JOB AUF ZEIT
In Deutschland gibt es wieder mehr Arbeit. Doch ein genauer Blick in die deutsche Ar-beitswelt zeigt: Die Hälfte der neuen Jobs ist befristet. Diese Unsicherheit im Arbeitsleben betrifft längst nicht mehr nur Berufsanfänger – für viele Arbeitnehmer in Deutschland ist sie inzwischen Normalität.
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SPRECHERIN:
Seine Schüler kennt Ekkehard Pilz kaum. Er ist Vertretungslehrer, Lehrer auf Abruf. Auch sein aktueller Vertrag ist auf drei Monate befristet. Der letzte Schultag vor den Sommerferien ist der letzte Arbeitstag für Pilz.
EKKEHARD PILZ (Lehrer):
Ich merk' natürlich, also für mich persönlich, dass es problematisch ist, wenn man überhaupt keine Sicherheit im Leben hat. Also, wenn halt … wenn ich schon weiß: Dieser Vertrag, den ich da antrete, wird nach drei Monaten auslaufen. Und ich werde wieder zum Arbeitsamt gehen, und dann werde ich höchstwahrscheinlich wieder 'ne neue befristete Stelle bekommen. Wenn man in diesem Rad drin ist, dann ist das halt anstrengend, also – das macht unzufrieden.
SPRECHERIN:
Seit dem Ende seines Studiums muss Pilz mit Kurzzeitverträgen leben. Seit drei Jahren wartet er auf eine unbefristete Stelle. Langfristig planen kann er nicht, ein neues Auto kaufen auch nicht. Er weiß nie, wie viel Geld er haben wird. Und einen Kredit von der Bank bekommt er ohnehin nicht. Wie Pilz hat jeder zehnte Arbeitnehmer in Deutschland einen Vertrag auf Zeit. 1990 waren es etwa halb so viele. Befristungen sind normal geworden. Diese Gebäudereinigerin hat noch ein paar Monate sicher. Sie will nicht erkannt werden, hofft auf eine Verlängerung ihres Vertrages. Die Unsicherheit setzt sie unter Druck: Höchstleistungen, kein Murren bei Überstunden – und: Bloß nicht krank werden!
GEBÄUDEREINIGERIN:
Da sag' ich mir, was machen wir eigentlich immer falsch? Also, was mach' ich falsch? Warum schaff' ich's immer nur 'nen befristeten Arbeitsvertrag dann immer zu haben? Und das ist dann immer so: 'Hhm …' Also ich würde schon gerne ... länger! So zehn Jahre, elf Jahre – oder noch länger! So lange, wie ich's … wie ich's kann.
SPRECHERIN:
Sie ist Mutter, doch viele ihrer Kolleginnen schieben die Kinderfrage weit weg. Lebensplanung wird schwierig. Wie es weitergeht nach dem Vertragsende – das erfahren sie spät.
GEBÄUDEREINIGERIN:
Manchmal so 'ne Woche vorher, wenn der Vertrag dann ausläuft. Oder genau an dem Tag, wo der Vertrag endet. Dann kommt entweder der Arbeitgeber dann persönlich zu den Mitarbeitern und sagt: Hier bitte schön, morgen brauchen Sie gar nicht mehr wiederkommen.
SPRECHERIN:
Der Lehrer Ekkehard Pilz hat sich Hilfe geholt – der örtliche Gewerkschafter setzt sich für ihn ein. Und es sieht besser aus als im letzten Jahr. Pilz könnte nach den Ferien eine volle Stelle bekommen: diesmal eine ohne Ablaufdatum. Gute Nachrichten, doch er ist vorsichtig geworden.
EKKEHARD PILZ:
Ich muss abwarten, was passiert, und ich hoffe, dass ich dann spätestens bis zum ersten Schultag Bescheid weiß und dann tatsächlich vielleicht eine Festanstellung bekommen werde. Ansonsten, wenn das nicht klappt, dann muss ich mich wohl wieder auf die Suche machen und wieder [eine] befristete Anstellung annehmen.
SPRECHERIN:
Nur 1200 Euro monatlich verdiente er mit seinem letzten Vertrag – nach fünf Jahren Studium und zwei Staatsexamen. Sein Beispiel macht deutlich: Selbst mit der besten Ausbildung kann soziale Sicherheit zum Fernziel werden.
GLOSSAR
Job auf Zeit, der – die Arbeitsstelle, die nach einer bestimmten Zeit zu Ende ist;
die → befristete Stelle
befristet – hier: so, dass der Arbeitsvertrag nur für eine bestimmte Zeit gilt (Substantiv: die Befristung)
jemanden betreffen – mit jemandem/etwas zu tun haben; jemanden/etwas angehen
Vertretungslehrer/in, der/die – der/die Lehrer/in, der/die unterrichtet, wenn ein anderer Lehrer z. B. wegen Krankheit fehlt
auf Abruf – so, dass man bereit steht und (nur) dann arbeitet, wenn man gebraucht wird
einen Vertrag antreten – (eigentlich: eine Stelle antreten) hier: anfangen
auslaufen – hier: zu Ende sein
Arbeitsamt, das – (eigentlich: die Arbeitsagentur) die Behörde, die Arbeitsplätze vermittelt
"Wenn man in diesem Rad drin ist" – wenn man in dieser Situation (die sich nicht so schnell ändert) ist
Kurzzeitvertrag, der – der Arbeitsvertrag, der nur für wenige Wochen oder Monate gilt
unbefristet – so, dass ein Vertrag kein festgelegtes Ende hat ↔ befristet
langfristig – für lange Zeit
Vertrag auf Zeit – → befristeter Vertrag
etwas setzt jemanden unter Druck – etwas macht jemandem Sorgen
Höchstleistung, die – sehr gutes und schnelles Arbeiten
Murren, das – das Klagen
Überstunden, die (meist im Plural) – die Stunden, die man zusätzlich zur normalen Ar-beitszeit arbeitet
"Bloß nicht …!" – gemeint ist: Man sollte auf keinen Fall …
etwas weit weg schieben – mit etwas noch nicht anfangen
Kinderfrage, die – die Überlegung, ob man Kinder bekommt
Lebensplanung, die – die Überlegung, ob man heiratet und/oder Kinder bekommt
Mitarbeiter/in, der/die – der/die Angestellte
Gewerkschafter/in, der/die – das Mitglied einer Organisation (die Gewerkschaft), die sich für die Rechte der Arbeitnehmer einsetzt.
volle Stelle, die – die Arbeitsstelle mit ca. 40 Wochenstunden
Ablaufdatum, das – das Datum, zu dem ein Vertrag endet
Festanstellung, die – die → unbefristete Arbeitsstelle
Anstellung, die – die Arbeitsstelle
Staatsexamen, das – die Universitätsprüfung, nach deren Bestehen man für den Staat arbeiten kann (z. B. als Lehrer)
soziale Sicherheit, die – hier: die Tatsache, dass man Arbeit hat
Fernziel, das – hier: ein Ziel, das unerreichbar zu sein scheint