Vor kaum einer Viertelstunde war das Schneemannsbaby Patsch-Patsch zur Welt gekommen. Unter seinem löchrigen Topfhut hervor betrachtete es die dämmrige Gegend. Es sperrte die Kohlenaugen weit auf, drehte an seiner langen Möhrennase und rutschte unruhig auf dem schrägen Dach der Hundehütte hin und her, wo es geboren worden war. Vom Himmel fielen dunkle Flocken, erst spärlich, dann immer dichter. Sie färbten Patsch-Patschs weißen Rock schwärzlich, was ihm großen Spaß machte.
„Herrlich!" jubelte Patsch-Patsch und wollte einen Schritt tun, um einige von den Flocken einzufangen.
„Hops nicht umher, du kannst runterfallen", knirschte der uralte einäugige und vom Tau zerfressene Schneemann, der zwischen Schuppen und Holzstoß in einem geschützten Winkel stand.
„Was ist das?" fragte Patsch-Patsch.
„Das ist Rußregen, der angeblich aus dem Schornstein kommt", brummte der Schneemann. „Auf seine Art mag er ganz hübsch sein, aber kann man denn alles, was hübsch ist, einfangen! Und was hättest du davon? Du rutschst aus, fällst runter und bist kaputt. Steh lieber still in deinem Winkel wie ich. Hier scheint weder die Sonne noch der Mond herein, hier weht kein Wind und wütet kein Sturm. Eine ganze Ewigkeit bin ich schon da — länger als vier Wochen — und ich denke nicht daran, klein beizugeben. Alle meine Altersgenossen sind aufgetaut, ich aber lebe immer noch. Und alles nur, weil ich nicht neugierig darauf war, was hinter der Schuppenwand und dem Holzstapel los ist."
Patsch-Patsch lauschte aufmerksam den Reden des alten Schneemanns.
Als es dunkelte, wurde ein Fenster zum Hof hin hell. Das Licht fiel auf etwas Funkelndes, das an der Dachrinne hing. Wie durch Zauberkraft wurde der Blick von diesem schillernden Etwas angezogen. Patsch-Patsch wollte den alten Schneemann danach fragen, doch der schnarchte seelenruhig vor sich hin.
Schon am Abend hatte es getaut. In der Nacht wehte ein warmer Südwest, und der Schnee wurde weich und klebrig. Patsch-Patsch schwitzte, doch seine Gedanken kreisten um das strahlende Ding an der Dachrinne. Ein paarmal war er versucht, seinen Standort zu verlassen, doch ihm fielen die warnenden Worte des alten Schneemanns ein, und er ließ es bleiben.
Wer mag das sein? Ob er mich von dort oben sieht? Und ob er überhaupt Notiz von mir nehmen würde? Er ist so schön und er hängt so hoch und kann so weit sehen. Ein einziges Mal nur möchte ich ihn aus der Nähe betrachten, dachte Patsch-Patsch. Der Wunsch, den Fremden kennenzulernen, wurde immer stärker in ihm.
Solange das Fenster erleuchtet und das schillernde Ding zu sehen war, blieb Patsch-Patsch auf seinem Posten. Dann aber erlosch das Licht, und alles hüllte sich in dunstige Finsternis. Patsch-Patsch schrie leise auf vor Schreck und tat, ohne zu überlegen, einen Schritt auf das Fenster zu. Er konnte sich nirgends festhalten, stürzte ins Leere und zerfiel in mehrere Stücke.
Es tat gar nicht weh. Patsch-Patschs Kopf rollte zum Fenster. Seine schwarzen Kohlenaugen blickten verwundert in den nächtlichen Himmel.
Da fiel mit hellem Klirren etwas neben ihm nieder. Hell leuchtete es in der Dunkelheit auf.
Einen Augenblick herrschte Schweigen.
„Wer bist du?" fragte Patsch-Patsch leise; er hatte in seinem Nachbarn das strahlende Ding erkannt. „Ich hatte mir so sehr gewünscht, dich kennenzulernen."
„Ich bin ein Eiszapfen", antwortete der Unbekannte. „Auch ich wollte mit dir bekannt werden. Schön, daß du zu mir gekommen bist."
„Ein Glück, daß ich nicht auf den alten Schneemann gehört habe", flüsterte Patsch-Patsch. „Doch was fangen wir nun an?"
„Wir werden zusammen tauen, und danach wandern wir dem großen blauen Meer entgegen. Unterwegs gibt es viel Interessantes und Schönes zu sehen. Es werden auch schwere Stunden kommen, doch das tut nichts, wir schaffen es schon", entgegnete der Eiszapfen heiter.
Gemeinsam begannen sie zu tauen, und als der Morgen graute, waren sie schon weit fort auf dem Weg zum fernen Meer.
In der Ecke zwischen dem Schuppen und dem Holzstoß hockte der alte Schneemann, den der Tau noch ärger zerfressen hatte.