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狄更斯德语小说:双城记-22 Strickzeug

时间:2017-07-17来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: 狄更斯 小说
Es gab früher als gewöhnlich Gäste in Monsieur Defarges Weinstube. Schon morgens um sechs Uhr hatten bleiche Gesichter, die durch die vergitterten Fenster hineinschauten, drinnen andere Gesichter bemerkt, die sich über ihre Weingläser niederbeugten. Selbst in den besten Zeiten verkaufte Monsieur Defarge nur sehr dünnen Wein, aber er schien eben jetzt ganz ungewöhnlich dünn zu sein. Ein saurer Wein obendrein, oder ein sauer machender, denn er übte auf die Stimmung der Trinker einen gar trüben Einfluß. Keine lebhafte bacchanalische Flamme loderte aus der gepreßten Traube des Monsieur Defarge, sondern ein glostendes Feuer, das im verborgenen brannte, lag in ihrer Hefe verborgen. Es war der dritte Morgen dieser Frühtrunke in Monsieur Defarges Weinstube. Sie hatten am Montag begonnen, und heute war es Mittwoch. Man konnte es übrigens eher ein Morgenbrüten nennen als ein Trinken; denn seit die Tür geöffnet worden, hatten viele Leute zugehört, geflüstert und waren wieder fortgeschlichen, die, selbst wenn es ihren Seelen gegolten, keine Münze auf den Zahltisch hätten legen können. Sie waren jedoch in der Stube ebenso angesehen, wie wenn sie über ganze Fässer Wein zu verfügen vermocht hätten, und man sah sie von Sitz zu Sitz, von einer Ecke zur andern gleiten, wie sie mit gierigen Blicken statt des Trunks die Reden einsogen.
Ungeachtet des außerordentlichen Zulaufs von Gästen war der Inhaber des Weinschanks nicht sichtbar. Er wurde auch nicht vermißt; denn niemand von denen, die über die Schwellen schritten, sah sich nach ihm um oder fragte nach ihm. Niemand wunderte sich, daß nur Madame Defarge die Abgabe des Weines von ihrem Sitze aus überwachte, mit einem Teller voll Kleingeld vor sich, auf dem das ursprüngliche Gepräge so entstellt und abgerieben war wie auf der menschlichen Scheidemünze, aus deren zerlumpten Taschen es gekommen war.
Ein zurückhaltendes Interesse und eine vorherrschende Geistesabwesenheit wurde vielleicht bemerkt von den Spionen, die in die Weinstube hineinschauten; denn ihre Blicke reichen überall hin nach Hoch und Nieder, von dem Palaste des Königs an bis zu dem Kerker des Verbrechers. Die Spielkarten lagen müßig, Dominospieler bauten in Gedanken mit den Steinen Türme, Trinker zeichneten mit dem verschütteten Wein Figuren auf den Tisch, ja, sogar Madame Defarge stocherte mit ihrem Zahnstocher in dem Muster auf ihrem Ärmel und achtete nur auf etwas Unsichtbares und Unhörbares in weiter Ferne.
Saint Antoine verblieb in dieser eigentümlichen Weinlaune bis zum Mittag. Es war um die zwölfte Stunde, als zwei staubige Männer durch die Gassen der Vorstadt unter den Laternen vorbeikamen. In dem einen erkennen wir Monsieur Defarge, in dem andern einen Straßensteinschläger mit einer blauen Mütze. Voll Staub und Durst traten sie in die Weinstube. Ihre Ankunft hatte in der Brust von Saint Antoine eine Art Feuer angezündet, das, je weiter sie kamen, mehr und mehr um sich griff und an den meisten Türen und Fenstern in den Gesichtern flackernd hervorloderte. Aber niemand war ihnen gefolgt, und niemand ließ ein Wort verlauten, als sie in die Weinstube traten, obschon jedes Auge sich ihnen zuwandte.
»Guten Tag, meine Herren«, sagte Monsieur Defarge.
Dies war, scheint es, ein Signal, das allen die Zunge löste, denn es entlockte die Antwort im Chor: »Guten Tag.«
»Es ist schlimmes Wetter, meine Herren«, sagte Defarge den Kopf schüttelnd.
Hierauf sah jeder seinen Nachbar an; dann schlugen alle ihre Augen nieder und blieben stumm sitzen. Ein einziger machte davon eine Ausnahme; er stand auf und verließ das Zimmer.
»Frau«, sagte Defarge laut, sich an Madame Defarge wendend, »ich bin eine schöne Strecke gereist mit diesem wackeren Knecht, der Jacques heißt. Ich traf ihn zufällig anderthalb Tagmärsche von Paris. Er ist ein guter Mensch, dieser Knecht Jacques. Gib ihm zu trinken, Frau.«
Ein zweiter Mann stand auf und ging hinaus. Madame Defarge setzte dem Knecht namens Jacques Wein vor, worauf dieser gegen die Gesellschaft seine blaue Mütze lüftete und trank. Er zog aus der Brust seiner Bluse ein Stück rauhen, schwarzen Brotes heraus, brach sich in Zwischenräumen einen Bissen und kaute und trank in der Nähe von Madame Defarges Zahltisch. Ein Dritter stand auf und ging hinaus.
Defarge labte sich mit einem Schlucke Wein, genoß indes weniger, als es dem Fremden gereicht worden, da ihm als dem Hausherrn das Getränk keine Seltenheit war; dann blieb er wartend stehen, bis der Mann vom Lande seinen Imbiß gegessen hatte. Er sah von den Anwesenden niemand an, und auch von diesen hatte niemand ein Auge für ihn, nicht einmal Madame Defarge, die eifrig in ihrem Stricken fortfuhr.
»Seid Ihr fertig mit Eurem Mahle, Freund?« fragte er, nachdem er dem Fremden gehörig Zeit gelassen hatte.
»Ja; ich danke Euch.«
»So kommt. Ihr sollt das Gemach sehen, das Ihr, wie ich Euch sagte, haben könnt. Es wird Euch gewiß gut gefallen.«
Aus der Weinstube auf die Straße, von der Straße in den Hof, von dem Hofe eine steile Treppe hinan, von der Treppe in ein Dachstübchen – früher das Dachstübchen, in dem ein weißhaariger Mann auf einer niedrigen Bank vorwärts gebeugt saß und Schuhe anfertigte.
Es war kein weißhaariger Mann mehr da, wohl aber harrten darin die drei, die einzeln die Schenkstube verlassen hatten. Und zwischen ihnen und dem in weiter Ferne sich befindenden grauhaarigen Manne bestand das einzige kleine Verbindungsglied, daß sie ihn einmal durch die Risse in der Mauer gesehen hatten.
Defarge schloß sorgfältig die Tür und begann mit gedämpfter Stimme:
»Jacques Eins, Jacques Zwei, Jacques Drei, dies ist der Zeuge, der mir, dem Jacques Vier, infolge der Verabredung, entgegengekommen ist. Er wird euch alles sagen. Sprecht, Jacques Fünf.«
Der Knecht, der seine blaue Mütze in der Hand hatte, wischte sich die braune Stirn damit und sagte:
»Wo soll ich anfangen, Herr?«
»Fangt von vorn an«, lautete Monsieur Defarges nicht unvernünftige Erwiderung.
»Gut, ihr Herren«, begann der Knecht: »ich sah ihn, laufenden Sommer ist's ein Jahr, unter der Kutsche des Marquis, wie er in der Kette hing. Schaut, wie das war. Ich hatte meiner Arbeit den Rücken gekehrt, die Sonne ging unter, die Kutsche des Marquis fuhr langsam bergan, und er hing in der Kette – so.«
Und der Knecht machte wieder das alte Kunststück, in dem er es seitdem zu einer großen Vollkommenheit gebracht haben mußte, da es während eines ganzen Jahres die unfehlbare und unentbehrliche Unterhaltungszuflucht seines Dorfes gewesen war.
Jacques Eins fiel ein und fragte, ob er den Mann je zuvor gesehen habe.
»Nie«, antwortete der Knecht, indem er wieder eine lotrechte Stellung annahm.
Jacques Drei wollte wissen, wie er ihn nachher wiedererkannt habe.
»An seiner langen Gestalt«, versetzte der Knecht halblaut, indem er den Finger an seine Nase legte. »Als Monsieur le Marquis an jenem Abend zu mir sagte: ›Sag', wie er aussah‹, gab ich ihm zur Antwort: ›Lang wie ein Gespenst.‹«
»Ihr hättet sagen sollen, klein wie ein Zwerg«, bemerkte Jacques Zwei.
»Was wußte ich? Die Tat war damals noch nicht geschehen, und er hatte mich nicht zu seinem Vertrauten gemacht. Auch muß ich bemerken, daß ich selbst unter den obwaltenden Verhältnissen nicht mein Zeugnis anbot. Monsieur le Marquis deutet mit dem Finger auf mich, während ich neben unserem kleinen Brunnen stehe, und sagt: ›Bringt mir diesen Schurken her.‹ Wahrhaftig, meine Herren, ich hab' nicht aus freien Stücken gezeugt.«
»Es ist so, Jacques«, bemerkte Defarge halblaut gegen den Mann, der ihn unterbrochen hatte. »Weiter.«
»Gut«, sagte der Knecht mit geheimnisvoller Miene. »Der lange Mensch verschwindet und wird gesucht – wie viele Monate? Neun, zehn, elf?«
»Was liegt an der Zahl?« versetzte Defarge. »Er war gut verborgen, wurde aber zuletzt unglücklicherweise aufgefunden. Fahrt fort.«
»Ich bin wieder an dem Bergabhang bei meinem Steinhaufen, und die Sonne ist wieder am Untergehen. Ich nehme mein Werkzeug zusammen, um nach dem Dorfe und in mein Häuschen zurückzukehren, das schon im Dunkeln liegt. Wie ich meine Augen aufrichte, seh' ich über den Berg her sechs Soldaten kommen. In ihrer Mitte geht ein Mann, dem die Arme an die Seiten gebunden sind – so.«
Mit Hilfe der unentbehrlichen Mütze stellte er einen Menschen dar, dem mit auf dem Rücken zugeknoteten Stricken die Ellenbogen an den Brustkorb befestigt sind.
»Ich trete von meinem Steinhaufen zurück, meine Herren, um die Soldaten und ihren Gefangenen vorbeikommen zu sehen ('s ist ein einsamer Weg, wo alles, was vorkommt, sich des Sehens verlohnt). Wie sie näher kommen, bemerke ich anfangs weiter nichts, als daß es sechs Soldaten sind mit einem gebundenen langen Mann; sie kommen meinem Auge fast schwarz vor, mit Ausnahme der Seite, wo die Sonne untergeht und wo sie einen roten Schein haben. Gut, meine Herren; ich sah, daß ihre langen Schatten über der Wegböschung weg sich an der entfernteren Berganhöhe abmalen und wie die Schatten von Riesen erscheinen. Ferner bemerke ich, daß sie mit Staub bedeckt sind und daß jeder ihrer Schritte, wie sie tramp, tramp einherkommen, neuen Staub aufwühlt. Aber sobald sie mir ganz nahe gekommen sind, erkenne ich den langen Mann, und er erkennt mich. Ach, wie gern wär' er wohl wieder über den Abhang hinuntergekugelt wie an dem Abend, als ich ihm fast an demselben Platz zum erstenmal begegnete.«
Er beschrieb es, als ob sie dort wären, und es war sichtbar, daß er es lebhaft vor Augen hatte; vielleicht war ihm in seinem Leben nicht viel zu Gesicht gekommen.
»Ich lasse die Soldaten nicht merken, daß ich den langen Mann kenne; und auch er gibt kein Zeichen, daß er mich erkannt hat; wir aber verständigen uns durch die Augen. ›Vorwärts!‹ sagt der Führer der Abteilung und deutet auf das Dorf; ›macht, daß er zu seinem Grabe kommt.‹ Und sie treiben ihn schneller an. Ich folge. Seine Arme sind geschwollen wegen der festen Bande; seine hölzernen Schuhe sind plump und schwer, so daß er kaum gehen kann. Weil es nun nicht recht vorwärts will, so helfen sie mit den Gewehren nach – so.«
Er veranschaulichte das Vorwärtstreiben des Gefangenen durch Stöße mit den Musketenkolben.
»Während sie gleich wettrennenden Tollhäuslern den Berg hinabrasen, fällt er. Sie heben ihn wieder auf und lachen. Sein mit Staub bedecktes Gesicht blutet; aber er kann nicht danach hinlangen, und sie lachen wieder darüber. Sie bringen ihn nach dem Dorf; das ganze Dorf läuft zusammen, um ihn zu sehen. Man führt ihn an der Mühle vorbei und nach dem Gefängnis hinauf. Das ganze Dorf sieht, wie in der dunklen Nacht das Gefängnistor sich auftut und ihn verschlingt – so.«
Er öffnete den Mund, so weit er konnte, und ließ ihn mit einem klappenden Ton der Zähne wieder zuschnappen. Als Defarge bemerkte, daß der Mann nicht Lust hatte, den gemachten Eindruck durch ein abermaliges Öffnen zu beeinträchtigen, so sagte er zu ihm: »Fahrt fort, Jacques.«
»Das ganze Dorf«, fuhr der Knecht mit gedämpfter Stimme fort, während er zugleich sich auf die Fußspitzen stellte, »zieht sich zurück; das ganze Dorf flüstert bei dem Brunnen; das ganze Dorf schläft; das ganze Dorf träumt von dem Unglücklichen, der auf dem Felsen hinter Schloß und Riegel sitzt und nur wieder aus dem Gefängnis herauskommen soll, um zu sterben. Am Morgen nehme ich mein Werkzeug auf die Schulter und meinen Bissen Schwarzbrot in die Tasche, um ihn unterwegs zu essen, und mache auf meinem Gang zur Arbeit einen Umweg nach dem Gefängnis. Da sehe ich ihn hoch oben hinter dem Gitter eines eisernen Käfigs blutig und staubig wie gestern hervorschauen. Er hat keine Hand frei, um mir zuzuwinken. Ich wage es nicht, ihn anzurufen, und er betrachtet mich mit Augen wie ein toter Mann.«
Defarge und die drei warfen einander finstere Blicke zu. Ihre Mienen waren unheimlich, zurückhaltend und rachgierig, während sie der Geschichte des Landmanns zuhörten; auch ließ sich in ihrer Haltung etwas Gebieterisches nicht verkennen. Sie nahmen sich wie ein roher Gerichtshof aus. Jacques Eins und Zwei saßen auf dem alten Lotterbett und hatten das Kinn auf die Hand gestützt, während ihre Augen unverwandt auf dem Knecht hafteten. Jacques Drei, der ebenso aufmerksam war, stützte sich hinter ihnen auf das eine Knie und fuhr ohne Unterlaß mit der Hand über die in Aufregung spielenden Muskeln seiner Lippen und Nase. Defarge stand zwischen ihnen und dem Erzähler, dem er seinen Platz im Licht des Fensters angewiesen, und ließ seine Blicke von ihm auf die drei und von den dreien wieder auf ihn zurückgleiten.
»Weiter, Jacques«, sagte Defarge.
»Er bleibt einige Tage droben in seinem Käfig. Das Dorf schaut nur verstohlen zu ihm hinauf, denn es fürchtet sich. Aber es betrachtet immer aus der Ferne das Gefängnis auf dem Felsen, und abends, wenn es sich nach vollbrachtem Tagewerk zum Plaudern am Brunnen versammelt, wenden sich alle Augen dem Gefängnis zu. Früher pflegten sie sich auf das Posthaus zu richten, jetzt aber ist der Fels ihr Ziel. Sie flüstern sich am Brunnen zu, obgleich der Mann zum Tode verurteilt sei, werde er doch nicht hingerichtet werden; sie sagen, es seien in Paris Bittschriften eingereicht worden, die auseinandersetzten, der Tod seines Kindes habe ihn geisteskrank gemacht; sie sagen, der König selbst habe eine solche Bittschrift in Empfang genommen. Was weiß ich? Es ist möglich. Vielleicht ja, vielleicht auch nicht.«
»So hört denn, Jacques«, fiel ihm stummer Eins dieses Namens ins Wort. »Eine Bittschrift ist dem König und der Königin wirklich überreicht worden. Wir alle, die wir hier zugegen sind, mit alleiniger Ausnahme von Euch, haben gesehen, wie der König sie in Empfang nahm, als er mit der Königin an seiner Seite durch die Straßen fuhr. Defarge, den Ihr hier seht, war es, der unter Lebensgefahr mit der Schrift in der Hand vor die Pferde hintrat.«
»Und hört weiter, Jacques«, sagte die kniende Nummer Drei mit erstaunlich gieriger Miene, als hungere sie nach etwas, was weder Speise noch Trank war, die Finger wieder und wieder über die Lippen hinführend, »die Garde, Reiter und Fußgänger umgaben den Bittsteller und mißhandelten ihn mit Schlägen. Hört Ihr's?«
»Jawohl, ihr Herren.«
»Fahrt fort«, sagte Defarge.
»Andererseits munkelt man am Brunnen davon«, fuhr der Landmann fort, »er sei in unsere Gegend gebracht worden, um hier den Tod zu erleiden, und er werde ganz gewiß hingerichtet werden. Ja, man will sogar wissen, weil er Monseigneur umgebracht habe und Monseigneur der Vater seiner Leibeigenen sei, so werde ihn der Tod des Vatermörders treffen. Ein alter Mann sagt am Brunnen, man gebe ihm das Messer in die rechte Hand, haue sie ihm ab und verbrenne sie vor seinen Augen; dann reiße man Löcher in seine Arme, in seine Brust, in seine Beine und gieße kochendes Öl, geschmolzenes Blei, heißes Harz, Wachs und brennenden Schwefel hinein; endlich reiße man ihm mit vier starken Pferden Glied für Glied aus dem Leibe. Der alte Mann sagt, all dies sei wirklich einem Gefangenen geschehen, der einen Versuch auf das Leben des verstorbenen Königs Ludwig des Fünfzehnten machte. Aber wie kann ich wissen, ob er nicht lügt? Ich bin kein Studierter.«
»Hört mich noch einmal an, Jacques«, sagte der Mann mit der unruhigen Hand und der gierigen Miene. »Der Name jenes Gefangenen war Jacques Damíens, und der ganze Vorgang fand bei hellem Tage auf der offenen Straße dieser Stadt Paris statt. Und nichts war merkwürdiger in dem ungeheuren Zusammenlauf der Zuschauer als die Menge von hohen und vornehmen Damen, die kein Auge wandten von dem Schauspiel, solange es dauerte; es wurde nämlich bis in die Nacht hinein verlängert, und der Unglückliche hatte schon zwei Beine und einen Arm verloren, als er immer noch atmete. Dies ist geschehen – na, wie alt seid Ihr?«
»Fünfunddreißig«, sagte der Knecht, der wie ein Sechziger aussah.
»Es ist also geschehen, wie Ihr schon über zehn Jahre alt waret. Ihr hättet es selbst noch mit ansehen können.«
»Genug«, sagte Defarge mit grämlicher Ungeduld. »Lang lebe der Teufel! Macht weiter.«
»Nun, die einen munkeln dies, die andern das; sie sprechen von nichts anderem, und selbst der Brunnen scheint in diesen Ton einzufallen. Endlich einmal Sonntags nachts, während das ganze Dorf im Schlaf liegt, kommen Soldaten den Schlangenweg vom Gefängnis herunter, und ihre Schüsse hallen von den Steinen der nahen Straße wieder. Werkleute graben, Werkleute hämmern, die Soldaten lachen und singen, und am Morgen steht neben dem Brunnen ein vierzig Fuß hoher Galgen und vergiftet das Wasser.«
Der Knecht sah eher durch die Decke hindurch als nach ihr hinauf und machte ein Zeichen, als sehe er den Galgen irgendwo am Himmel.
»Alle Arbeit bleibt liegen, alles versammelt sich da, niemand führt die Kühe aus, die Kühe sind da wie alles andere. Um Mittag Trommelwirbel. Soldaten sind während der Nacht ins Gefängnis marschiert, und er kommt in der Mitte vieler Soldaten. Er ist gebunden wie früher, und in seinem Munde steckt ein Knebel, der so fest und in einer Art angebracht ist, daß es fast aussieht, als ob er lache.« Er erläuterte dies damit, daß er mit den Daumen die Mundwinkel bis zu den Ohren zurückzog. »An dem obern Teil des Galgens ist das Messer mit der Klinge aufwärts und der Spitze in der Luft befestigt. Da hängt man ihn vierzig Fuß hoch und läßt ihn hängen und das Wasser vergiften.«
Sie sahen einander an, während er seine blaue Mütze zum Abwischen des Schweißes benutzte, den ihm die Erinnerung an das Schauspiel ausgetrieben hatte.
»Es ist schrecklich, meine Herren. Wie können die Weiber und die Kinder Wasser holen? Wer kann abends unter einem solchen Schatten plaudern? Darunter, habe ich gesagt? Als ich am letzten Montag um Sonnenuntergang das Dorf verließ und von dem Berge aus zurückschaute, fiel der Schatten quer über die Kirche hin, über die Mühle, an dem Gefängnis vorbei, und schien sich über die ganze Erde zu erstrecken, bis dahin, meine Herren, wo das Himmelsgewölbe ist.«
Der Hungrige nagte, während er die andern drei ansah, an einem von seinen Fingern, und die Finger zitterten unter der dem Manne innewohnenden Gier.
»Das ist alles, meine Herren. Ich verließ, wie mir angedeutet worden war, um Sonnenuntergang das Dorf und wanderte selbige Nacht und den halben andern Tag fort, bis ich, wie die Verabredung lautete, diesen Kameraden traf. Mit ihm reiste ich weiter, bald zu Fuß, bald fahrend, den Rest des gestrigen Tages und die ganze Nacht durch. Und nun seht ihr mich.«
Nach einem düsteren Schweigen sagte der erste Jacques:
»Gut: Ihr habt treu gehandelt und erzählt. Wollt Ihr vor der Tür draußen ein bißchen auf uns warten?«
»Recht gern«, versetzte der Knecht.
Defarge führte ihn an den Anfang der Treppe, hieß ihn dort niedersitzen und kehrte zurück. Als er wieder in dem Dachstübchen anlangte, waren die drei aufgestanden und steckten die Köpfe zusammen.
»Wie meinst du, Jacques?« fragte Nummer Eins. »Einzutragen?«
»Einzutragen als zum Untergang verurteilt«, versetzte Defarge.
»Großartig!« krächzte der Mann mit dem Hunger.
»Das Schloß und das ganze Geschlecht?« fragte der Erste.
»Schloß und Geschlecht«, entgegnete Defarge. »Vernichtung.«
Der hungrige Mann wiederholte mit entzücktem Krächzen sein »Großartig« und begann an einem andern Finger zu nagen.
»Seid Ihr gewiß«, fragte Jacques Zwei den Defarge, »daß uns aus der Art, wie das Register geführt wird, keine Verlegenheit erwachsen kann? Ohne Zweifel ist es sicher, da es außer uns niemand zu entziffern imstande ist: aber werden wir immer in der Lage sein, es zu tun – oder, wie ich vielmehr sagen sollte, wird sie es immer können?«
»Jacques«, entgegnete Defarge, sich hoch aufrichtend, »wenn es meine Frau auf sich nehmen wollte, das Register nur in ihrem Gedächtnis zu führen, so würde kein Wort, keine Silbe davon verlorengehen; gestrickt aber mit ihren eigenen Maschen und ihren symbolischen Zeichen; ist es ihr stets so klar wie die Sonne. Ihr könnt euch auf Madame Defarge verlassen, für die elendeste Memme, die da lebt, wäre es viel leichter, sich aus dem Buch der Lebendigen zu streichen, als nur einen Buchstaben seines Namens oder seiner Verbrechen aus Madame Defarges gestricktem Register zu tilgen.«
Es folgte darauf ein Gemurmel des Beifalls und des Vertrauens; dann stellte der hungrige Mann die Frage:
»Soll dieser Bauer bald wieder zurückgeschickt werden? Ich hoffe es. Er ist sehr einfältig; könnte er nicht gefährlich werden?«
»Er weiß nichts«, sagte Defarge, »wenigstens nichts weiter, als was ihn leicht an einen Galgen von derselben Höhe bringen könnte. Ich nehm' ihn auf mich: laßt ihn bei mir bleiben. Ich will für ihn sorgen und ihm seinen Weg anweisen. Er wünscht die vornehme Welt zu sehen, den König, die Königin, den Hof; so mag er am Sonntag seinen Willen haben.«
»Wie?« rief der Mann mit dem Hunger, die Augen weit aufreißend. »Ist es ein gutes Zeichen, daß er das Königtum und den Adel zu sehen wünscht?«
»Jacques«, sagte Defarge, »bist du klug, so zeigst du einer Katze Milch, wenn du willst, daß sie danach dürsten soll. Bist du klug, so zeigst du einem Hunde seine natürliche Beute, wenn du willst, daß er sie eines Tages erjage.«
Weiter wurde nichts gesprochen, und man riet nun dem Knecht, den man bereits schlafend auf der obersten Treppenstufe fand, daß er ein wenig der Ruhe pflegen solle. Dazu war nicht viel Überredens notwendig; er schlief bald ein.
Für einen derartigen Sklaven aus der Provinz mochte es in Paris leicht schlimmere Quartiere geben als Defarges Weinhaus. Mit Ausnahme einer geheimnisvollen Furcht vor Madame, die ihm keine Ruhe ließ, verbrachte er sein neues Leben recht angenehm. Aber Madame saß den ganzen Tag an ihrem Zahltisch und achtete so merkwürdig wenig auf ihn, ja sie schien so fest entschlossen zu sein, nicht bemerken zu wollen, wie sein Dasein doch keine so ganz oberflächliche Bedeutung habe, daß er in seinen Holzschuhen zitterte, sooft sein Auge auf sie fiel. Denn er machte sich immer Gedanken darüber, wie unmöglich es sei, vorauszusehen, was die Frau zunächst sich herausnehmen werde, und fühlte die Überzeugung, wenn sie sich's in ihren bunt geschmückten Kopf setzen sollte, zu behaupten, sie sei Zeuge gewesen, wie er einen Mord begangen und hintendrein seinem Opfer die Haut abgezogen habe, so müsse sie unfehlbar ihren Zweck erreichen bis zum vollen Ende des Spiels.
Als daher der Sonntag kam, war der Knecht, obschon er das Gegenteil behauptete, gar nicht erfreut über die Kunde, daß Madame und Monsieur ihn selbst nach Versailles begleiten wollten. Ein anderer verwirrender Umstand war, daß Madame auf dem ganzen Wege in dem offenen Wagen strickte, und am meisten brachte ihn in Verlegenheit, daß sie nachmittags, als sie auf die Kutsche des Königs und der Königin wartete, in dem Menschengewühl keinen Augenblick ihr Strickzeug aus der Hand legte.
»Ihr arbeitet recht fleißig, Madame«, sagte ein Mann in ihrer Nähe.
»Ja«, antwortete Madame Defarge: »ich habe viel zu tun.«
»Was fertigt Ihr, Madame?«
»Allerlei.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel«, erwiderte Madame Defarge schnell besonnen, »Leichentücher.«
Der Mann suchte, sobald es tunlich war, weiter von ihr wegzukommen, und der Knecht fächelte sich mit seiner blauen Mütze, da ihm die Luft gewaltig schwül und dunstig vorkam. Es bedurfte eines Königs und einer Königin, um ihn wieder aufzufrischen, und zum Glück brauchte er auf diese Stärkung nicht mehr lange zu warten. Der breitgesichtige König kam mit der schönen Königin in einer vergoldeten Kutsche angefahren, begleitet von den hellscheinenden Trabanten des Hofes, einem flimmernden Schwarme von lachenden Frauen und feinen Herren. Und von den Juwelen und Seidenstoffen, von dem Puder und der Pracht, von den stolzen Gestalten und den verächtlich umherblickenden schönen Gesichtern beiderlei Geschlechts schöpfte der Knecht in vollen Zügen bis zur Trunkenheit, so daß er, als hätte er nie von der damaligen Allgegenwart der Jacques' gehört, aus Leibeskräften rief: »Lang lebe der König! Lang lebe die Königin! Lang lebe alles und jedermann!« Dann kamen die Gärten, die Hofräume, Terrassen, Fontänen, grüne Dämme, wieder König und Königin, abermals glänzende Trabanten, noch mehr »Lang leben sie alle«, bis er absolut weinte vor Rührung. Während dieses ganzen Schauspiels, das etwa drei Stunden anhielt, hatte er im Schreien, Weinen und Gerührtsein viele Kameraden, und Defarge hielt ihn die ganze Zeit über am Kragen, als wolle er ihn abhalten, auf die Gegenstände seiner kurzen Verehrung loszustürzen und sie in Stücke zu reißen.
»Bravo!« sagte Defarge, nach dem Schluß der Szene ihm mit einer Gönnermiene auf den Rücken klopfend; »Ihr seid ein guter Bursch.«
Der Knecht kam nun wieder zu sich und kraute sich bedenklich den Kopf, ob er nicht mit seinen letzten Demonstrationen einen Fehlgriff getan habe. Doch nein.
»Ihr seid ein Kerl, wie wir ihn brauchen«, flüsterte ihm Defarge ins Ohr. »Ihr laßt diese Toren glauben, daß es immer so fort gehen werde. Dies macht sie um so unverschämter und führt desto schneller ihr Ende herbei.«
»Ei, das ist wahr«, entgegnete der Knecht nachdenklich.
»Das Narrenvolk weiß nichts. Während sie den Atem in Euch und Hunderten Euresgleichen geringer anschlagen als den ihrer Pferde und Hunde und ihm gern für alle Zeiten den Garaus machen möchten, erfahren sie doch nur, was dieser Atem ihnen sagt. Mögen sie immerhin noch eine Weile in ihrer Täuschung erhalten bleiben; man kann es hierin nicht zu arg machen.«
Madame sah mit hochmütiger Miene nach ihrem Klienten hin und nickte bestätigend.
»Was Euch betrifft«, sagte sie, »so könnt Ihr wahrscheinlich schreien und Tränen vergießen bei allem, wenn es nur prunkt und Lärm macht. Sprecht, ist es nicht so?«
»In der Tat, Madame, ich glaube es. Es ist mir für den Augenblick so.«
»Wenn man Euch einen Haufen Puppen zeigte und Ihr die Aufgabe hättet, zu Eurem Nutz und Frommen sie zu zerreißen und zu verderben, so würdet Ihr wohl mit den am reichsten und buntest gekleideten den Anfang machen. Sprecht, ist's nicht so?«
»Wahrhaftig, ja, Madame.«
»Ja. Und wenn man Euch einen Schwarm Vögel wiese, die nicht fliegen können, und Euch erlaubte, ihnen zu Eurem Nutz und Frommen die Federn auszuraufen, so würdet zuerst Ihr nach denen mit dem schönsten Gefieder greifen. Ist's nicht so?«
»Jawohl, Madame.«
»Ihr habt heute die Puppen und die Vögel gesehen«, sagte Madame Defarge, nach der Stelle zurückdeutend, wo der Zug zuletzt sich bewegt hatte. »Gehen wir jetzt nach Hause.« 
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