Als jener Mann die Königstochter zurückgebracht hatte, da sollte Hochzeit werden. Die Königstochter aber wollte nicht und sprach: »Das ist doch nicht der Rechte. Mein Retter wird kommen, er hat die Hälfte meines Haarpfeils und die Hälfte meines seidnen Tuches zum Zeichen.« Als der Jüngling aber so lange nicht kam und der andere den König drängte, da wurde der ungeduldig und sagte: »Morgen soll die Hochzeit sein!« Die Königstochter ging betrübt durch die Straßen der Stadt und suchte und suchte, ob sie ihren Retter nicht finde. An jenem Tage gerade kam die Sänfte an. Die Königstochter sah das halbe Tuch in der Hand des Jünglings. Voll Freuden nahm sie ihn mit zu ihrem Vater. Er mußte den halben Haarpfeil zeigen, der paßte genau zur andern Hälfte. Da glaubte der König, daß es der Rechte sei. Der falsche Bräutigam wurde bestraft, und man feierte Hochzeit, und sie lebten vergnügt und glücklich bis an ihr Ende.
Vor langen Zeiten lebten einmal ein König und eine Königin, die hatten eine Tochter. Eines Tages ging die Tochter im Garten spazieren. Da erhob sich plötzlich ein sehr großer Sturm, der sie mit sich führte. Der Sturm kam aber vom neunköpfigen Vogel. Der raubte die Prinzessin und brachte sie in seine Höhle. Der König wußte nicht, wohin seine Tochter verschwunden war. So ließ er im ganzen Lande ausrufen: »Wer die Prinzessin wiederbringt, der soll sie zur Frau haben.«
Ein Jüngling hatte den Vogel gesehen, wie er die Königstochter in seine Höhle trug. Die Höhle war aber mitten an einer steilen Felswand. Man konnte von unten nicht hinauf und von oben nicht hinunter. Wie er nun um den Felsen herumging, da kam ein anderer, der fragte, was er da tue. Er erzählte ihm, daß der neunköpfige Vogel die Königstochter geraubt und in die Berghöhle hinaufgebracht habe. Der andere wußte Rat. Er rief seine Freunde herbei, und sie ließen den Jüngling in einem Korb zur Höhle hinunter. Wie er zur Höhle hineinging, da sah er die Königstochter dasitzen und dem neunköpfigen Vogel seine Wunde waschen; denn der Himmelhund hatte ihm den zehnten Kopf abgebissen, und die Wunde blutete immer noch. Die Prinzessin aber winkte dem Manne zu, er solle sich verstecken. Das tat er auch. Der Vogel fühlte sich so wohl, wie die Königstochter ihm die Wunde wusch und ihn verband, daß alle seine neun Köpfe einer nach dem andern einschliefen. Da trat der Mann aus dem Versteck hervor und hieb ihm mit einem Schwert alle seine Köpfe ab. Dann führte er die Königstochter hinaus und wollte sie in dem Korb hinaufziehen lassen. Die Königstochter aber sprach: »Es wäre besser, wenn du erst hinaufstiegst und ich nachher.«
»Nein«, sprach der Jüngling. »Ich will hier unten warten, bis du in Sicherheit bist.«
Die Königstochter wollte anfangs nicht; doch ließ sie endlich sich überreden und stieg in den Korb. Vorher aber nahm sie einen Haarpfeil, brach ihn in zwei Teile, gab ihm den einen und steckte die andere Hälfte zu sich. Auch teilte sie mit ihm ihr seidenes Tuch und sagte ihm, er solle beides wohl verwahren. Als aber jener andere Mann die Königstochter heraufgezogen hatte, da nahm er sie mit sich und ließ den Jüngling in der Höhle, wie er auch rief und bat.
Der Jüngling ging nun in der Höhle umher. Da sah er viele Jungfrauen, die hatte alle der neunköpfige Vogel geraubt, und sie waren hier Hungers gestorben. An der Wand hing ein Fisch, der war mit vier Nägeln angenagelt. Als er den Fisch berührte, verwandelte sich der in einen schönen Jüngling. Er dankte ihm für seine Rettung. Sie schlossen Brüderschaft fürs Leben. Allmählich bekam er grimmigen Hunger. Er trat vor die Höhle, um Nahrung zu suchen, aber da waren überall nur Steine. Da sah er plötzlich einen großen Drachen, der an einem Steine leckte. Das tat der Jüngling auch, und alsbald hatte er keinen Hunger mehr. Nun fragte er den Drachen, wie er von dieser Höhle fortkommen könne. Der Drache neigte seinen Kopf zum Schwanz und deutete ihm an, daß er sich darauf setzen solle. Er stieg nun auf den Schwanz des Drachen, und im Umsehen war er unten auf der Erde, und der Drache war verschwunden. Er ging nun weiter, da fand er eine Schildkrötenschale voll von schönen Perlen. Es waren aber Zauberperlen. Wenn man sie ins Feuer warf, so hörte das Feuer auf zu brennen; wenn man sie ins Wasser warf, tat sich das Wasser auf, und man konnte hindurchgehen. Er nahm die Perlen aus der Schildkrötenschale heraus und steckte sie zu sich. Nicht lange danach kam er an den Strand des Meeres. Er warf eine Perle hinein; da teilte sich das Meer, und er erblickte den Meerdrachen. Der rief: »Wer stört mich hier in meinem Reich?« Der Jüngling sprach: »Ich habe Perlen gefunden in einer Schildkrötenschale und habe sie ins Meer geworfen, da hat das Wasser sich mir aufgetan.«
»Wenn es so ist«, sagte der Drache, »so komm zu mir ins Meer, da wollen wir miteinander leben.« Da erkannte er, daß es derselbe Drache war, den er in jener Höhle gesehen. Auch der Jüngling war da, mit dem er Brüderschaft geschlossen. Es war des Drachen Sohn.
»Du hast meinen Sohn gerettet und mit ihm Brüderschaft geschlossen, so bin ich dein Vater«, sagte der alte Drache. Und er bewirtete ihn mit Wein und Speisen.
Eines Tages sprach sein Freund zu ihm: »Mein Vater wird dich sicher belohnen wollen. Nimm aber kein Geld, auch keine Edelsteine, sondern nur die kleine Kürbisflasche dort; mit der kann man herzaubern, was man will.«
Richtig fragte ihn der alte Drache, was er zum Lohne haben wolle, und er sprach zu ihm: »Ich will kein Geld und auch keine Edelsteine, ich will nur die kleine Kürbisflasche.«
Erst wollte der Drache sie nicht hergeben. Endlich gab er sie ihm doch. Dann ging er von dem Drachenschlosse weg.
Als er wieder aufs trockene Land kam, da wurde er hungrig. Alsbald stand ein Tisch mit vielem, schönem Essen da. Und er aß und trank. Er war eine Zeitlang weitergegangen, da wurde er müde. Schon stand ein Esel da, auf den setzte er sich. Er war eine Zeitlang geritten, da wurde der Esel ihm zu holprig; schon kam ein Wagen, da stieg er hinein. Der Wagen aber schüttelte zu sehr, und er dachte: »Wenn ich nur eine Sänfte hätte! Das ginge besser!« Schon kam eine Sänfte, und er setzte sich hinein. Die Träger trugen ihn bis zu der Stadt, wo der König, die Königin und ihre Tochter waren.