Die Tafel hatte folgende Inschrift:
Zum Angedenken an Franklin, Crozier, Fitz-James und all ihre tapferen Brüder. Officiere und treue Kameraden, welche für die Wissenschaft und den Ruhm ihres Vaterlandes gelitten haben und gestorben sind, ist dieser Stein errichtet nahe der Stelle, wo sie ihren ersten Winter im Norden zugebracht, und von wo aus sie abfuhren, um über die Hindernisse zu triumphiren oder zu sterben. Er bezeugt die Erinnerung und Bewunderung ihrer Landsleute und Freunde, und den im Glauben versöhnten Schmerz. Der Frau, die in dem Haupt der Unternehmung den liebevollsten Gemahl verloren hat.
Also hat ER sie zum letzten Hafen geleitet, wo Alle die Ruhe finden. 1855.
Dieser Stein auf einer entlegenen Küste dieser fernen Regionen sprach schmerzvoll zum Gemüth; dem Doctor traten bei dieser rührenden Leidbezeugung Thränen in die Augen. Und trotz dieser düstern Warnung des Verhängnisses war der Forward im Begriff, den Weg des Erebus und Terror zu verfolgen.
Dieser gefährlichen Betrachtung entzog sich zuerst Hatteras, und erstieg rasch einen ziemlich hohen, fast ganz schneefreien Hügel.
»Kapitän, sagte Johnson, der ihm folgte, von da herab werden wir die Magazine sehen.«
Shandon und der Doctor holten sie in dem Augenblick ein, als sie auf dem Gipfel ankamen.
Aber von hier aus verloren sich ihre Blicke über ungeheure Ebenen, welche keine Spur einer Wohnung zeigten.
»Das ist aber doch sonderbar, sagte der Rüstmeister.
– Nun! und jene Magazine? sagte Hatteras lebhaft.
– Ich weiß nicht... Ich sehe nicht... stotterte Johnson.
– Sie werden sich im Weg geirrt haben, sagte der Doctor.
– Es scheint mir aber doch, versetzte Johnson nachdenklich, an eben dieser Stelle ...
– Kurz, sagte Hatteras ungeduldig, wohin sollen wir gehen?
– Hinab, sprach der Rüstmeister, denn es wäre möglich, daß ich mich irre; seit sieben Jahren hab ich die Erinnerung an diese Oertlichkeiten verloren.
– Besonders, erwiderte der Doctor, wenn das Land so einförmig und monoton ist.
– Und dennoch ...« murmelte Johnson.
Shandon hatte keine Bemerkung geäußert. Nachdem sie einige Minuten gegangen, blieb Johnson stehen.
»Aber nein, rief er aus, nein, ich irre mich nicht!
– Nun denn? sagte Hatteras, und blickte umher.
– Was hat Sie zu dieser Aeußerung veranlaßt, Johnson? fragte der Doctor.
– Sie sehen diese Erhöhung des Bodens? sagte der Rüstmeister, und deutete, zu seinen Füßen auf eine Bodenerhebung, worauf drei Stellen etwas erhöht vortraten.
– Was schließen Sie daraus? fragte der Doctor.
– Hier befinden sich, erwiderte Johnson, die drei Gräber der französischen Bootsleute! Jetzt bin ich sicher, ich irre nicht, und hundert Schritte von uns sollten sich die Wohnungen befinden, und wenn sie nicht da sind ... so ist ...«
Er wagte nicht, seinen Gedanken völlig auszusprechen; Hatteras war voran geeilt, und ein Sturm der Verzweiflung erfaßte ihn. Hier hätten in der That die so sehnlich erstrebten Magazine mit den Vorräthen aller Art, worauf er rechnete, sich befinden müssen; aber Verderben, Plünderung, Zerstörung, Verwüstung waren darüber hergegangen, wo civilisirte Hände reiche Hilfsquellen für die erschöpften Seefahrer geschaffen hatten. Wer hatte solche Plünderung verübt? Die reißenden Thiere, Wölfe, Füchse, Bären? Nein, denn sie hätten nur die Lebensmittel vernichtet, und es war kein Fetzen von einem Zeltobdach geblieben, kein Stückchen Holz, Eisen oder anderes metall, und, das Erschrecklichste für den Forward, kein Bröcklein Brennmaterial! Offenbar haben die Eskimos, die oft mit europäischen Schiffen in Berührung kamen, am Ende den Werth dieser Gegenstände, welche ihnen völlig mangeln, schätzen gelernt; seitdem Fox des Weges gekommen, hatten sie öfters diesen Ort des Ueberflusses besucht, und unablässig weggenommen und geplündert, mit der wohl überdachten Absicht, keine Spur von dem, was hier gewesen war, zurückzulassen; und nun lag eine weitreichende Schneedecke über dem Boden.
Hatteras war voll Bestürzung. Der Doctor schaute mit Kopfschütteln. Shandon schwieg stets, und ein achtsamer Beobachter hätte ein boshaftes Lächeln wahrnehmen können.
In diesem Augenblicke kamen die vom Lieutenant Wall geschickten Leute an. Sie verstanden Alles. Shandon trat zu dem Kapitän, und sprach:
»Herr Hatteras, es scheint mir unnütz in Verzweiflung zu gerathen; wir befinden uns zum Glück am Anfang der Barrow-Straße, welche uns ins Baffins-Meer zurückführen wird!
– Herr Shandon, erwiderte Hatteras, wir befinden uns glücklicherweise am Anfang der Wellington-Straße, und sie wird uns dem Norden zuführen!
– Und wie werden wir fahren, Kapitän?
– Mit Segeln, mein Herr! Wir haben noch für zwei Monat Brennmaterial, und das ist mehr, als wir während unseres bevorstehenden Winteraufenthaltes bedürfen.
– Sie wollen mir gestatten zu sagen, fuhr Shandon fort ...
– Ich gestatte Ihnen, mir an Bord zu folgen, mein Herr«, erwiderte Hatteras.
Und er kehrte seinem Unterbefehlshaber den Rücken zu, begab sich auf die Brigg, und schloß sich in seine Cabine ein.
Zwei Tage lang war widriger Wind; der Kapitän erschien nicht wieder auf dem Verdeck. Der Doctor benutzte diesen gezwungenen Aufenthalt auf der Insel Beechey; er sammelte die wenigen Pflanzen, welche eine verhältnismäßig hohe Temperatur auf den schneefreien Felsen wachsen ließ, etliches Haidekraut, einige Flechtensorten, eine Art gelber Ranunkeln, eine dem Sauerampfer ähnliche Pflanze, und kräftiges Steinbrech.