Bella: Herr Meister, ich möchte Sie etwas fragen.
Herr Meister: Bitte, mein Fräulein, ich werde Ihnen mit Vergnügen antworten.
Bella: Ich habe bei meiner deutschen Freundin dieses Zeichen FFFF so oft gesehen an so vielen Dingen, an Gläsern, an den Taschentüchern; ihr Herr Gemahl, der Dr. Stellen hat auch dasselbe Zeichen auf seinen Hausschuhen. Ich glaubte erst, es sei ein Kreuz, aber es ist keines; dann glaubte ich, es sei das Wappen meines Freundes, aber der Herr Dr. ist kein Baron und kein Graf, sondern ein Bürger. Ich wollte meine Freundin nicht gern fragen, weil ich schon zu viel gefragt hatte.
Herr Meister: Ich vermute (= ich denke), der Gemahl Ihrer deutschen Freundin ist ein Turner, und dieses Zeichen hier ist das Zeichen, das alle Turner haben und lieben; es ist ein vierfaches F; des Turners Motto hat viermal F, und es heißt: Frisch, Frei, Froh, Fromm.
Sei frisch in der That,
Sei frei im Denken,
Sei froh im Sinn und
Sei fromm. Bete zu Gott und thue seinen Willen.
Anna: Das ist ein schöner Spruch (sprechen, Spruch).
Herr Meister: Nicht wahr? Aber was haben Sie denn, Louis?
Bella: Warum lächeln Sie so, Louis?
Anna: Louis, Sie müssen nicht leise mit Ihrem Bruder sprechen, wenn wir hier sind. Sprechen Sie laut, bitte.
Otto: Ich werde Ihnen sagen, warum mein Bruder lachte und leise mit mir sprach. Er hat wieder einen deutschen Brief von unserm Bruder Albert in Berlin.
Louis: Ja, denken Sie, wie merkwürdig (= wunderbar), Fräulein Anna. Gestern noch sagte ich Ihnen: »Ich glaube, mein Bruder ist böse mit mir, weil ich seinen deutschen Brief noch nicht beantwortet habe,« und als ich nach Hause kam, sagte mir Mama: »Louis, ich habe hier einen Brief für dich von unserm Albert, ich kann ihn nicht lesen, er ist deutsch. Sieh, ob du ihn verstehen wirst.« »O, Mama,« sagte ich, »ich verstehe jetzt alles im Deutschen.« Ich nahm (ich nehme, ich nahm, ich habe genommen) den Brief, las (ich lese, ich las, ich habe gelesen) ihn und verstand ihn, und sagte alles meiner lieben, guten Mama im Englischen.
Herr Meister: Ich freue mich sehr, das zu hören.
Louis: Aber ist es nicht wunderbar, daß er in diesem Brief auch von den Turnern spricht?
Bella: Von Turnern?
Louis: Ja, darum habe ich ja so gelacht, als Sie mit Herrn Meister über »Turnen« sprachen.
Herr Meister: Hier würde ich nicht das Wort »wunderbar« gebrauchen, sondern »merkwürdig«; in der That ist es merkwürdig, daß Sie gestern von Ihrem Bruder sprachen und dann einen Brief von ihm vorfanden, als Sie nach Hause kamen; und ebenso merkwürdig ist es, daß er über Turnen spricht. Ich möchte wohl hören, was er schreibt.
Louis: Ich werde Ihnen den Brief vorlesen, wenn Sie es wünschen.
Alle: Bitte, bitte!
Louis (liest):
Teuerer Bruder Louis!
Ich habe Dir am sechsten September einen deutschen Brief geschrieben, und ich habe heute noch keine Antwort. Wie kommt das? Papa schreibt mir, Du studierst Deutsch. Kannst Du noch nicht Deutsch schreiben? Ich hoffe, Du bist so wohl, wie ich bin. Wir Studenten haben jetzt vier Wochen Ferien, das ist, wir sind vier Wochen frei und brauchen nicht zur Universität zu gehen. Professoren und Studenten wollen Weihnachten feiern.
Hier schicke ich Dir meine Photographie. Du wirst Dich wundern, mich im Winter in Kleidern von weißem Linnen zu sehen und fragen: »Ist es im Dezember in Berlin so warm, daß die Leute in weißem Linnen gehen?«
O, mein Freund, es ist hier sehr kalt, so kalt wie in New York. Der Wind bläst durch die Straßen, und der Schnee liegt zwei Fuß hoch. Nicht alle Leute gehen jetzt in Linnen. Auch ich gehe nicht immer so, nur einmal in der Woche, am Mittwoch Abend von acht Uhr bis zehn; — dann bin ich in der Turnhalle, denn ich muß Dir nur sagen, ich bin in einem Turnklub oder einem Turnvereine. Mittwoch Abend bin ich in der Turnhalle, und habe Gymnastik. O, wie ist das schön, mein lieber Louis, mit hundert, oft zwei hundert Männern nach der Musik zu marschieren oder springen. Wir laufen, schwingen, fechten, boxen und tanzen; kurz, wir thun alles, was uns stark und gesund macht. Ah, seitdem ich turne, befinde ich mich wohl. Du weißt ja, ich war früher in New York oft sehr nervös. Seitdem ich Turner bin, bin ich frisch und wohl, bin immer fröhlich und studiere mit Freude. Hier in Deutschland ist das Turnen an allen Schulen obligatorisch; das heißt: In allen Schulen muß geturnt werden, und alle Schüler müssen so gut turnen lernen, wie schreiben und lesen. Ist das nicht schön? Ich meine, gewiß Ludwig Jahn war ein weiser Mann. Du mußt nämlich wissen, Ludwig Jahn hat zuerst das Turnen begonnen mit wenigen Schülern hier in Berlin im Jahre 1811, und heute haben wir Turnhallen in ganz Deutschland, und viele tausend Studenten ehren (= respektieren) den »Turnvater« Jahn. Aber ist es nicht traurig, daß es so oft den Männern schlecht geht, die der Welt Gutes thun? So ging es Columbus, so ging es Galilei, so ging es Johann Gutenberg, dem Erfinder der Buchdruckerkunst, so ging es Schiller und auch dem Turnvater Jahn. Warum sind die Menschen (= Leute) so undankbar gegen die Männer, die ihnen Gutes thun? Nach dem Tode, ja nach dem Tode ehrt man die großen Männer, aber erst nach dem Tode! Da ich vom Traurigen spreche, so will ich Dir auch mitteilen (= schreiben), daß Bayard Taylor, der amerikanische Gesandte, der Schriftsteller (= Autor), Poet und Reisende, tot ist. Alle Amerikaner Berlins waren an seinem Sarge. Tausende von Menschen waren da, und auch die besten Schriftsteller Deutschlands, wie Berthold Auerbach, Paul Lindau, Paul Heyse, Friedrich Spielhagen und Julius Rodenberg. Berthold Auerbach, ein persönlicher Freund von Bayard Taylor, sprach wunderschön an seinem Sarge. Ich sehe, Deutschland fühlt den Verlust des Mannes so tief wie Amerika und trauert.
Bei meiner Photographie in diesem Briefe ist noch eine andere, die Photographie einer alten Burg (= das Kastell), »die Wartburg.« Am elften August dieses Jahres war der hundertjährige Geburtstag unseres Turnvaters Jahn, und die Turnvereine Deutschlands machten eine Exkursion oder Turnfahrt nach der Wartburg. Warum die deutschen Turner gerade nach dieser alten Burg gehen, würdest Du wohl verstehen, wenn Du die Rede meines Freundes Heinrich gehört hättest. Ich schreibe Dir das, was ich heute noch weiß. Mein Freund begann so:
»Turnbrüder, Freunde! Aus allen Enden unseres schönen, deutschen Vaterlandes sind wir heute hierher gekommen, um ein Fest zu feiern: den hundertjährigen Geburtstag unseres Turnvaters Jahn. Warum, meine Brüder, kommen wir hier zusammen, in dieser alten, alten Burg? Weil dieser Ort (= der Platz) allen Deutschen so teuer ist, so teuer sein muß; und wie Gott einst zu Moses sprach, so will ich zu Ihnen sprechen: Nehmet eure Schuhe von euren Füßen, denn das Land, auf dem ihr steht, ist heilig. Dieses Thüringen, meine Brüder, dieses Thüringen ist heilig; der Boden, auf dem ihr steht, ist heilig, und die Steine, die ihr hier seht, sind heilig. In dieser Burg lebte die heilige Elisabeth; hier lebten und dichteten (= schrieben die Gedichte) die großen Poeten unserer alten deutschen Litteratur; hier schrieb Walther[XI-1] von der Vogelweide seine schönen Lieder; hier lebte Wolfram von Eschenbach; hier kämpften die alten Ritter so manchen harten Kampf mit dem Schwerte, und hier kämpften auch die edlen Ritter des Gesanges und der Poesie den edlen Kampf in der Kunst, — den Sängerkrieg auf der Wartburg. Hier in diesen Mauern lebte auch Luther; hier schrieb er seine deutsche Bibel, und hier gab er uns die deutsche Sprache, die wir heute sprechen. Ist dieses nicht heilige Erde, meine Brüder?
Und sehen Sie dort, — nur wenige Meilen von hier, da lebten auch Herder und Wieland, und Schiller und Goethe. O Thüringen, mein Thüringen, du bist mir teuer! Du bist das Herz Deutschlands, und die Kultur, unser Leben kommt von dir und geht in alle, alle Teile. Darum lieben wir dich, mein Thüringen, mit unsrem ganzen Herzen.
Und nun, ihr Turnbrüder, alle, rufet: 'Thüringen, Thüringen, lebe hoch!'« So sprach mein Freund.
O, lieber Louis, Du hättest das »Hoch« hören sollen, das Hoch von tausend starken Männern gerufen. Du hättest den Enthusiasmus sehen sollen! Ich werde das niemals, niemals vergessen.
Aber hier will ich meinen Brief schließen (= enden), er ist lang, nicht wahr?
Grüße mir Deine Freundinnen Anna und Bella und auch Herrn Meister. Wunderst Du Dich, daß ich den Namen Deiner Freunde kenne? Ah, ein kleiner Vogel kam aus New York nach Berlin und sagte mir alles.
Schreibe bald
Deinem treuen Bruder
Albert.
Louis: Nun, wie gefällt Ihnen dieser Brief?
Herr Meister: Sehr gut, Louis.
Bella: Er ist sehr interessant.
Anna: Ich möchte Ihren Bruder als Turner sehen.
Otto: Wenn ich nach Deutschland komme, so muß ich auch nach Thüringen gehen und die Wartburg sehen. Aber eins möchte ich Sie fragen, Herr Meister; mein Bruder Albert schreibt von einem altdeutschen Dichter Walther[XI-1] von ..... von ..... bitte, laß mich den Brief einen Augenblick (= Moment) sehen, Louis.
Louis: Hier, Otto.
Otto: Danke, Walther[XI-1] von ..... wo ist es .....? so hier ..... ich habe es ..... Walther[XI-1] von der Vogelweide. Ich habe nie von ihm gehört. War er ein guter Poet?
Herr Meister: O, gewiß, Otto. Walther[XI-1] von der Vogelweide hat wundervolle Gedichte geschrieben. Er war ein großer Freund (von) der Natur, und vor allem liebte er die Vögel. Bevor er starb, machte er auch ein Testament für die Vögel; er schrieb: die Vögel sollen jeden Tag mit Brot und Wasser auf meinem Grabe gespeist werden.
Anna: Ist das nicht allerliebst?
Bella: Ja, das ist wundervoll, und unser Longfellow hat ein schönes Gedicht geschrieben: »Walther[XI-1] von der Vogelweide«; ich will es gerne im Englischen sagen, wenn Sie mir erlauben wollen, Herr Meister?
Herr Meister: Bitte, Bella, ich möchte es hören.
Bella:
WALTER VON DER VOGELWEID.
Vogelweid the Minnesinger,
When he left this world of ours,
Laid his body in the cloister,
Under Würzburg's minster towers.
And he gave the monks his treasures,
Gave them all with this behest:
They should feed the birds at noontide
Daily on his place of rest;
Saying, "From these wandering minstrels
I have learned the art of song;
Let me now repay the lessons
They have taught so well and long."
Thus the bard of love departed;
And, fulfilling his desire,
On his tomb the birds were feasted
By the children of the choir.
Day by day, o'er tower and turret,
In foul weather and in fair,
Day by day, in vaster numbers,
Flocked the poets of the air.
On the tree whose heavy branches
Overshadowed all the place,
On the pavement, on the tombstone,
On the poet's sculptured face,
On the cross–bars of each window,
On the lintel of each door,
They renewed the War of Wartburg,
Which the bard had fought before.
There they sang their merry carols,
Sang their lauds on every side;
And the name their voices uttered
Was the name of Vogelweid.
Till at length the portly abbot
Murmured, "Why this waste of food?
Be it changed to loaves henceforward
For our fasting brotherhood."
Then in vain, o'er tower and turret,[XI-2]
From the walls and woodland nests,
When the minster bells rang noontide,
Gathered the unwelcome guests.
Then in vain, with cries discordant,
Clamorous round the Gothic spire,
Screamed the feathered Minnesingers
For the children of the choir.
Time has long effaced the inscriptions
On the cloister's funeral stones,
And tradition only tells us
wher repose the poet's bones.
But around the vast cathedral,
By sweet echoes multiplied,
Still the birds repeat the legend
And the name of Vogelweid.
Herr Meister: Ich danke Ihnen, Bella. Das Gedicht ist schön.
Otto: Ich will versuchen, ein deutsches Gedicht davon zu machen.
Herr Meister: Thun Sie das, Otto.
Herr Meister: Ich möchte noch sagen: Wie die Turnvereine, so kommen auch die Gesangvereine oft nach Thüringen und auf die Wartburg.
Louis: Gesangvereine? Sind das nicht Klubs, die da singen?
Herr Meister: Gewiß, Louis.
Anna: Hat Deutschland viele Gesangvereine?
Herr Meister: Sehr viele, mein Fräulein, sehr viele; mehr Gesangvereine als Turn– und Schützenvereine; Sie wissen ja, Deutschland ist das Land der Musik.
Bella: Ja, das ist wahr, und darum habe ich Deutschland immer so bewundert.
Otto: Herr Meister, ich habe so oft gedacht: Wie kommt es doch, daß Deutschland die meisten und größten Musiker in der Welt hat: Beethoven, Mozart, Weber, Haydn, Schumann, Gluck, Schubert, Händel, Bach, Mendelssohn, Meyerbeer, Wagner und .....
Bella: Und Strauß; ah, vergessen Sie Strauß nicht, Otto, Strauß, der die schönen Walzer komponiert.
Otto: O, gewiß, Fräulein Bella, Strauß und noch viele, viele andere.
Louis: Herr Meister, Sie haben uns sehr schöne Anekdoten von Beethoven, Mozart und Haydn erzählt, aber nicht eine von den anderen Komponisten.
Herr Meister: Freund Louis, das will ich später einmal thun. Heute will ich nur noch bemerken (= sagen), der Freund Ihres Bruders, Herr Heinrich, könnte (ich kann, ich könnte) auch noch sagen, daß in diesem Thüringen die Brüder Grimm ihre schönsten Märchen gefunden haben. Und ferner (= auch), meine Freunde, will ich bemerken, daß wir auch bald Weihnachtsferien nehmen müssen, und daß[XI-3] ich einige Monate nicht in der Stadt sein werde, ich werde verreisen.
Bella: Ach!
Anna: O, Herr Meister!
Louis: Das ist schade!
Otto: Das bedauere ich recht sehr, Herr Meister.
Herr Meister: Auch mir thut es sehr leid. Bevor wir aber heute scheiden (= gehen), will ich Ihnen noch ein Märchen von Grimm erzählen.
Anna: Das ist schön, Herr Meister!
Herr Meister: Ein Mann hatte eine Frau und eine Tochter. Die Frau war sehr krank, und als sie ihr Ende nahe fühlte, rief sie ihre Tochter an das Bett und sagte: »Mein Kind, ich kann nicht mehr bei dir sein, ich muß von dir gehen auf lange, lange Jahre; aber wenn ich nicht bei dir bin, so denke immer an den lieben Gott und thue das Gute, so wird der liebe Gott auch bei dir sein und dir helfen.« Bald darauf (= nicht lange) hatte das Kind keine Mutter mehr. Der liebe Gott hatte sie zu sich genommen.
Der Mann aber nahm eine andere Frau; die hatte kein gutes Herz, und ihre zwei Töchter auch nicht, und ihre Töchter waren nicht schön, und sie war böse mit ihrer Stieftochter, weil sie so schön war. Ihre Töchter hatten es gut und hatten das Beste und hatten alles, was sie wollten, und ihre Stieftochter hatte nichts. Sie durfte (ich darf, ich durfte) nicht in das Zimmer kommen, sie mußte arbeiten und immer in der Küche bleiben, und oft war sie voll mit Asche, und die Stiefmutter rief sie dann immer: »Aschenputtel! Aschenputtel!« und alle gaben ihr nun den Namen »Aschenputtel.« O, arme Aschenputtel! Ihr Vater sah alles, aber er mußte still sein, denn die zweite Frau war ja so böse!
Einmal ging der Vater auf lange Zeit von Hause, und er fragte die Töchter: »Was soll ich für euch nach Hause bringen?« Die eine sagte: »Ich will Perlen.« Die andere sagte: »Ich will Diamanten.« Aschenputtel aber sagte: »Bring' mir, lieber Vater, ein kleines Bäumchen, ich will es auf das Grab meiner Mutter pflanzen.«
Der Vater ging, und als er wieder nach Hause kam, brachte (ich bringe, ich brachte, ich habe gebracht) er für die eine Tochter Perlen, und für die andere Diamanten, aber für Aschenputtel hatte er ein schönes Bäumchen, und sie pflanzte das Bäumchen auf das Grab ihrer guten Mutter, und oft, wenn es so schlimm war im Hause für sie, ging sie auf das Grab, setzte sich unter das Bäumchen und dachte an ihre gute Mutter und betete: »O guter Gott, bring' mich zu meiner Mutter in den Himmel, denn hier auf Erden hab' ich keine Freuden, aber viel Leiden (= Böses).« Dann sangen die Vögel auf dem Bäumlein so schön; Thränen kamen aus Aschenputtels Augen, und im Herzen war sie wieder froh. Darum war sie gut mit den Vögeln und gab ihnen Körner und Brot, und die Vögel kannten (ich kenne, ich kannte, ich habe gekannt) sie und waren ihre Freunde.
In der Stadt aber war ein Prinz, jung und schön, und er wollte auch eine schöne Frau haben, und in seinem Palaste gab er darum einen Ball. Alle Mädchen konnten kommen, und die schönste von ihnen sollte seine Frau werden und Königin im Lande.
Aschenputtel wollte auch gern gehen, aber die Mutter nahm einen Sack voll mit Linsen und warf (ich werfe, ich warf, ich habe geworfen) sie in die Asche und sagte: »Nimm (= ich nehme) alle diese Linsen aus der Asche, und wenn du es gethan hast, magst du gehen.«
Da öffnete Aschenputtel die Thüre und rief: »Kommt ihr Vöglein all, denn ich will zum Ball.« Und alle kamen, alle ihre kleinen Freunde, und pickten die Linsen aus der Asche.
Die Stiefmutter aber hatte die Vöglein nicht gesehen, und da sie keine Linsen mehr in der Asche fand, war sie böse und nahm die Linsen und warf die Linsen noch einmal in die Asche und sagte: »So, nun thue es noch einmal.«
Und wieder öffnete Aschenputtel die Hausthüre, und wieder kamen ihre kleinen Freunde, die Vöglein, und pickten die Linsen aus der Asche.
Da fragte Aschenputtel die Mutter: »Kann ich nun zum Balle gehen?« Sie aber sagte: »Nein, du bleibst im Hause, denn ich will gehen mit meinen Töchtern.« Und sie ging mit ihren zwei Töchtern.
Aschenputtel aber ging auf das Grab ihrer Mutter und sagte zum Bäumchen:
»Bäumlein, Bäumlein,
Schüttele dich,
Wirf Gold und Silber
Über mich.«
Und das Bäumlein schüttelte sich und warf über sie ein Kleid, ha! das glitzerte von Gold und Silber, und auf ihrem Haar hatte sie Perlen und Diamanten, und an ihren Füßchen hatte sie ein Paar Schuhe von Gold, die waren so klein. Und da war auch ein Wagen mit vier weißen Pferden. Aschenputtel setzte sich in den Wagen und fuhr vor des Prinzen Palast. Alle tanzten in der schönen Halle. Als aber Aschenputtel kam, standen alle still, wunderten sich und riefen: »O, wie schön! Wer ist sie?«
Und der Prinz kam zu ihr, tanzte mit ihr und fragte sie: »Was ist dein Name, schöne Prinzessin, wo ist deines Vaters Palast?« Aschenputtel aber sagte nichts, und die andern auch nicht, denn niemand (= keine Person) kannte sie, auch die Mutter und die Töchter nicht.
Nach Mitternacht ging die Mutter nach Hause. Aschenputtel war vor ihnen nach Hause gefahren und lag in der Küche, und die Mutter meinte, sie schliefe (ich schlafe).
Am nächsten Abend war wieder Ball. Die Mutter ging wieder mit den Töchtern in des Prinzen Palast, und Aschenputtel ging wieder auf das Grab der Mutter und sagte zum Bäumlein:
»Bäumlein, Bäumlein,
Schüttele dich,
Wirf Gold und Silber
Über mich.«
Und ein Kleid fiel vom Bäumchen, das war wie Gold und Silber und noch schöner als das erste, und in ihren Haaren hatte sie Perlen und Diamanten, und an ihren Füßchen hatte sie ein Paar Schuhe, die waren so klein, und bei dem Bäumlein stand ein Wagen mit vier schwarzen Pferden. In den Wagen setzte sich Aschenputtel, kam vor des Prinzen Palast und ging in den schönen Saal.
Da riefen alle und auch die Mutter mit den Töchtern: »Da ist die Prinzessin wieder, da — da — wie schön, wie reich sie ist!«
Und der Prinz ging zu Aschenputtel und tanzte mit ihr allein und mit niemand mehr den ganzen Abend. Und wieder fragte der Prinz: »Schöne Prinzessin, o sage mir, was ist dein Name, und aus welchem Lande kommst du?« Sie aber sagte wieder nichts. Mitternacht kam, und sie ging aus dem Saale, setzte sich in den Wagen, und so schnell rollte der Wagen dahin, daß der Prinz ihr nicht folgen konnte.
Als die Mutter nach Hause kam, lachte sie mit ihren zwei Töchtern, denn Aschenputtel lag in der Küche und schlief.
Nun kam der dritte Abend, da wollte der Prinz die Schönste zu seiner Gemahlin nehmen. Alle waren da und auch Aschenputtel; ihre Kleider waren noch reicher und noch schöner als zuvor, und sie selbst war auch die Schönste von allen. Der Prinz sprach mit ihr allein und tanzte nur mit ihr. Mitternacht ging sie wieder aus dem Saale, sie wollte schnell in ihren Wagen und verlor einen Schuh und brachte nur einen Schuh nach Hause. Als die Mutter nach Hause kam, rief sie: »Seht, meine Töchter, da liegt sie bei der Asche und schläft, o, seht doch da, seht den Aschenputtel da!«
Der Prinz aber hatte den einen goldenen Schuh gefunden. »Mit diesem Schuhe muß ich sie auch finden!« sagte er. Und der Prinz ging in alle Häuser der Stadt, aber der Schuh war für alle Mädchen zu klein. Er kam auch in Aschenputtels Haus. Die Stiefmutter war froh und dachte: »Ha, nun kann meine Tochter Prinzessin werden!« Aber der Schuh war zu klein für die eine und für die andere auch. Von Aschenputtel sagte die Mutter kein Wort. Der Prinz aber sprach: »Ihr habt noch eine Tochter, ich weiß es; ich will sie sehen.« »O,« sagte die Stiefmutter, »die ist nicht für Euch, mein Prinz, sie ist in der Küche und ist nicht schön.« Aber der Prinz wollte sie sehen, und Aschenputtel kam in das Zimmer. Und der Prinz rief: »Das ist sie, ja, das ist sie. Das ist dein Schuh! Ja, liebes Mädchen, du bist mein, mein!« Und der Prinz setzte Aschenputtel auf sein Pferd, und beide ritten vom Hause.
Aschenputtel aber ging noch einmal auf das Grab, und dachte an ihre gute Mutter und dankte dem lieben Gott, daß er so gut war mit ihr. Die Vöglein sangen so froh, so froh. Und Aschenputtel kam mit dem Prinzen in den Palast und war die Gemahlin des Prinzen, und sie waren glücklich ihr Lebenlang.
Anna: Und?
Herr Meister: Hier ist das Ende, mein Fräulein.
Anna: Das ist schade!
Herr Meister: Wir müssen nun nach Hause gehen,[XI-4] Otto, es ist spät, nicht wahr? Meine Freunde, werde ich Sie heute Abend in meinem Hause sehen?
Alle: O gewiß, Herr Meister, wir kommen alle.
Louis: Und morgen bringe ich auch meinen deutschen[XI-5] Brief.