Louis: »Weihnachtsbaum,« was für ein Baum ist das?
Herr Meister: Das ist der Baum, der alle Herzen mit Freude erfüllt, die Alten jung macht und den Jungen das größte Glück bringt. Er giebt Licht und Gold und die süßesten Früchte und alles, was Menschen nur wünschen.
Louis: Das ist ja ein wunderbarer Baum.
Herr Meister: Aber er ist nur an einem Tage im Jahre, an Weihnachten; am nächsten Morgen ist er wieder leer.
Louis: O, nun verstehe ich. Sie sprechen von dem »Bäumlein,« das andere Blätter gewollt.
Herr Meister: Nun wohl, das ist der Baum. Aber der Baum steht nicht im Walde, im kalten Wetter, sondern in der warmen Stube. Ich will deutlich (= klar) mit Ihnen sprechen. Sie wissen, wann Weihnachten ist, Louis. Nicht wahr?
Louis: Ja, am fünfundzwanzigsten Dezember.
Herr Meister: Sehr wohl. Wochen vorher (= bevor) denken Mutter und Kinder an diesen Tag. Die Töchter sitzen in ihrem Zimmer und arbeiten etwas für den Vater und für die Mutter und studieren mit dem kleinen Bruder und mit der kleinen Schwester ein kleines Gedicht. Und die Mutter! Ach, die Mutter hat viel, viel zu thun, sie muß von einem Laden zum andern gehen.
Louis: Was ist das »Laden«?
Otto: Ein Laden ist ein Haus, in dem man Ware kaufen kann. In einem Schuhladen kauft man Schuhe, in einem Papierladen Papier und in einem Buchladen Bücher.
Louis: Danke, ich verstehe.
Herr Meister: Sie muß von einem Laden in den andern gehen und muß so vieles kaufen für die großen Töchter und Söhne und so vieles für die kleinen. Da hat sie Sorgen, aber es sind liebe Sorgen. Und dann kommen die Pakete nach Hause, und die Kleinen sind neugierig und möchten wissen (= ich weiß), was darin ist. Aber die Mutter sagt freundlich: »Nichts für euch, meine Lieben. Nichts für euch.« Und dann fragen die neugierigen Kleinen lachend: »Wann ist Weihnachten, liebe Mama? Haben wir dieses Jahr einen Weihnachtsbaum?« Und dann sagt die Mutter: »Ich weiß nicht, meine lieben Kinder, ob der Weihnachtsmann, das ist Sankt Klaus, dieses Jahr kommen wird.« »O Mama,« rufen die Kleinen, »wird der Weihnachtsmann kommen, o gute, liebe Mama, laß ihn kommen, laß ihn kommen.« »Ich glaube,« sagt die Mutter, »der Weihnachtsmann wird kommen und wird auch viel Schönes mitbringen, — wenn ihr immer gut seid und brav.« Alle Tage nun sagen die Kleinen:
»O Weihnachtsmann, o Weihnachtsmann,
Komm doch zu uns herein!
Wir bitten dich so lange schon,
Wir Kinder groß und klein.
O Weihnachtsmann, o Weihnachtsmann,
Vergiß nicht unser Haus.
Und schütte deinen Weihnachtssack
Auf unser Tischchen aus.
O Weihnachtsmann, o Weihnachtsmann,
Vergiß den Baum auch nicht
Mit Äpfeln, Nüssen, Zuckerwerk
Und manchem hellen Licht!
Wir wollen auch recht artig
Und folgsam immer sein.
O lieber, guter Weihnachtsmann,
Komm doch zu uns herein!«
Und der Weihnachtsabend kommt. Und die kleinen und großen Kinder sitzen alle zusammen in ihrer Stube und warten, bis die Mutter sie ruft. »Jetzt kommt Mama!« sagt der eine. Aber es war nicht die Mama, es war der Diener. »Jetzt aber kommt sie!« ruft ein anderer Ungeduldiger wieder. Aber es war eine andere Person. Da, — jetzt wird die Thür zur besten Stube geöffnet, und ein »Ah« kommt von den Lippen der Kinder. Sie sehen den Weihnachtsbaum in vollem Lichte.
»Das hat der Weihnachtsmann gebracht für meine guten Kinder,« sagt die Mutter, und die guten Kinder küssen Vater und Mutter, Großvater und Großmutter vor Freude. »O wie schön! wie schön!« rufen alle. »Sieh, sieh, was ich habe!« ruft der eine, und »O, sieh, was ich habe!« ruft der andere.
Das Lied ist nun zu Ende. Der Jüngste sitzt (ich sitze, ich saß, ich habe gesessen) auf Großpapas Schoß, und die Großmama erzählt von Jesus Christ, der das Heil in die Welt gebracht (ich bringe, ich brachte, ich habe gebracht). Alle hören, sind froh und glücklich. Hier ist ein Paradies auf Erden.
Bella: O, nun begreife (= verstehe) ich die Begeisterung (= Enthusiasmus), mit welcher unsere Freundin vom Weihnachtsbaum sprach.
Anna: Bella, wir wollen in diesem Jahre auch einen Weihnachtsbaum haben, und wir laden alle unsere guten Freunde ein.
Bella: Ihr Bruder Albert wird in Berlin viele Weihnachtsbäume sehen können.
Herr Meister: Gewiß. Wenn Sie am Christabend (oder Weihnachtsabend, das ist dasselbe) durch die Straßen Berlins gehen, dann ist es so hell, wie bei einer Illumination. Das kommt von den Lichtern an den Weihnachtsbäumen. Sie haben mir lange nichts erzählt von Ihrem Bruder Albert.
Louis: Ich glaube, mein Bruder wird (= will) mir nicht schreiben, bevor ich seinen deutschen Brief mit einem andern deutschen Briefe beantwortet habe, und ich kann noch keinen guten deutschen Brief schreiben.
Herr Meister: Wohl, mein Freund, wohl können Sie nun einen guten deutschen Brief schreiben. Versuchen Sie es zu Hause.
Louis: »Versuchen Sie es.« Was meinen Sie mit dem Wort »versuchen«?
Herr Meister: Ich meine, daß Sie zu Hause Feder und Papier nehmen und beginnen sollen, einen Brief zu schreiben. Sie werden sehen, es wird gut gehen.