Die Geschichte von Morty Sullivan mag allen jungen Leuten zur Warnung dienen, in der Heimat zu bleiben, sich still und redlich zu nähren und nicht in der Welt umherzuziehen. Als Morty eben das fünfzehnte Jahr erreicht hatte, lief er seinen Eltern fort, die ein altes, ehrenwertes Paar waren und seinetwegen mehr als eine Träne vergossen. Alles, was sie von ihm in Erfahrung bringen konnten, war, daß er an Bord eines nach Amerika bestimmten Schiffes gegangen wäre. Der Kummer über seinen Verlust brach ihnen das Herz.
Dreißig Jahre, nachdem sich die Alten in das stille Grab gelegt hatten, kam ein Fremder nach Beerhaven und erkundigte sich nach ihnen; es war ihr Sohn Morty und, die Wahrheit zu sagen, sein Herz schien kummervoll, als er hörte, daß Vater und Mutter längst gestorben wären. Doch welche Antwort konnte er sonst erwarten? Reue kommt gewöhnlich, wenn es zu spät ist.
Indessen ward dem Morty Sullivan zur Buße für seine Sünden eine Wallfahrt nach der Kapelle der heiligen Gobnate angeraten; dies ist ein öder Platz, Ballyvourney genannt.
Er war sogleich bereit dazu und in der Absicht keine Stunde zu verlieren, fing er noch denselben Nachmittag seine Reise an. Er war noch nicht sehr weit gekommen, als schon die Nacht anbrach. Es schien kein Mond und das Sternenlicht verdunkelte sich von dickem Nebel, der in den Tälern aufstieg. Der Weg ging durch eine Berggegend mit vielen Kreuzwegen und Nebenpfaden, so daß es für einen Fremden, wie Morty, schwer fiel ohne Führer sich zurecht zu finden. So groß sein Eifer war, das Ziel seiner Wallfahrt zu erreichen, und so sehr er sich selbst antrieb, wurde er doch, als die Nebel immer dichter und dichter wurden, zuletzt ungewiß, ob er auf rechtem Wege sei. Als er daher ein Licht erblickte, welches ihm nicht weit entfernt schien, ging er darauf zu, und wie er sich ganz nah dabei glaubte, so schien das Licht plötzlich wieder in weiter Entfernung zu sein, und schimmerte nur ganz schwach durch den Nebel. So sehr auch Morty darüber erstaunte, ward er doch dadurch keineswegs entmutigt, denn er dachte: das sei ein Licht, welches die heilige Gobnate gesendet habe, um seine Füße sicher durch das Gebirg zu ihrer Kapelle zu leiten.
So ging er noch einige Stunden fort, immer, wie er glaubte, dem Licht sich nähernd, welches plötzlich in eine weite Entfernung gesprungen war. Endlich kam er doch so nah, daß er bemerkte, daß Licht rühre von einem Feuer, neben welchem er deutlich ein altes Weib sitzen sah. Jetzt, in der Tat, wurde sein Glaube ein wenig erschüttert, und es nahm ihn sehr Wunder, daß beides, das Feuer und alte Weib vor ihm hergezogen waren, so manche saure Stunde und über so holperichten Weg.
"Im Namen der heiligen Gobnate", rief Morty "und ihres Lehrers des heiligen Abban! Wie kann ein brennendes Feuer sich so schnell vor mir her bewegen und wie kann das alte Weib neben dem springenden Feuer sitzen!"
Kaum waren diese Worte über seine Lippen, als er sich, ohne nur noch einen Schritt zu tun, nahe bei dem wunderbaren Feuer befand, neben welchem das Weib saß und sein Abendessen kaute. Bei jeder Bewegung ihrer alten Kinnbacken richteten sich ihre Augen zornig auf Morty, als fürchtete sie gestört zu werden. Er sah mit dem höchsten Erstaunen, daß ihre Augen weder schwarz, noch blau, noch grau noch nußbraun waren, wie menschliche Augen, sondern von einer seltsam roten Farbe, gleich den Augen des Wiesels. Wenn er sich zuvor über das Feuer wunderte, so war seine Verwunderung über das Wesen des alten Weibes noch viel größer, und bei aller natürlichen Unerschrockenheit konnte er sie doch nicht ohne Furcht ansehen, denn er urteilte, und zwar mit Recht, daß sie eines guten Vorhabens wegen nicht an einem so einsamen Ort ihr Abendessen verzehre, zumal so spät, denn es war nahe an Mitternacht. Sie sprach kein Wort, sondern kaute und kaute, während Morty sie schweigend betrachtete.
"Wie heißt ihr?" rief zuletzt die Hexe und ein Schwefelhauch kam aus ihrem Mund, wobei sie die Nüstern aufblies und ihre Augen noch mehr funkelten, nachdem sie die Frage getan hatte.
Seine ganze Herzhaftigkeit aufbietend antwortete er: "Morty Sullivan, Euch zu dienen"; doch waren die letzten Worte bloß als eine Höflichkeit gemeint.
"Hoho!" rief die Alte, "Das wird sich bald zeigen!" und das rote Feuer ihrer Augen verwandelte sich in blaßgrün. So kühn und furchtlos auch Morty war, zitterte er doch heftig, als er den grauenhaften Ruf vernahm. Er wollte auf seine Knie fallen und die heilige Gobnate oder sonst einen Heiligen anrufen, war aber dermaßen von Schrecken erstarrt, daß er sich nicht im geringsten rühren konnte, geschweige auf seine Knie fallen.
"Faßt meine Hand, Morty", sagte die Alte, "ich will Euch ein Roß reiten lassen, das Euch bald an das Ziel eurer Reise bringen soll." Mit diesen Worten führte sie ihn auf den Weg und das Feuer ging vor ihnen her. Es übersteigt menschlichen Verstand, zu sagen, wie es ging, aber es ging fort, leuchtende Flammenzungen ausstreckend und heftig prasselnd.
Jetzt gelangten sie zu einer natürlichen Höhle an einer Bergwand. Die Alte rief laut mit einer kreischenden Stimme nach ihrem Pferd. In einem Augenblick brauste ein pechschwarzes Pferd aus seinem dunkeln Stall hervor und der Felsenboden ertönte schauerlich, als die schallenden Hufen darüber her schurrten. "Aufgesessen! Morty, aufgesessen!" schrie die Hexe und mit übernatürlicher Kraft ihn packend zwang sie ihn, sich auf den Rücken des Pferdes zu setzen. Morty fand hier menschlichen Widerstand vergeblich, murmelte: "Oh! hätte ich nur Sporn!" und versuchte in die Mähnen des Rosses zu greifen, doch er griff nach einem Schatten, welcher ihn gleichwohl aufnahm, mit ihm fortsprengend bald über einen gefährlichen Abgrund setzte, bald über das wild zerrissene Bett eines Flusses wegflog und gleich einem dunkeln, mitternächtigen Strom durch das Gebirg rauschte.
Am folgenden Morgen ward Morty Sullivan von einigen Wallfahrern entdeckt, welche von ihrem Umgang um den See Gougane Barra zurückkamen. Er lag, auf dem Rücken ausgestreckt, unter einem steilen Abhang, von welchem ihn die Phuka herabgeschleudert hatte. Morty war durch den Fall hart beschädigt und er soll auf der Stelle bei der Hand des O'Sullivan, und das ist kein geringer Eid, gelobt haben, niemals wieder die volle Flasche mit auf die Wallfahrt zu nehmen.
Anmerkungen:
Ballyvourney (Stadt meines Geliebten) liegt drei Stunden westlich von Macrum und wird als ein besonders heiliger Platz betrachtet. Ein Ablaß von Papst Clemens VIII. unterm 12ten Juli 1601, denen bewilligt, die dahin wallfahrten, steht in Smiths's history of Cork, wo man noch einiges andre von diesem Ort angemerkt findet.
Von der heil. Gobinate (ihr Tag ist der 11te Februar) hat man außerdem eine Sage. Vor etwa achthundert Jahren war ein mächtiger Häuptling mit dem Oberhaupt eines andern Stammes im Krieg begriffen und als er sah, daß sein Feind ihm an Kräften überlegen war, bat er die heil. Gobinate auf einem Feld, nahe bei dem zum Kampf bestimmten Platz, um Beistand. Hier befand sich ein Bienenstock und die heil. Gobinate erfüllte seine Bitte, indem sie die Bienen in bewaffnete Krieger verwandelte, welche aus dem Korb mit allem Schein militärischer Zucht, in Reih und Glieder hervorgingen und ihrem Führer in den Kampf folgten, in dem er Sieger blieb. Diesen trieb hernach Dankbarkeit an, die Stelle zu besuchen, von wo aus er so wunderbaren Beistand erhalten hatte; aber er fand, daß der Bienenkorb gleicherweise verwandelt war, aus dem Stroh und den Binsen in metall, und an Gestalt einem Helm nicht unähnlich. Diese Reliquie ist im Besitz der Familie O'Hierlyhie und wird von dem irischen Landvolk in großer Verehrung gehalten, so daß sie stundenweit gehen um sich einige Tropfen Wasser daraus zu verschaffen, welches, wenn es einem sterbenden Verwandten oder Freund gereicht wird, nach ihrem Glauben ihm den alsbaldigen Eintritt in den Himmel sichert. Vor noch nicht lang ward Wasser aus diesem metallenen Bienenkorb einem sterbenden Priester von seinem Beistand erteilt in Übereinstimmung mit dem herrschenden Aberglauben.
Der Irwisch, von welchem Morty geneckt wird, heißt im südlichen Irland bei dem Volk Miscaun marry.
In Schottland heißt das Licht, das die Wanderer von dem Weg ab, in Sümpfe und Abgründe lockt, Spunkie. S. Stewart S. 161, 162.
Morty schwört bei der Hand des O'Sullivan; ein Eid, der als besonders kräftig betrachtet wird, denn in einer alten Sage von der Familie heißt es:
Nulla manus,
tam liberalis,
atque generalis,
atque universalis,
quam Sullivanis.
Quelle: Thomas Crofton Croker, Fairy tales and traditions of the South of Ireland, London 1825;
in der Übertragung der Brüder Grimm, Irische Elfenmärchen, Jakob und Wilhelm Grimm, Leipzig 1826
The Spirit Horse
The history of Morty Sullivan ought to be a warning to all young men to stay at home, and to live decently and soberly if they can, and not to go roving about the world. Morty, when he had just turned of fourteen, ran away from his father and mother, who were a mighty respectable old couple, and many and many a tear they shed on his account. It is said they both died heartbroken for his loss: all they ever learned about him was that he went on board of a ship bound to America.
Thirty years after the old couple had been laid peacefully in their graves, there came a stranger to Beerhaven enquiring after them - it was their son Morty; and, to speak the truth of him, his heart did seem full of sorrow when he heard that his parents were dead and gone ; - but what else could he expect to hear? Repentance generally comes when it is too late.
Morty Sullivan, however, as an atonement for his sins, was recommended to perform a pilgrimage to the blessed chapel of Saint Gobnate, which is in a wild place called Ballyvourney.
This he readily undertook; and willing to lose no time, commenced his journey the same afternoon. He had not proceeded many miles before the evening came on: there was no moon, and the starlight was obscured by a thick fog, which ascended from the valleys. His way was through a mountainous country, with many cross-paths and by-ways, so that it was difficult for a stranger like Morty to travel without a guide. He was anxious to reach his destination, and exerted himself to do so; but the fog grew thicker and thicker, and at last he became doubtful if the track he was in led to the blessed chapel of Saint Gobnate. But seeing a light which he imagined not to be far off, he went towards it, and when he thought himself close to it the light suddenly seemed at a great distance, twinkling dimly through the fog. Though Morty felt some surprise at this he was not disheartened, for he thought that it was a light sent by the holy Saint Gobnate to guide his feet through the mountains to her chapel.
And thus did he travel for many a mile, continually, as he believed, approaching the light, which would suddenly start off to a great distance. At length he came so close as to perceive that the light came from a fire; seated beside which be plainly saw an old woman ;- then, indeed, his faith was a little shaken, and much did he wonder that both the fire and the old woman should travel before him, so many weary miles, and over such uneven roads.
"In the holy names of the pious Gobnate, and of her preceptor Saint Abban," said Morty, "how that burning fire move on so fast before me, who can that old woman be sitting beside the moving fire?"
These words had no sooner passed Morty's lips than he found himself, without taking another step, close to this wonderful fire, beside which the old woman was sitting munching her supper. With every wag of the old woman's jaw her eyes would roll fiercely upon Morty, as if she was angry at being disturbed; and he saw with more astonishment than ever that her eyes were neither black, nor blue, nor gray, nor hazel, like the human eye, but of a wild red colour, like the eye of a ferret. If before he wondered at the fire, much greater was his wonder at the old woman's' appearance; and stout-hearted as he was, he could not but look upon her with fear - judging, and judging rightly, that it was for no good purpose her supping in so unfrequented a place, and at so late an hour, for it was near midnight. She said not one word, but munched and munched away, while Morty looked at her in silence. - " What's your name?" at last demanded the old hag, a sulphurous puff coming out of her mouth, her nostrils distending, and her eyes growing redder than ever, when she had finished her question.
Plucking up all hjs courage, "Morty Sullivan," replied he, "at your service;" meaning the latter words only in civility
"Ubbubbo!" said the old woman, "we'll soon see that;" and the red fire of her eyes turned into a pale green colour. Bold and fearless as Morty was, yet much did he tremble at hearing this dreadful exclamation: he would have fallen down on his knees and prayed to Saint Gobnate, or any other saint, for he was not particular; but he was so petrified with horror, that he could not move in the slightest way, much less go down on his knees.
"Take hold of my hand, Morty," said the old woman: "I'll give you a horse to ride that will soon carry you to your journey's end." So saying, she led the way, the fire going before them ; - it is beyond mortal knowledge' to say how, but on it went, shooting out bright tongues of flame, and flickering fiercely.
Presently they came to a natural cavern in the side of the mountain, and the old hag called aloud in a most discordant voice for her horse! In a moment a jet-black steed started from its gloomy stable, the rocky floor wherof rung with a sepulchral echo to the clanging hoofs.
"Mount, Morty, mount !" cried she, seizing him with supernatural strength, and forcing him upon the back of the horse. Morty finding human power of no avail, muttered, " O that I had spurs!" and tried to grasp the horse's mane; but he caught at a shadow; it nevertheless bore him up and bounded forward with him; now springing down a fearful precipice, now clearing the rugged bed of a torrent, and rushing like the dark midnight storm' through the mountains.