Ein Berggeist, der unheimlichen Spuk treibt, ist in den Tiroler Bergen das "Kasermannl".
Nach Maria Geburt nämlich, wenn der Senne die Alpe verlassen hat, wenn die Matten ihre grüne Samtdecke mit einem fahlen Herbstmantel vertauschen und der kalte Schneewind über die verödeten Gletscher weht, dann zieht das "Kasermannl" auf zur Alpe und nimmt von der verwaisten Sennhütte Besitz für den Winter.
Deutlich hört man dann durch die stillen Herbstnächte das Glockengeläute und Getrampel der aufziehenden Herde und den hohlen, heiseren Ruf des gespenstigen Älplers. Wenn dann noch ein Jäger in der späten Dämmerung an der Hütte vorüberkommt, so kann er das Kasermannl an der großen, großen Pfanne sitzen sehen.
Es ist von Natur aus gutmütig, aber auch boshaft und rachgierig, wenn es gereizt wird. So erzählt man sich viele lustige und auch ernste Geschichten von ihm, und es gibt wohl keine Sennhütte in diesen Bergen, die nicht ein Histörchen von dem Gespenst zu erzählen hätte. So ist es auch schon viele Jahre her, daß einmal eine arme Witwe (von Ried im Inntale) ihre beiden Kinder, einen zehnjährigen Knaben und ein Mädchen von acht Jahren, um Holz auf die nahe gelegene Umbrüggler Alpe geschickt hat.
Es war ein nebliger Morgen und schon ziemlich spät im Herbste. Die Kinder streiften spielend und tändelnd den Berg auf und nieder und dachten erst an die befohlene Arbeit, als es schon bald Zeit zum Heimgehen war.
Als nun jedes sein Bündel Holz zusammengeklaubt hatte, traten sie noch in die leere, offenstehende Sennhütte, schürten ein lustiges Feuer an und wärmten sich das mitgebrachte dürftige Essen.
Inzwischen war es draußen rasch dunkel geworden, ein grimmiger Windstoß fuhr über das Hüttendach, so daß der Dachstuhl bebte; und als die Kinder erschrocken ins Freie traten, da waren Berg und Tal schon mit tiefem Schnee bedeckt, und die Flocken fielen so dicht zur Erde, daß man auf keine drei Schritte vor sich sehen konnte. Ängstlich und verblüfft standen die armen Kleinen da; nichtsdestoweniger schickten sie sich an, durch den tiefen, tiefen Schnee den Heimweg anzutreten, da kam ihnen aber von der anderen Seite der Hütte ein altes, eisgraues Männlein entgegen in der gewöhnlichen Tracht der Tiroler Älpler und sprach zu ihnen in gutmütigem Tone:
"Mein - was wollt's denn jetzt z'Haus gehn in dem Wetter und Schnee? Geht's Kinder! Bleibt's bei mir da in der Hütten, ich koch' euch was und erzähl' euch G'schichten; morgen in der Früh', wenn's Wetter besser ist, könnt's nachher heimgehen!"
Die Rede des Alten und wie er sie gutmütig anschaute, das war so freundlich und Zutrauen erweckend, daß sie bald zum Bleiben entschlossen waren. Das Mädchen freilich sagte schüchtern, daß die Mutter wohl Angst bekommen möchte, wenn sie über Nacht nicht nach Hause kämen. Das Männlein meinte aber darauf: "Ah bah! - Besser, ihr kommt's morgen nach Hause, als gar nimmer; denn, wenn ich euch heut hinablass', so müßt's ja z'grund gehn in dem Schnee!" Darauf nötigte er die Kinder, sich am Herde wieder ein Plätzchen zu suchen, nahm aus einem versteckten Wandschrank Butter und Milch und feines Weizenmehl und kochte ihnen zum Nachtmahl eine tüchtige Pfanne voll Sennermus. Dabei schaute er dann mit dem innigsten Vergnügen zu, wie seine kleinen Gäste zugriffen und aßen und guter Dinge waren.
Dann bereitete er ihnen in einer Ecke ein weiches Lager von dürrem Moos, auf das sie ermüdet, wie sie waren, sich willig hinstreckten und bald in tiefen Schlaf versanken. Der Alte blieb aber am düster flackernden Feuer sitzen; seine Augen schienen keinen Schlummer zu kennen. Er schürte die Flamme, so daß sie eine milde Wärme in der Hütte verbreitete, und sah sich dabei oft und besorgt nach den schlummernden Kindern um.
Draußen stürmte und wetterte es aber, als sollte die Welt zugrunde gehen, und der Sturmwind rüttelte mit seinen Riesenfäusten am Hüttendache, als wollte er die ganze Kaser mit sich fortreißen in die gähnende Tiefe des Tales.
Lange mochte diese stürmische Nacht gedauert haben; endlich erhob sich der Alte mit gespenstiger Gebärde von seinem Sitze am Feuer und trat zu den noch fest schlummernden Kleinen: "Kinderlen! Kinderlen!" rief er mit leiser und fast weinerlich klingender Stimme, indem er sie sanft mit dem Finger berührte, "wacht auf! Es ist der Morgen da. Jetzt könnt ihr heimgehen."
Diese rieben sich die Augen, schauten verwundert umher und meinten, das wäre doch ein langer und fester Schlaf gewesen. Der Alte lächelte etwas schalkhaft, bereitete ihnen wieder einen kräftigen Morgenimbiß und führte sie dann ins Freie. Da war aber das Erstaunen der Kleinen noch viel ärger.
Es war der schönste, herrlichste Frühlingsmorgen da, Wiesen und Wälder waren mit frischem Grün bekleidet, und die munteren Waldvöglein sangen dem Schöpfer ihr jubelndes Morgenlied.
"Nicht wahr, Kinderlen", sagte der Alte mit einem gutmütig verschmitzten Gesicht, "heut ist's anders als gestern! - So, jetzt geht's heim zu eurer Mutter, grüßt sie mir schön und sagt's ihr, ihr hättet heut die Nacht beim Kasermannl geschlafen; sie soll euch aber 's nächstemal nicht mehr so spät im Jahre auf den Berg schicken, sonst könnt' sie ein Unglück mit euch haben."
Dann half er ihnen noch ihre Holzbündel aufnehmen und legte einem jeden ein frisches Butterweckerl in den Korb.
In einer Stunde hatten die Kinder schon das heimatliche Haus erreicht; als sie über die Schwelle traten, stand ihre Mutter da mit kummergebleichten Wangen, aber bei ihrem Anblick fiel sie vor Schreck und Freude beinahe in Ohnmacht.
"Ach Kinder, Kinder - das ist ein Wunder Gottes!" rief sie. "Ja, wo seid ihr denn g'wesen übern ganzen langen Winter? Ich hab' wahrhaftig geglaubt, ihr wäret schon lange tot und im Schnee begraben!"
"Übern Winter?" sagten die Kleinen verwundert, "wir sein ja nur über Nacht aus g'wesen!"
Nun kamen sie erst darauf, bei wem sie gewesen und wie lange, lange diese Nacht gedauert hatte. Da erzählten sie nun der dankbar staunenden Mutter die ganze Geschichte und langten zum Schlusse die frischen, duftigen Butterweckerln aus den Körben.
Und weil es sonst brave, gute Kinder waren, nahmen die Butterweckerln im Schranke kein Ende, bis es gerade wieder ein Jahr war, daß sie Holz klauben gegangen waren.