Jeden Herbst ein Mal steigt in finsterer Mitternacht ein kleines graues Männlein aus dem oberen See, geht den Berg hinunter an das Stadtthor und fragt den Thorwächter: »Ist die Stadt schon fertig oder giebt es dort noch etwas zu bauen?« In großen Städten pflegt es nun so zu sein, daß die Bauarbeit selten feiert, denn wenn auch keine neuen Gebäude aufgeführt werden, so giebt es doch aller Orten an den alten zu bessern und zu flicken und Sonstiges zu thun, so daß kaum eine Zeit eintritt, wo alle Werkleute ruhen. Sollte aber auch einmal alle Arbeit still stehen, so darf man doch das dem Seemännlein nicht verrathen. Deßhalb ist von der Obrigkeit wegen allen Thorwächtern strenger Befehl gegeben, auf die Frage des alten grauen Männleins jedes Mal zu antworten: »Die Stadt ist noch lange nicht fertig, viele Gebäude sind erst zur Hälfte aufgeführt, und es kann noch manches liebe Jahr währen, bis alle Arbeiten zu Stande gekommen sind.« Das fremde alte Männlein schüttelt dann zornig den Kopf, murmelt etwas in den Bart, was der Wächter nicht versteht, dreht sich rasch um und geht zum oberen See zurück, wo sein bleibender Aufenthalt ist. — Sollte ihm auf seine Frage jemals die Antwort gegeben werden, daß es in der fertig gewordenen Stadt nichts mehr zu bauen gebe, so würde Reval zur selbigen Stunde ein Ende nehmen, weil der obere See mit seiner ganzen Wassermasse vom Laaksberge herab in's Thal stürzen und die Stadt, sammt Allem was darinnen ist, ersäufen würde[63].