auf mein Wort, Sie wissen, daß der Handel ganz ernsthaft ist – das kann man leicht sehen.«
»Was hat er ihr gesagt, meine Liebe?« fragte Frau Wackles.
»Alles nur Erdenkliche,« versetzte Miß Cheggs. »Sie können gar nicht glauben, wie er sich ausgesprochen hat.«
Richard Swiveller hielt es für räthlich, nicht weiter zuzuhören, sondern benützte eine Pause im Tanze und die Annäherung des Herrn Cheggs, um der alten Dame sein Compliment zu machen, worauf er mit der ausgesuchtesten Miene der größten Gleichgültigkeit nach der Thüre stolzierte, auf dem Wege an Miß Jane Wackles vorbeikommend, welche in der vollen Glorie ihrer Locken sich von einem gebrechlichen alten Herrn, welcher in dem gleichen Hause wohnte, den Hof machen ließ (eine gute Uebung, wo nichts Besseres zu haben war). In der Nähe der Thüre saß Miß Sophia, noch ganz verwirrt und außer sich durch die Aufmerksamkeit des Herrn Cheggs; und an ihrer Seite machte Richard Swiveller einen Augenblick Halt, um sich zu verabschieden.
»Mein Boot ist auf dem Strande, meine Bark' ist auf der See, und eh' ich stoß' vom Lande, sag' ich dir noch Adieu,« murmelte Dick, sie düster anblickend.
»Sie wollen schon gehen?« sagte Miß Sophia, der das Herz sank ob dem Erfolge ihrer Kriegslist, obgleich sie eine leichte Gleichgültigkeit affektirte.
»Ob ich gehen will?« wiederholte Dick bitter. »Ja, ich will gehen. Was weiter?«
»Nichts, als daß es noch sehr bald ist,« sagte Miß Sophia; »aber sie sind natürlich ihr eigener Herr.«
»Hätt' ich mich nur auch zur eigenen Herrin [Fußnote] gemacht,« versetzte Dick, »eh' ich entfernt nur an dich gedacht. Sophie, ich glaubte an deine Treue, und fühlte als Gott mich in diesem Wahn; jetzt aber folgt die bittere Reue: – so schön und doch auf so falscher Bahn!«
Miß Sophie biß sich auf die Lippen und that, als ob sie mit großem Interesse Herrn Cheggs nachsähe, der in der Entfernung ein Glas Limonade hinunterstürzte.
»Ich kam hierher,« fuhr Dick fort, indem er seiner eigentlichen Absicht fast ganz vergaß, »mit erweitertem Busen, einem vollen Herzen, und meine Gefühle waren von entsprechender Art. Jetzt entferne ich mich aber mit Empfindungen, die man wohl fassen, aber nicht beschreiben kann – Empfindungen, welche mir die trostlose Wahrheit vor Augen führen, daß meine zärtlichsten Neigungen diesen Abend den Todesstoß erlitten haben.«
»Ich begreife in der That nicht, was Sie meinen, Herr Swiveller,« entgegnete Miß Sophia mit gesenktem Blicke. »Ich bedaure sehr, wenn – –«
»Bedauern, Fräulein?« fiel ihr Dick in's Wort. »Bedauern im Besitze eines Cheggs? Doch ich wünsche Ihnen recht gute Nacht und schließe mit der kleinen Bemerkung, daß in dem gegenwärtigen Augenblick eine junge Dame für mich heranwächst, welche nicht nur große persönliche Reize, sondern auch einen großen Reichthum besitzt und die ihre nächsten Verwandten gebeten hat, um meine Hand nachzusuchen, wozu ich denn auch aus Achtung für einige Glieder ihrer Familie meine Einwilligung gab. Es ist ein angenehmer Umstand, welcher auch Sie freuen wird, daß ein junges und liebliches Mädchen ausdrücklich um meinetwillen zum Weibe heranwächst und für mich aufbewahrt bleibt. Ich glaubte, Ihnen dieß mittheilen zu müssen, und habe jetzt nur noch um Entschuldigung zu bitten, daß ich so lange Ihre Aufmerksamkeit mißbrauchte. Gute Nacht.«
»Aus all' diesem entspringt doch wenigstens ein Gutes,« sagte Richard Swiveller zu sich selbst, als er zu Hause anlangte und sich mit der Lichtscheere über die Kerze beugte, um das Licht auszulöschen, »nämlich, daß ich jetzt mit Leib und Seele, mit Hals und Zehen auf Fritzens Plan hinsichtlich der kleinen Nelly eingehen kann. Gewiß wird er sich recht freuen, mich so kräftig in der Sache zu finden. Morgen soll er Alles erfahren, und in der Zwischenzeit will ich's, da es schon ziemlich spät ist, versuchen dem balsamischen Schlafe einige Liebesblicke abzugewinnen.«
Der »Balsamische« kam fast eben so bald, als um ihn geworben wurde. In etlichen Minuten war Swiveller fest eingeschlafen und träumte, daß Nelly Trent sein Weib geworden und er in den Besitz ihres Vermögens gekommen sei; sein erster Machtakt sei aber gewesen, den Marktgarten des Herrn Cheggs zu verwüsten und ihn zu einem Ziegelfelde umzuwandeln.