Eugen, der die Treppe schon einige Stufen hinaufgestiegen war, konnte diese letzten Worte seiner alten Wirtin nicht mehr hören.
»Los«, sagte Bianchon, »wir wollen ihm das Hemd überziehen. Halt ihn aufrecht!«
Eugen trat an das Kopfende des Bettes und hielt den Sterbenden, dem Bianchon das Hemd auszog. Der Alte machte eine Bewegung, um etwas auf der Brust festzuhalten. Er stieß dabei unartikulierte Laute aus, wie ein Tier, das Schmerzen leidet.
»Ah«, sagte Bianchon, »er sucht eine kleine Haarkette mit einem Medaillon, die wir ihm eben, um die Moxa aufzusetzen, fortgenommen haben. Der arme Mann! Man muß sie ihm zurückgeben, sie liegt auf dem Kamin.«
Eugen holte die Kette, die aus aschblonden Haaren, zweifellos denen der Madame Goriot, geflochten war. Auf der einen Seite des Medaillons las er: Anastasie, auf der anderen: Delphine. Es war das Bild seines Herzens, das ständig auf seinem Herzen ruhte. Die Locken im Inneren des Medaillons waren so zart, daß sie aus der ersten Kindheit der beiden Töchter stammen mußten. Als das Medaillon die Brust des Alten berührte, stieß er ein langes »Ah« aus, das ergreifende Zeichen seiner Beglückung. Es war eine der letzten Äußerungen seines Bewußtseins, das sich in das unbekannte Zentrum zurückzuziehen schien, von dem unsere Sympathien ausgehen und zu dem sie zurückkehren. Sein verzerrtes Gesicht bekam einen Ausdruck krankhaften Glückes.
Erschüttert über diese furchtbare Kraft des Gefühls, das Denken und Bewußtsein überlebte, vergossen die beiden Studenten heiße Tränen. Der Sterbende stieß einen grellen Freudenschrei aus.
»Nasie, Fifine«, rief er.
»Er lebt noch«, sagte Bianchon.
»Wozu nutzt ihm das?« fragte Sylvia.
»Um zu leiden«, erwiderte Rastignac.