DER MODEFOTOGRAF
Gunnar Hämmerle ist kein gewöhnlicher Fotograf: Er macht Fotos von Menschen, denen er zufällig begegnet und die er besonders interessant findet. Dabei schaut er nicht nur auf die Kleidung, die sie tragen, sondern auf ihren persönlichen Stil. Schon 1200 Menschen hat Gunnar Hämmerle bisher fotografiert. Seine Bilder veröffentlicht er in seinem Internetblog und er zeigt sie in einer Ausstellung.
MANUSKRIPT ZUM VIDEO
SPRECHER:
Tägliches Ritual für Gunnar Hämmerle: Passanten scannen, immer auf der Suche nach Leuten mit Stil. Kurzes Gespräch und – bitte. Er hält das Outfit eines Augenblicks fest. Dabei geht es ihm um die persönliche Note, nicht um Mode oder Trends.
GUNNAR HÄMMERLE (Fotograf):
"Also, bei ihm fand ich gut die Kombination mit diesen Schuhen, die ja so wahnsinnig hohe Absätze hatten und dann die Hose, halt auch der Reißverschluss ging irgendwie so quer, gut, mal die Fliege, das ist jetzt irgendwie Geschmackssache, würde ich glaub' ich selber jetzt nicht so tragen, aber fand ich irgendwie auch cool, dass er’s gemacht hat und insofern: ja, so rundum irgendwie interessant auf jeden Fall."
SPRECHER:
Normalerweise sieht man seine Fotos im Netz. Jetzt werden sie im Museum geadelt. Rund 1000 seiner Straßen-Schnappschüsse sind im NRW-Forum in Düsseldorf zu sehen. Es ist die größte jemals gezeigte Schau der Werke eines Mode-Bloggers. Menschen des 21. Jahrhunderts – Gunnar Hämmerle hält sie fest. Wer sie sind, was sie machen und wo er sie auf der Welt getroffen hat – das bleibt hier sein Geheimnis.
GUNNAR HÄMMERLE:
"Man kann nicht mehr eigentlich von dem, wie jemand aussieht, darauf schließen, was er macht, wo er herkommt, das ist … dazu ist die Welt einfach zu sehr vernetzt mittlerweile, als dass man noch irgendwie in solchen Schubladen denken könnte. Viele der Menschen, die jetzt hier ausgestellt sind, sind in ihrem Stil einfach etwas mutiger als die meisten von uns und ja, und ich würd’ mir schon wünschen, dass vielleicht auch andere davon sich inspirieren lassen, mal mehr auszuprobieren und auch zu wagen."
SPRECHER:
Inspiration gibt es hier genug. Wie im realen Leben streift man durch die künstliche Ausstellungsstadt. Kurzer Blickkontakt und weg. Der Weg führt in der so genannten "StyleclickerCity" direkt auf eine Party. Den Soundtrack gibt’s gleich dazu. Eine moderne Ausstellung, nah dran am digitalen Leben, am schnellen Puls der Metropolen. Gunnar Hämmerles Blog im Netz. Seine Modelle findet er auf der Straße, weltweit. Seit über drei Jahren stellt er fast täglich neue Beute auf seine Website.
GUNNAR HÄMMERLE:
"Also das ist auf jeden Fall auch so'n Ziel, dass es schon so ein Katalog werden kann, einfach von Menschen unserer Zeit eben. Also ich mein' jetzt in dreieinhalb Jahren habe ich ungefähr 1200 Leute fotografiert und wenn ich's jetzt noch mal zehn Jahre mach', dann kann man mal so überlegen, wie viele das dann so sind und insofern denke ich, dass es einfach sehr interessant ist, wirklich so'n soziales Mosaik unserer Zeit zu haben."
SPRECHER:
Blogger-Fotos im Museum – dahinter steckt ein ganzes Konzept, das im Netz auch entsprechend vermarktet wurde. So gab es zum Beispiel ein Foto-Shooting mit dem Street-Style-Guru zu gewinnen – allerdings nur für seine Fangemeinde im Internet. Eine Mischung aus virtuellem Autogramm und Erinnerungsfoto.
MANFRED TUERK:
"Es gibt Fotografen, die haben diese Fähigkeiten, einen Menschen zu erkennen, das Wichtige an ihm zu erkennen und dann genau das im Bild sichtbar zu machen. Und ich bin natürlich froh, dass ich die Gelegenheit hatte, jetzt von einem solchen Fotografen hier aufgenommen zu werden."
SPRECHER:
Die Ausstellung "StyleclickerCity" – ein Riesenerfolg für das Museum. Und für Gunnar Hämmerle. Seine Arbeiten treffen den Zeitgeist – denn jeder würde sich hier gerne projiziert sehen. Ein bisschen Voyeurismus gehört anscheinend für den Menschen des 21. Jahrhunderts dazu.
GLOSSAR
Stil, der – das besondere, einzigartige Aussehen
Internetblog, der (aus dem Englischen) – ein online geführtes Tagebuch (Person: der/die Blogger/in)
Ritual, das – hier: etwas, das man immer wieder tut
Passant/in, der/die – jemand, der zufällig auf der Straße vorbeikommt
jemanden scannen (aus dem Englischen) – hier: sich jemanden genau anschauen
Outfit, das – die Zusammenstellung von Kleidung und Schmuck
Note, die – hier: das Element; der Stil
Kombination, die – die Zusammenstellung verschiedener Dinge
Absatz, der – hier: der hintere Teil eines Schuhs
Reißverschluss, der – der längliche Verschluss eines Kleidungsstücks
Fliege, die – eine Schleife, die sich Männer um den Hals binden
etwas ist Geschmackssache – etwas wird von manchen gut gefunden, von anderen nicht
Netz, das – hier: das Internet
geadelt werden – hier: besonders geehrt werden
Schnappschuss, der – ein zufällig und schnell gemachtes Foto
jemanden festhalten – hier: jemanden fotografieren
von etwas auf etwas schließen – aufgrund bestimmter Voraussetzungen zu einem Ergebnis kommen
die Welt ist vernetzt – die Welt ist über das Internet verbunden
in Schubladen denken – eine veraltete und zu einfache Denkweise haben, die nicht der Realität entspricht; die Welt in feste Kategorien einteilen
sich inspirieren lassen – sich anregen lassen; auf neue Ideen kommen (Substantiv: die Inspiration)
etwas ausprobieren – etwas versuchen
durch etwas streifen – ohne Eile durch etwas gehen
Soundtrack, der – die Musik zu einem Film (hier: zu einer Ausstellung)
digitale Leben, das – gemeint ist: das moderne Leben, in dem Computer und Internet eine große Rolle spielen
der schnelle Puls der Metropolen – gemeint ist: die Tatsache, dass in großen Städten sehr viel in sehr kurzer Zeit passiert
Beute, die – hier: das, was jemand gefunden hat
soziale Mosaik, das – ein Bild von der Vielfalt der Gesellschaft
etwas vermarkten – für etwas Werbung machen
Guru, der – der Meister; jemand, der einen besonderen Ruf hat
Fangemeinde, die – die Menschen, die jemanden besonders gut finden
virtuell – hier: im Internet
Autogramm, das – die Unterschrift eines Künstlers/einer Künstlerin
aufgenommen werden – hier: fotografiert werden
etwas trifft den Zeitgeist – etwas gefällt den Menschen in einer bestimmten Zeit sehr gut
projiziert sein/werden – auf einem Foto zu sehen sein
Voyeurismus, der – die Lust, etwas (eigentlich Privates) anzuschauen
etwas gehört dazu – hier: etwas ist normal