Die Heilige Schrift - auf Deutsch! Bibel-Übersetzungen sind ein Trend im 15. Jahrhundert. Als am 19. November 1494 die Lübecker Bibel erscheint, gilt sie als die Schönste im Land. Doch die Konkurrenz schläft nicht.
Ein düsterer Raum in der Wartburg hoch über den Thüringer Wäldern, im Frühjahr 1522. Erschöpft, ausgelaugt, aufgedunsen vom Bier und vom Bewegungsmangel sitzt der Mönch Martin Luther mit seinen Gelehrtenkollegen vor dem prasselnden Feuer und sinniert nicht ohne Selbstironie: "(Es) ist uns wohl oft begegnet, dass wir vierzehn Tage, drei, vier Wochen haben ein einziges Wort gesucht, haben´s dennoch zuweilen nicht gefunden. (...) Nun kann´s jeder lesen und meistern. Läuft einer jetzt mit den Augen durch drei, vier Blätter und stößt nicht einmal an, wird aber nicht gewahr, welche (...) Klötze da gelegen sind, da er jetzt drüber hin gehet wie über ein gehobeltes Brett."
Viele fühlen sich berufen
Eine Herkulesarbeit ist es gewesen, in gerade mal elf Wochen das ganze Neue Testament, Evangelien, Paulusbriefe, Apokalypse, aus dem griechischen Urtext ins Deutsche zu übersetzen. Jetzt kann jeder Laie Gottes Wort lesen, ohne amtliche Vermittler und mühsam zu findende Übersetzungshilfen.
Eine Provokation für den Klerus. Doktor Martinus Luther, so spottet man, habe einen neuen Papst erschaffen, nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Papier: die deutsche Bibel.
Na ja, sooo übertreiben müsse man auch nicht, halten Skeptiker entgegen: Schließlich sei Luthers Übersetzungsmarathon lediglich ein Versuch von vielen in dieser Zeit. Nicht nur die ungebildeten Laien hungerten schon lange nach einer deutschen Bibel, auch die Landpfarrer und Stadtkapläne, die oft nur sehr unzureichend Latein lesen konnten. Seit der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg sind Bibeln am laufenden Band erschienen, in Straßburg, Augsburg, Nürnberg, Köln, in süddeutscher und niederdeutscher Sprachgestalt, immer verschwenderischer illustriert mit hübschen Initialen und fantasievollen Holzschnitten.
Insgesamt fanden in dem halben Jahrhundert zwischen Gutenberg und Luther achtzehn deutsche Bibeln ihr Publikum.
Als schönste aber gilt die Lübecker Bibel des Steffen Arndes, deren Druck am 19. November 1494 abgeschlossen war. Arndes stammte aus Hamburg, er war ein Multitalent - Schriftschneider, Schriftgießer, Setzer, Drucker und Verleger in einer Person. Den Text übernahm Arndes weitgehend von seinen Vorgängern. Neu und meisterlich sind aber die Holzschnitte, die durch raffinierte
Schwarzweiß-Abstufungen die Illusion von Licht und Schatten erzeugen und keine blassen Heiligenfiguren vorführen, sondern behäbige Bürgersleute, bärbeißige Krieger, gravitätisch schreitende Patriarchen und kokette Damen.
Aus den Fensterchen einer gemütlich auf sanften Wellen treibenden Arche Noah gucken schläfrige Tiere wie im Zoo kurz nach der Fütterung. Ein grimmig dreinblickender Mose hetzt überdimensionale Heuschrecken, die ihre Fühler zu Schwertern umfunktioniert haben, auf die uneinsichtigen Ägypter, während ein tiarabekrönter Gottvater gespannt auf die Szene blickt.
Luther hat´s raus
Und doch sind alle diese Bibeln zu Recht vergessen. Langweilig, hölzern, umständlich holpert ihr Text daher, etwa der berühmte Psalm 23 in
der Mentelin-Bibel von 1466: "Der Herr, der richt´ mich (...), und an die Statt der Weide, do satzt´ er mich. Er fuorte mich ob dem Wasser der Wiederbringung, er bekehrt´ mein Seel." "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln", heißt das ein paar Jahrzehnte später bei Martin Luther. "Er weidet mich auf einer grünen Auen und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele." Das ist der Unterschied zwischen einem schreibenden Kanzleibeamten und einem Genie.