kam ein Edelknab gelaufen, er solle geschwind zu der Frau Gräfin kommen, so eben habe ihr der Klapperstorch ein allerliebstes Töchterchen gebracht. Da lief der Graf geschwind hinauf in das Zimmer der Gräfin und sang den ganzen Weg:
"Mir ist geboren ein Töchterlein,
Sein Reich lehnt auf den Schultern sein,"
und als er hinauf kam, saß die Gräfin aufrecht auf ihrem Lager und hatte das liebe, arme Kind von Hennegau am Herzen, und der Graf war ganz außer sich vor Freude und lehnte sein Haupt auf die Schulter der Mutter und sah dem Töchterlein in die lieben Augen und vergoß Freudenthränen, dann nahm er seine Achselbänder, worauf zwei Edelsteine, die Reichskleinode von Vadutz, befestiget waren und sagte feierlich: "weil uns das liebe Töchterchen gerade bescheert worden ist, da man das Verschen sang, so will ich ihm auch sein Reich auf seine Schultern lehnen und zwar jetzt dir, als seiner treuen Vormünderin." Da heftete er seiner Gemahlin die Achselbänder mit den Edelsteinen, worauf das Wappen von Vadutz eingeschnitten war, auf die Schultern und sagte: "Ich belehne deine Erstgeborne durch dich und alle erstgebornen Töchter ihrer Nachkommen mit dem Ländchen Vadutz, es sey ein Frauenlehn, ein Kunkellehn in unsren Nachkommen, und sollen den erstgebornen Töchtern der Grafen von Hennegau, sobald sie die erste Kunkel des zartesten Flachses für die Armen, ohne den Faden zu zerreißen, abgesponnen haben, diese Edelsteine auf die Schultern geheftet und sie so mit dem Ländchen Vadutz belehnt werden."--Du nun, liebe Gackeleia, trägst jetzt diese Kleinodien auf deinen Achselbändern. Der alte Graf von Hennegau sprach nichts von dem Ursprung und den Gnaden dieser Kleinode, die bei seinen Vorfahren schon in Vergessenheit gekommen waren, welche aber die Ahnfrau später von drei Klosterfrauen erfuhr, denen sie zum Lohn ein Kloster Lilienthal stiftete, es sind dieselben, welche dort neben den Lilien bei ihr stehen.--Wegen diesen Kleinoden nun und dem Besitz der Grafschaft Vadutz entführten einige Ritter, welche nicht vom Auslande her regiert werden wollten, die Lehnshuldin und wurden hier von Urgockel erschlagen."
Hierauf schwieg Gackeleia ein Weilchen, und da Gockel sie fragte, "warum sprichst du nicht?" antwortete sie, in dem sie ihm eine Spindel voll des feinsten Gespinnstes reichte: "Ei Vater, weil ich jenen Rocken nicht abgesponnen, lehnte mir das Ländchen so schwer auf den Schultern wie ungerechtes Gut, da drehte ich den Ring Salomonis geschwind, geschwind am Finger wie eine Spindel und da hab ich sie nun voll feinem Garn für die Armen und es ist mir wieder ganz leicht auf den Schultern."
Da lächelten sie alle über die Gewissenhaftigkeit der neuen Königin Gackeleia von Gelnhausen, Gräfin von Gockelsruh und Hennegau, Lehnshuldin von Vadutz, und schauten die liebe Ahnfrau weiter an. Die goldnen Armringe, welche einst die weiten Aermel fest angeschlossen, waren los an den dürren Armen herabgesunken, die feinen weißen Hände ruhten an beiden Seiten des Leibes. Die linke hielt die obengenannten Heilkräuter, die Rechte ruhte auf einem großen Buch und faßte acht lange amaranthfarbige, mit Perlen gestickte Bänder, welche von dem ähnlichen Gürtel ausliefen, der das weite Gewand über den Hüften umschloß. An diesem Gürtel hingen auch Schlüssel, und ein Löffel, Kinder zu speisen und eine Rassel, Scheere und Aehnliches. Die hagern feinen Füßchen schauten so arm und rührend unter dem Saum des Gewandes hervor, als zitterten sie, und die mit Perlen gestickten Goldpantöffelchen waren zu weit geworden, und eines herunter gefallen, so daß der eine Fuß mit den weißen schimmernden Zehen hervorsah.--Da kniete Gackeleia mit großer Liebe und Rührung an dem Sarge nieder und küßte den Fuß und benetzte ihn mit Thränen, mit den Worten: "du liebes armes Kind von Hennegau hast ja dein Pantöffelchen verloren, o Mutter Hinkel sieh, wie muß das liebe Ahnfrauchen zu den Armen im Schnee herumgepatscht seyn, die Spitze des Fußes ist ganz braun, sie hat sich die Füße verfroren, --wart, ich weiß, was ich thue, in der goldnen Gallina der Königin von Saba ist eine Frostsalbe, hohle mir sie Kronovus!"--Gleich brachte Kronovus die Salbe und sie pflegte den Fuß der geliebten Todten damit und schaute mit Thränen den Vater an und sprach: "Vater Gockel, das liebe, arme Kind von Hennegau ist schon lange todt, aber ich darf es doch pflegen, nicht wahr Vater, das ist nicht ganz unvernünftig? denn sieh, ich muß es thun aus Liebe und Dank und würde mich schämen, so ich es nicht thäte, ich thue es mit dem Wunsche, es ihr selbst zu thun, sie wird schon wissen, wozu sie es gebrauchen kann, vielleicht kann sie jetzt, da ich ihr Liebe erwiesen habe, viel lustiger im Paradiesgarten herumtrippeln, und dankt mir es."--Unter diesen Worten küßte Gackeleia den Fuß, den sie gepflegt und nur einem reinen Tüchlein verbunden hatte und steckte ihn wieder in das Pantöffelchen, dann erhob sie sich und alle umarmten sie schweigend, und es ertönte von dem Geiste der Frau Urhinkel mit inniger Freude der Gesang her:
"Mein Schmerz ward milder, tausend Dank!
Lieb ewig heilt, was zeitlich krank,
Nimm dir zu deiner Liebe Lohn
Die ächten Steine von Vadutz;
Im großen Buche findst du schon,
Wie heilsam dieser Gnadenputz;
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!"